Was folgt aus der BVerfG-Entscheidung Richterbesoldung?

 

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Der rechtliche Rahmen

Karlsruhe locuta, causa finita? Wohl kaum. Karlsruhe hat zwar gesprochen, aber der Fall ist sicher noch länger nicht erledigt, denn bei der Umsetzung der aus Art. 33 Abs. 5 GG resultierenden Pflicht zur amtsangemessenen Alimentation besitzt der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Struktur als auch hinsichtlich der Höhe der Besoldung; diese ist der Verfassung nicht unmittelbar, als fester und exakt bezifferbarer Betrag zu entnehmen und daher enthält auch der Beschluss im Verfahren BvL 4/18 keine konkrete Bestimmung der rückwirkend und aktuell zu gewährenden Besoldung, sondern zeigt „nur“ auf, in welch eklatantem Maße der Berliner Besoldungsgesetzgeber gegen die verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive zur Gewährung einer amtsangemessenen Besoldung verstoßen hat. Da das BVerfG nicht prüfen kann, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung wählt, beschränkt sich die materielle Kontrolle auf die Frage, ob die Bezüge der Richter und Staatsanwälte evident unzureichend sind. Dies hat das BVerfG mit ausgesprochen deutlichen Worten bejaht, welche die Berliner Landespolitik beschämen sollten. Die Besoldung war in den Jahren 2009 bis 2015 evident, d.h. ganz offenkundig so gering bemessen, dass sie im höheren Justizdienst kein den Ämtern angemessenes Auskommen bot. Wie nachfolgend gezeigt wird, war auch die Besoldung in den Folgejahren verfassungswidrig zu gering.

Das BVerfG hat betont, dass die diversen rechnerischen Schwellenwerte, bei deren Überschreitung eine erkennbare Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung oder -höhe und der Vergleichsgröße vorliegt, lediglich Orientierungscharakter haben. Sie sollen vor allem Indizien für eine Unteralimentation identifizieren. Das BVerfG hat klargestellt, dass den Vergleichsrechnungen auf einer ersten Prüfungsstufe gerade keine abschließende Objektivität zukommt und die Parameter weder dazu bestimmt noch geeignet sind, aus ihnen mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist. Ein solches Verständnis – wie es noch das OVG Berlin/Brandenburg an den Tag gelegt hatte – würde die methodische Zielrichtung der Besoldungsrechtsprechung des BVerfG verkennen. Auf einer zweiten Prüfungsstufe habe stets eine Wertung und Gewichtung zu erfolgen. Daraus resultiert, dass es nicht damit getan sein kann, rückwirkend Besoldungsnachzahlungen nur in einem Umfang zu gewähren, dass „gerade so“ nur noch zwei von fünf Parametern der ersten Prüfungsstufe unterschritten werden.

Dennoch können die konkreten Folgen aus der Entscheidung zur Berliner Richterbesoldung naturgemäß nur rechnerisch ermittelt werden. Wir mussten also nachzuvollziehen, wie sich Nachzahlungen für die einzelnen Jahre auf die Parameter der ersten Prüfungsstufe auswirken würden. Wir haben daher unsere bereits im Normenkontrollverfahren eingereichten – und im Beschluss ausdrücklich in Bezug genommenen – Berechnungen fortgeschrieben und insbesondere um konkrete Berechnungen zum sog. „systeminternen Besoldungsvergleich“ erweitert.

Folgerungen aus dem Parameter „systeminterner Besoldungsvergleich“

Das BVerfG hat unsere bereits seit Jahren immer wieder geäußerte Rechtsauffassung bestätigt, nach der das Ergebnis des systeminternen Besoldungsvergleichs, also eines Vergleichs der Entwicklung der R-Besoldung mit der Entwicklung anderer Bezugsgrößen, in zweifacher Hinsicht indizielle Bedeutung dafür haben kann, dass die Besoldung hinter den Vorgaben des Alimentationsprinzips zurückbleibt. Zum einen ergibt sich die indizielle Bedeutung aus dem Umstand, dass es infolge unterschiedlich hoher linearer oder zeitlich verzögerter Besoldungsanpassungen zu einer deutlichen Verringerung der Abstände zwischen zwei zu vergleichenden Besoldungsgruppen kommt. Diese Schwelle ist nicht erst dann überschritten, wenn die Abstände ganz oder im Wesentlichen eingeebnet werden. Ein im Rahmen der Gesamtabwägung zu gewichtendes Indiz für eine unzureichende Alimentation liegt vielmehr bereits dann vor, wenn die Abstände um mindestens 10% in den zurückliegenden fünf Jahren abgeschmolzen wurden (Abstandsgebot). Zum anderen folgt die indizielle Bedeutung aus der Missachtung des gebotenen Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau in der untersten Besoldungsgruppe (Mindestabstandsgebot). Beim Mindestabstandsgebot handelt es sich - wie beim Abstandsgebot - um einen eigenständigen, aus dem Alimentationsprinzip abgeleiteten Grundsatz. Dieser besagt, dass bei der Bemessung der Besoldung der qualitative Unterschied zwischen der Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamten und Richtern geschuldet ist, hinreichend deutlich werden muss. Dieser Mindestabstand wird unterschritten, wenn die Nettoalimentation (unter Berücksichtigung der familienbezogenen Bezügebestandteile und des Kindergelds) um weniger als 15% über dem Grundsicherungsniveau liegt. Dabei gilt, dass der Besoldungsgesetzgeber das Grundgehalt von vornherein so bemisst, dass - zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder - eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden kann, so dass es einer gesonderten Prüfung der Besoldung mit Blick auf die Kinderzahl erst ab dem dritten Kind bedarf (vgl. hierzu den Beitrag der Kollegin Maus).

