Hintergrundpapier zur Besoldungsallianz

Deutscher Richterbund – Landesverband Berlin e.V.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)[1] hat die zu geringe Besoldung des Öffentlichen Dienstes in Berlin mit ungewöhnlich deutlichen Worten kritisiert. Es hat das Land zum Erlass eines Nachzahlungsgesetzes bis zum 1. Juli 2020 verpflichtet. Die Berliner Politik sich muss diese Rüge zu Herzen nehmen (dazu I.).

Das Gericht hat eine Mindestbesoldung definiert und Vorgaben für die Anpassung der höheren Besoldungsgruppen gemacht (dazu II.). Auf Basis der vom BVerfG vorgegebenen Berechnungsmethoden fordern wir eine angemessene rückwirkende Erhöhung der Besoldung für alle Besoldungsgruppen in den Jahren 2009 bis 2020 (dazu III.).

Übersicht

I.     Scharfe Kritik des BVerfG an Berlin

II.    Allgemeine Vorgaben für ein Besoldungsnachzahlungsgesetz

III.    Auswertung der Entscheidung

1.    Mindestabstand in skandalöser Weise verletzt

2.    Anhebung aller Besoldungsgruppen erforderlich

3.    Besoldungsentwicklung unterschreitet übrige Parameter deutlich

IV.   Forderungen

V.    Fazit

 

I. Scharfe Kritik des BVerfG an Berlin

Die nachfolgenden Zitate aus der Entscheidung des BVerfG vom 4. Mai 2020 (2 BvL 4/18) belegen die Deutlichkeit der Worte des BVerfG. Die in Klammern angegebenen Zahlen stellen Randnummern der Entscheidung dar (Hervorhebungen nur hier):

„Seit den Jahren 2004 und 2006 leisteten die Beamten, Richter und Versorgungsempfänger des Landes Berlin wichtige Beiträge zur notwendigen Konsolidierung des Landeshaushalts (vgl. AbgH-Drs 16/3242, S. 10)“ (Rn. 6) … „Das Land Berlin … erläuterte lediglich die Überleitung in Landesrecht (AbgH-​Drs 16/3242, S. 10). Eine Auseinandersetzung mit der Höhe der nun geltenden Besoldungssätze fand nicht statt.“ (Rn. 7)

„Eine Gesamtschau der für die … Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergibt, dass die im Land Berlin in den Jahren 2009 bis 2015 in den Besoldungsgruppen R 1 und R 2 … gewährte Besoldung evident unzureichend war.“ (Rn 98) ... „Bei der Festlegung der Grundgehaltssätze wurde die Sicherung der Attraktivität des Amtes eines Richters oder Staatsanwalts für entsprechend qualifizierte Kräfte, das Ansehen dieses Amtes in den Augen der Gesellschaft, die von Richtern und Staatsanwälten geforderte Ausbildung, ihre Verantwortung und ihre Beanspruchung nicht hinreichend berücksichtigt.“ (Rn. 99) …

„Der gebotene Abstand zum Grundsicherungsniveau wurde durchgehend für die jeweils unterste Besoldungsgruppe bei weitem unterschritten.“ (Rn. 100)…

„Die Absenkung der Einstellungsanforderungen zeigt, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion, durchgehend überdurchschnittliche Kräfte zum Eintritt in den höheren Justizdienst in Berlin zu bewegen, nicht (mehr) erfüllt hat. (…) Wenn das Land Berlin … vorbringt, auch zuvor seien Bewerber "nach Angebot und Nachfrage" ohne die geforderte Qualifikation zum Zuge gekommen, ändert dies nichts daran, dass ein vormals jedenfalls im Ausgangspunkt nicht für geeignet erachteter Bewerberkreis angesprochen werden musste.“ (Rn. 168) … „Davon, dass es dem Land Berlin gelungen wäre, durchgehend überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte für den höheren Justizdienst anzuwerben (…), kann daher keine Rede sein.“ (Rn. 173)

