BVerfG: Berliner Besoldung verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit einem Ende Juni 2020 veröffentlichten Beschluss vom 4. Mai 2020 (2 BvL 4/18) festgestellt, dass die Besoldung der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in den Jahren 2009 bis 2015 verfassungswidrig zu gering war. Die Besoldungsvorschriften des Landes Berlin waren mit dem vom Grundgesetz gewährleisteten Alimentationsprinzip nicht vereinbar. Die Besoldung habe nicht genügt, um Richtern und Staatsanwälten einen ihrer Verantwortung entsprechenden Lebensunterhalt zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund könne auch nicht die Rede davon sein, dass es dem Land Berlin noch gelinge, durchgehend überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte anzuwerben.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Land Berlin aufgegeben, zum 1. Juli 2021 verfassungskonforme Regelungen zu treffen. Es hat klargestellt, dass eine rückwirkende Behebung denjenigen Bediensteten zu gewähren ist, die sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit Widerspruchs- oder Klageverfahren gewehrt haben.

Die Reaktionen des Landes Berlin auf dieses Urteil waren enttäuschend. Eine gemeinsame Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Finanzen und der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung vom 28. Juli 2020 trägt den bezeichnenden Titel. „Besoldung von Richterinnen und Richtern in Berlin seit 2016 deutlich erhöht“. Sie beschränkt sich auf die Mitteilung, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen seien und die Behauptung, dass seit 2016 rosige Zeiten angebrochen seien. Auch intern kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung für den langjährigen Verfassungsbruch durch eine evident (!) unzureichende Besoldung. Dies verstärkt leider den Eindruck, dass es dem Land Berlin selbst nach der Ohrfeige der Verfassungsrichter nicht recht peinlich ist, wie mit dem Öffentlichen Dienst umgegangen wurde. Das nährt wenig Hoffnung auf einen angemessenen Ausgleich durch ein Nachzahlungsgesetz.

Wir setzen uns nun dafür ein, dass das Urteil rasch in allen seinen Konsequenzen umgesetzt wird. Auch wenn in den letzten Jahren die Besoldung erhöht worden ist, um die erheblichen Rückstände aufzuholen, genügt dies nicht. Die Besoldung im Land Berlin liegt immer noch nicht im Durchschnitt der Bundesländer; ferner wurden Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bei aktuellen Besoldungsanpassungen weiter benachteiligt (geringere Sonderzahlungen, keine Hauptstadtzulage). Es ist zudem eine Frage der Gerechtigkeit, dass unabhängig von der expliziten Verpflichtung durch das BVerfG das Land Berlin Nachzahlungen auch jenen gewährt, die im Vertrauen auf die Redlichkeit ihres Dienstherrn keinen Widerspruch gegen die Besoldung erhoben haben. Es kann nicht sein, dass Berlin über Jahre zu wenig bezahlt und nun den Beschäftigten vorwirft, sie hätten dagegen vorgehen müssen, um zu erhalten, was ihnen nach der Verfassung mindestens zugestanden hätte.

In der Berichterstattung über die Entscheidung des BVerfG ist der eigentliche Skandal untergegangen: die Besoldung der untersten Besoldungsgruppen deutlich unterhalb der Existenzsicherungsgrenzen. Der gebotene Abstand zum Grundsicherungsniveau wurde vom Land Berlin um bis zu 28 % unterschritten. Bei 15 % Mindestabstand ist das eine Bezahlung unter Hartz-IV-Niveau für die fleißige Arbeit der Kolleginnen und Kollegen der Besoldungsstufen A4 und A5! Ein Grund zum Schämen. Das Land Berlin muss daher von Grund auf die Besoldung neu ausrichten – was zugleich der Antrieb für eine besonders sparsame Neujustierung der Besoldung sein wird. Wieviel wird „oben“ ankommen?

In den letzten Wochen haben wir in mühevoller Kleinarbeit ermittelt, welche konkreten finanziellen Auswirkungen der Beschluss des BVerfG auf die für die Vergangenheit zu gewährende Besoldung und auf die aktuelle und künftige Besoldung haben kann (siehe den nachfolgenden Beitrag ab Seite 14). Leider sind die vom BVerfG dem Landesgesetzgeber für die Neujustierung der Besoldung gewährten Spielräume enorm. Wir müssen daher davon ausgehen, dass die Senatsverwaltung für Finanzen akribisch alle Stellschrauben der Neujustierung (aus)nutzen wird, um die finanziellen Auswirkungen gering zu halten. Wir werden keine Mühe scheuen, uns gegenüber der Senatsverwaltung für Finanzen für eine gerechte Nachberechnung einzusetzen. Eine intensive Unterstützung aus der Senatsverwaltung für Justiz wäre daher – trotz fehlender Zuständigkeit – von großem Vorteil. Wir werden darum bitten (müssen).

In den anhängigen Widerspruchs- und Klageverfahren ist zunächst nichts zu veranlassen (siehe den weiteren Beitrag). Denn hierfür ist das Nachzahlungsgesetz abzuwarten. Ein solches ist nach unserer Einschätzung aber nicht vor Mitte 2021 zu erwarten.

 

Dr. Stefan Schifferdecker