Das BVerfG hat deutlich aufgezeigt, dass die Besoldung der untersten Besoldungsgruppe dem Mindestabstandsgebot nicht in Ansätzen genügte. Diese eklatante Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft aber insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Besoldungsgesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Das für das Verhältnis zwischen den Besoldungsgruppen geltende Abstandsgebot zwingt den Gesetzgeber dazu, bei der Ausgestaltung der Besoldung ein Gesamtkonzept zu verfolgen, das die Besoldungsgruppen und Besoldungsordnungen zueinander in Verhältnis setzt und abhängig voneinander aufbaut. Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Die Besonderheit des Mindestabstandsgebots ist, dass das BVerfG die erforderliche Mindestalimentation in der jeweils untersten Stufe unmittelbar arithmetisch bestimmen kann und dies im Beschluss zur Richterbesoldung auch getan hat. Um welche Prozentsätze die jeweils unterste Besoldungsgruppe der Besoldungsordnung A (in Berlin derzeit A4) zu erhöhen ist, ergibt sich danach direkt aus dem Beschluss des BVerfG. Fehlerhaft wäre aber der Schluss, dass die Erhöhung der unteren Besoldungsgruppe sich linear auf die Erhöhung der R-Besoldung auswirken müsse. Denn auch für die nun erforderliche Neujustierung der Besoldung hat das BVerfG dem Berliner Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden. Eine Erhöhung der A4-Besoldung um 24 % bedeutet also nicht ansatzweise den Zwang zur prozentual gleichen Anhebung der R-Besoldung. Auswirkungen auf die R- Besoldung hat diese „Verschiebung des archimedischen Punktes“ nur über das Abstandsgebot, nach dem eine Abschmelzung der Abstände zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen um mindestens 10% in den zurückliegenden fünf Jahren die Verfassungswidrigkeit der nicht linear erhöhten Besoldung indiziert.

Wir haben für die Jahre 2009 bis 2019 alle Indizes nach den Vorgaben des BVerfG nachgebildet und dabei zusätzlich errechnet, wie sich die durch die Verletzung des Mindestabstandsgebots in den untersten Besoldungsgruppen erforderlichen erheblichen Erhöhungen auf die R-Besoldung auswirken. Insofern besteht leider die Schwierigkeit, dass uns die vom BVerfG für die Berechnung der Mindestalimentation zu Grunde gelegten speziellen Statistiken für die Zeit ab 2016 noch nicht zur Verfügung stehen. Denn das BVerfG legt seinen Berechnungen keinen aus dem Grundsicherungsrecht ableitbaren Betrag, sondern eine statistische Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit zugrunde. In dieser wurden nicht lediglich die von Land Berlin im Grundsicherungsrecht anerkannten Unterkunftsbedarfe, sondern die – um Missbrauchswerte bereinigten – tatsächlichen Bedarfe berücksichtigt. Die Bundesanstalt für Arbeit hat uns zugesagt, bis Ende September eine fortgeschriebene Berechnung bis in das Jahr 2019 zu erstellen und uns zu überlassen. Unsere Berechnungen sind insofern vorläufig und beruhen auf einer vorsichtigen Fortschreibung der Werte der Jahre 2009 bis 2015.