„Gegenüberstellungen mit Vergleichsgruppen außerhalb des öffentlichen Dienstes führen im Rahmen der Gesamtabwägung zu keiner anderen Bewertung. (…) Danach hatten im Jahr 2006 86 % der vergleichbaren Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft einen höheren Verdienst als ein Berufsanfänger der Besoldungsgruppe R 1; im Jahr 2010 waren es 92 %. Selbst wenn man die Besoldung der Endstufe zugrunde legt, die nach mehr als 20 Berufsjahren erreicht wird, verfügten im Jahr 2006 40 % der vergleichbaren Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft über ein höheres Einkommen; im Jahr 2010 war der Anteil auf 51 % gestiegen.“ (Rn. 174)…

„In der Gesamtabwägung ergibt sich, dass die Bemessung der Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppen R 1 bis R 3 in Berlin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht mehr amtsangemessen war.“ (Rn. 176) … „Insbesondere hat das Land Berlin [nicht] dargetan, dass die teilweise drastische Abkopplung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in Berlin, wie sie nicht zuletzt in den Tarifabschlüssen zum Ausdruck gekommen ist, Teil eines schlüssigen und umfassenden Konzepts der Haushaltskonsolidierung gewesen wäre, …“(Rn. 177)

„Jedenfalls steht einer Rechtfertigung der Unterschreitung … Besoldungsniveaus entgegen, dass nicht einmal der Versuch unternommen wurde, die Einsparungen gleichheitsgerecht zu erwirtschaften. (…) Diese Finanzplanung bestätigt den ...  Eindruck, dass das Land Berlin die Besoldung sehenden Auges hinter die von ihm ausgehandelten Tariflöhne hat zurückfallen lassen.“ (Rn. 179)

 

II. Allgemeine Vorgaben für ein Besoldungsnachzahlungsgesetz

Der Beschluss des BVerfG zeigt mit scharfen Worten auf, in welch eklatantem Maß der Berliner Besoldungsgesetzgeber die Untergrenze unterschritten hat. Die Besoldung der Jahre 2009 bis 2015 war „evident unzureichend“!

Der Gesetzgeber besitzt zwar einen weiten Entscheidungsspielraum um die amtsangemessene Alimentation der Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter zu bestimmen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Struktur als auch hinsichtlich der Höhe der Besoldung. Das BVerfG kann daher nicht prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat. Eine Untergrenze darf er jedoch nicht unterschreiten. Der Beschluss enthält daher keine Berechnung zur konkreten Höhe der
R-Besoldung, sondern nur zur Ermittlung der unerlaubten Untergrenze.

Das BVerfG prüft die Untergrenze der Besoldung seit einer Entscheidung im Jahr 2015[2] anhand von rechnerischen Schwellenwerten[3], deren Unterschreitung Indiz für einen Verfassungsverstoß ist. Mit der neuen Entscheidung aus Mai 2020 hat das BVerfG die Maßstäbe konkretisiert. Wird in der untersten Besoldungsgruppe ein Mindestabstand zur Grundsicherung („Hartz-IV“) nicht eingehalten, wird die unzureichende Besoldung auch für die anderen Besoldungsgruppen vermutet (Mindestabstandsgebot). Der Mindestabstand wird unterschritten, wenn die Besoldung der untersten Besoldungsgruppe[4] – in Berlin A4 – weniger als 15 % über dem Grundsicherungsniveau einer vierköpfigen Familie liegt[5]. Für andere Besoldungsgruppen liegt eine starke Vermutung für eine unzureichende Alimentation vor, wenn der Abstand zur untersten Besoldungsgruppe um mindestens 10 % in den zurückliegenden fünf Jahren abgeschmolzen wird (Abstandsgebot).

Das BVerfG hat deutlich aufgezeigt, dass in den Jahren 2009 bis 2015 die Besoldung der untersten Besoldungsgruppe A4 dem Mindestabstandsgebot nicht in Ansätzen genügte. Diese eklatante Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft das gesamte Besoldungsgefüge, da sich der gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist.

