Zwei Drittel der Gerichtssäle fit für digitale Verhandlungen? Der DRB Berlin hakt nach!

Ist die Digitalisierung des Justizbetriebs schon so weit vorangeschritten? Möglicherweise unbemerkt von Richterinnen und Richtern?

Kürzlich titelte der Tagesspiegel „Zwei Drittel aller Gerichtssäle sind fit für digitale Verhandlungen“ und nahm dabei Bezug auf eine Schriftliche Anfrage vom 29. September 2022 (Abghs.-Drucks. 19/13440). Und tatsächlich: Danach gefragt, „[w]ie viele Gerichtssäle an welchen Gerichtsstandorten [...] aktuell technisch die jeweils einschlägigen prozessrechtlichen Voraussetzungen zur Ermöglichung von digitalen Verhandlungen [erfüllen] und wie hoch [...] der Prozentsatz der digitalen Gerichtssäle am Gesamtbestand der verfügbaren Säle“ (a.a.O., S. 1) sei, präsentiert die Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung eine Tabelle, aus der hervorgeht, dass in 226 von 330 der Berliner Gerichtssäle (oder 68 Prozent) aktuell
Videokonferenzen möglich seien (a.a.O., S. 2). Es seien „auch Sitzungssäle als tauglich berücksichtigt worden, in denen – soweit angegeben, bei aktueller Nutzung auskömmlich als Poolgeräte vorhandene – mobile Videokonferenzsysteme genutzt werden können.“ (a.a.O., S .1).

Viele Mitglieder werden diese Zahlen aufhorchen lassen. Ist die Digitalisierung des Justizbetriebs schon so weit vorangeschritten? Möglicherweise unbemerkt von Richterinnen und Richtern? Der DRB Berlin hält es für angebracht, die Zahlen und ihre Erhebungsdefinition zu hinterfragen. Mögen „Videoverhandlungen“ auch trotz Pandemie eine Ausnahmeerscheinung geblieben sein, steht zu erwarten, dass sie in Zukunft von Verfahrensbeteiligten eingefordert oder gar erzwungen werden können (vgl. den Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten vom 23. November 2022). Die von der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung präsentierten Zahlen vermitteln Rechtssuchenden das Bild einer Justiz, die solchen Anforderungen schon jetzt größtenteils gerecht wird. Damit etwaige Enttäuschungen nicht an Richterinnen und Richtern hängen bleiben, haben wir die Präsidentinnen und Präsidenten der in der Schriftlichen Anfrage genannten Gerichte und den Präsidenten des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg um die Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:

  1. Wie viele Sitzungssäle sind in Ihrem Haus mit stationärer Videokonferenztechnik ausgestattet und einsatzbereit?
  2. Wie viele mobile Videokonferenzsysteme (in der Schriftlichen Anfrage sogenannte Poolgeräte) sind in Ihrem Haus vorhanden und einsatzbereit?
  3. In wie vielen Sitzungssälen können in Ihrem Haus mobile Videokonferenzsysteme (in der Schriftlichen Anfrage sogenannte Poolgeräte) eingesetzt werden?
  4. Wie viele Videoverhandlungen können in Ihrem Haus - in den Sitzungssälen - zeitgleich maximal stattfinden?

Aus Sicht des DRB Berlin dürfte es entscheidend darauf ankommen, wie viele „Videoverhandlungen“ gleichzeitig stattfinden können. Dass ein „Videosaal“ und zwei mobile Videokonferenzsysteme nicht mit zehn „Videoverhandlungssälen“ gleichzusetzen sind, liegt auf der Hand. Der bisherige, erfreuliche Rücklauf von den angeschriebenen Gerichten zeigt zudem, dass weitere Probleme – z.B. mangelnde Bandbreite oder fehlende Softwarelizenzen – der Durchführung mehrerer gleichzeitiger „Videoverhandlungen“ entgegenstehen. Da noch nicht von sämtlichen Gerichten eine Antwort vorliegt, bleibt eine abschließende Auswertung der nächsten Ausgabe des Votums vorbehalten.

Dr. Hagemeyer-Witzleb