Nach der Entscheidung des BVerfG steht fest, dass die jeweils unterste Besoldungsgruppe in Berlin um folgende Prozentsätze zu erhöhen ist, um das Mindestabstandsgebot zu wahren:

Jahr

Erhöhung

2009

23,82%

2010

25,61%

2011

27,59%

2012

29,42%

2013

28,73%

2014

28,53%

2015

27,67%

 

Nach unseren Berechnungen auf Basis einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit hielt die Besoldung der Besoldungsgruppe A 4 auch in den folgenden Jahren den Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau nicht ein, so dass sich für die Jahre 2016 bis 2019 ebenfalls folgende Mindestnachzahlungen ergeben müssen:

Jahr

Erhöhung

2016

26,02%

2017

26,14%

2018

23,92%

2019

22,53%

 

Durch diese erheblichen – und eindeutig erforderlichen – Nachzahlungen verschiebt sich das Besoldungsgefüge gegenüber der R-Besoldung massiv. Würden nur den Beamten der jeweils untersten Besoldungsgruppe entsprechende rückwirkende Erhöhungen gewährt, käme es zu einer unzulässigen Verringerung der Abstände zwischen diesen Besoldungsgruppen und der R-Besoldung. Die Abstände würden dann in 5 Jahren um folgende Prozentwerte abgeschmolzen.

Jahr

Erhöhung

2009

10,78 %

2010

11,76 %

2011

12,93 %

2012

14,06 %

2013

14,01 %

2014

14,33 %

2015

14,10 %

2016

13,46 %

2017

13,78 %

2018

12,76 %

2019

11,86 %

 

Die Entwicklung der übrigen Parameter seit 2015

Unsere Berechnungen zeigen darüber hinaus, dass in den Jahren 2016 bis 2017 bei einer Spitzausrechnung der tatsächlich (d.h. zeitlich teils erheblich verzögert) gewährten Besoldung auch die übri-gen Parameter der ersten Prüfungsstufe deutlich überschritten wurden. Lediglich im Vergleich mit der Entwicklung der Verbraucherpreise hält die Be-soldungsentwicklung im Jahr 2017 die verfas-sungsrechtlichen Vorgaben wegen der ausgesprochen geringen Inflation ein. Da aber auch im Jahr 2017 – wie ausgeführt – das Abstandsgebot nicht eingehalten wurde, waren auch im Jahr 2017 drei Parameter der ersten Stufe verletzt. Es ergeben sich die folgenden, negativen Abweichungen zur Entwicklung der Vergleichsindizes:

 

Nominal-lohn-index

Verbraucher-preisindex

Tarif-entwick-lung

2016

8,54 %

7,66 %

13,26 %

2017

7,45 %

2,03 %

14,34 %

 

Im Jahr 2018 wurden noch zwei, im Jahr 2019 ein Parameter überschritten.

 

Die Forderung des DRB Berlin

Anhand sehr komplexer Berechnungen, die auch den anzuerkennenden Gestaltungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers in den Blick nehmen, haben wir in akribischer Kleinarbeit das Notwendige und das Wünschenswerte ermittelt, um uns im Streit um eine angemessene Nachzahlung mit Selbstbewusstsein, aber auch mit Realismus zu positionieren.

Das nun zu erlassende Nachzahlungsgesetz muss rückwirkend eine amtsangemessene Alimentation gewährleisten und nicht nur eine gerade so nicht evident unzureichende. Es wäre schändlich, wenn der Berliner Landesgesetzgeber auch nach der ihm vom BVerfG verpassten schallenden Ohrfeige wieder versuchte, in einen Schäbigkeitswettbewerb um die vielleicht gerade noch verfassungsgemäße Besoldung seiner Mitarbeitenden einzutreten.

Wir fordern eine Anpassung der Grundgehaltssätze der Besoldungsordnung R um solche Prozentbeträge, dass sämtliche Parameter der ersten Prüfungsstufe unter die jeweiligen Schwellenwerte sinken. Nur so kann rückwirkend eine angemessene Alimentation erreicht werden. Denn zu berücksichtigen ist auch, dass den Kolleginnen und Kollegen ihre verfassungsmäßigen Bezüge nun bereits seit mehr als 10 Jahren vom Berliner Besoldungsgesetzgeber vorenthalten werden und Nachzahlungen im Hinblick auf die Steuerprogression regelmäßig mit einem höheren Steuersatz besteuert werden dürften, als die laufenden Bezüge. Der DRB Berlin fordert danach, die Grundgehaltssätze der Besoldungsordnung R in einem Nachzahlungsgesetz für die Jahre 2009 bis 2019 wie folgt zu erhöhen:

Jahr

Erhöhung

2009

1,32 %

2010

3,28 %

2011

6,61 %

2012

6,47 %

2013

7,27 %

2014

6,95 %

2015

7,18 %

2016

3,56 %

2017

4,02 %

2018

1,68 %

2019

1,15 %

 

Dr. Patrick Bömeke

Dr. Stefan Schifferdecker