Die zwingend notwendige Erhöhung der A4-Besoldung hat über das sog. Abstandsgebot Auswirkungen auf das gesamte Besoldungsgefüge. Die Erhöhung der unterersten Besoldungsgruppe muss sich dabei nicht linear auf die Erhöhung der anderen Besoldungsgruppen auswirken. Denn auch für die Neujustierung der Besoldung hat das BVerfG dem Berliner Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum zugestanden. Jedoch hat BVerfG klargestellt, dass der Gesetzgeber eine angemessene und nicht nur eine „gerade so“ nicht evident unzureichende Besoldung schuldet. Rückwirkende Besoldungsnachzahlungen müssen eine – deutlich über der Untergrenze liegende – angemessene Höhe erreichen. Im Ergebnis hat eine Gesamtabwägung zu erfolgen.

III.        Auswertung der Entscheidung

Der DRB Berlin hat für die Jahre 2009 bis 2019 alle Indizes nach den Vorgaben des BVerfG nachgebildet und dabei zusätzlich errechnet, wie sich die Verletzung des Mindestabstandsgebots auf die darüber liegenden Besoldungsgruppen auswirkt.

1.         Mindestabstand in skandalöser Weise verletzt

Nach der Entscheidung des BVerfG lag die Besoldung der Kolleginnen und Kollegen der Besoldungsgruppe A4 bis zu 29 % unter dem gebotenen Abstand zum „Hartz IV“-Niveau. Das ist ein Skandal. Das Land Berlin muss diesen Verfassungsverstoß unverzüglich rückwirkend beseitigen.

Für die Berechnung des Mindestabstands legt das BVerfG zum einen die gesetzlichen Beträge für Grundsicherungsansprüche einer vierköpfigen Familie zugrunde und berücksichtigt bei den Unterkunftskosten die – um Missbrauchswerte bereinigten – höchsten tatsächlichen Bedarfe der Existenzsicherungsempfänger[6]. Nach der Entscheidung des BVerfG steht fest, dass die jeweils unterste Besoldungsgruppe (A 4) in Berlin um folgende Prozentsätze zu erhöhen ist, um das Mindestabstandsgebot zu wahren:

2009

23,82%

2010

25,61%

2011

27,59%

2012

29,42%

2013

28,73%

2014

28,53%

2015

27,67%

Nach den Berechnungen des DRB Berlin hielt die Besoldung der Besoldungsgruppe A 4 auch in den folgenden Jahren den Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau nicht ein[7]. Für die Jahre 2016 bis 2019 muss die unterste Besoldungsgruppe (A 4) nach unseren Berechnungen wie folgt erhöht werden, um den verfassungsmäßigen Mindestabstand zu wahren:

2016

26,02 %

2017

26,14 %

2018

23,92 %

2019

22.53 %

2020

21,86 %

2.         Anhebung aller Besoldungsgruppen erforderlich

Durch die erheblichen Nachzahlungsansprüche in der A4-Besoldung verschiebt sich das Besoldungsgefüge massiv. Würden nur den Beamtinnen und Beamten der untersten Besoldungsgruppe entsprechende rückwirkende Erhöhungen gewährt, käme es zu einer unzulässigen Verringerung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen. Die rückwirkende Streichung der A4-Besoludung würde nicht genügen. Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen gewahrt werden müssen, welche die mit dem Amt verbundene Verantwortung widerspiegeln. Eine Anhebung der übrigen der Besoldungsgruppen ist daher ebenso erforderlich.

3.         Besoldungsentwicklung unterschreitet übrige Parameter deutlich

Die Berechnungen des BVerfG zeigen unabhängig von der Frage des Mindestabstandes, dass in den Jahren 2009 bis 2015 die weiteren Vergleichsparameter in unzulässiger Weise unterschritten werden. Ein Verfassungsverstoß ist danach anzunehmen, wenn die Besoldungsentwicklung um mehr als 5 % hinter der Entwicklung der Vergleichsparameterzurückbleibt.

Der DRB Berlin hat die zeitlich teils erheblich verzögert gewährten Besoldungserhöhung über den Entscheidungszeitraum hinaus bis zum Jahr 2019 rechnerisch verprobt. Es ergeben sich für die R-Besoldung Abweichungen zur Entwicklung des Nominallohnindexes von bis zu 8,54 %, des Verbraucherpreisindexes von bis zu 10,95 % und zur Tarifentwicklung von bis zu 14,9 %.[8] Die Besoldungserhöhungen seit 2016 haben jedoch erreicht, dass mit den Jahren bei weniger Parametern ein verfassungswidriges Unterschreiten zu verzeichnen ist.

IV.       Forderung

Das nun zu erlassende Nachzahlungsgesetz muss nach den Vorgaben des BVerfG rückwirkend eine amtsangemessene Alimentation gewährleisten und nicht nur eine „gerade so“ nicht evident unzureichende. Es gebietet der Respekt vor dem Verfassungsorgan, nicht erneut in einen Wettbewerb das dichteste Erreichen der Besoldungsuntergrenze einzutreten. Das wäre demokratiegefährdend.

Für ein Nachzahlungsgesetz betreffend die R-Besoldung hat das BVerfG dem Land eine Frist bis zum 1. Juli 2021 gesetzt. Weitere Vorgaben für ein Nachzahlungsgesetz bei anderen Besoldungsordnungen sind nicht erforderlich. Denn das BVerfG hat umfassend entscheiden. Wir gehen davon aus, dass das BVerfG eine fristgerechte Nachbesserung des Landes in der R- und der A-Besoldung erwartet. Denn das Gericht hat aber mitgeteilt, dass vor Juli 2021 eine Entscheidung über die A-Besoldung nicht ergehen werde.

Daher fordern wir:

1.         Die Senatsverwaltung für Finanzen muss unverzüglich ein Besoldungsnachzahlungsgesetz für den gesamten öffentlichen Dienst in den Jahren 2009 bis 2020 erarbeiten.

2.         Die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe A 4 sind rückwirkend so anzupassen, dass der verfassungsrechtlich gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten wird.

3.         Alle übrigen Besoldungsgruppen sind rückwirkend mindestens um solche Prozentbeträge zu erhöhen, dass keiner der vom Verfassungsgericht herangezogenen Parameter unterschritten wird.

Für die Richterinnen und Richter sowie die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte fordert der DRB Berlin eine Besoldung mindestens auf dem Niveau der Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg nach der dortigen Nachzahlung der Besoldung.

 

V.        Fazit

Die fristgerechte Umsetzung der Entscheidung des BVerfG ist aus Respekt vor dem Gericht zwingend geboten. Ein gerechtes Nachzahlungsgesetz kann zudem den langjährigen und heftig geführten Besoldungsstreit in unserer Stadt beenden.

Für eine Befriedung des Konflikts halten wir eine angemessene Berücksichtigung auch derjenigen Kolleginnen und Kollegen für unabdingbar, die nicht oder nicht in allen Jahren Widerspruch oder Klage erhoben haben.

Berlin, den 16. November 2020

 

Dr. Patrick Bömeke
Dr. Stefan Schifferdecker
für den Deutschen Richterbund – Landesverband Berlin

 


[1]      BVerfG, Beschluss vom 04. Mai 2020, 2 BvL 4/18.

[2]      BVerfG, Urteil vom 05. Mai 2015, 2 BvL 17/09.

[3]      Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der Nominallöhne, der Verbraucherpreise, der Tarifentwicklung im Öffentlichen Dienst und der Entwicklung anderer Besoldungsgruppen desselben Dienstherrn (sog. systeminterner Besoldungsvergleich).

[4]      Nettoalimentation unter Berücksichtigung der familienbezogenen Bezügebestandteile und des        Kindergelds.

[5]      Das BVerfG kann die erforderliche Mindestalimentation in der jeweils untersten Stufe unmittelbar    arithmetisch bestimmen und hat dies im Beschluss zur Richterbesoldung auch getan.

[6]          Basis war eine statistische Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit.

[7]           Einbezogen wurde eine aktuelle Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit. Die Ausga-    ben der privaten Krankenversicherung wurden anhand statistischer Versicherungswerte mit        einer durchschnittlichen Erhöhung von 2,3 % fortgeschrieben.

[8]           Bei der Besoldungsentwicklung wurde die Anhebung der Besoldung erst im Monat der
            Erhöhung berücksichtigt (sog. Spitzausrechnung). Alternativ – aber weniger genau – könnte       der Vergleich der jeweils im Dezember des Jahres gezahlten Besoldung zugrunde gelegt
            werden.