Wohin steuern die Strafverfolgungsbehörden in Berlin? – Ein Doppelinterview

Margarete Koppers, Generalstaatsanwältin in Berlin, und Jörg Raupach, Leiter der Staatsanwaltschaft Berlin, im Interview

Fragen zu den Herausforderungen und Problemen der Staatsanwaltschaft haben uns Margarete Koppers, Generalstaatsanwältin in Berlin, und Jörg Raupach, Leiter der Staatsanwaltschaft Berlin, beantwortet. Pandemiebedingt haben wir das Interview schriftlich geführt, so dass Nachfragen zu den Antworten auf unsere Fragen nicht möglich waren.

VOTUM: Der Justizsenator Dr. Behrendt erklärt, noch immer ausreichend Assessorinnen und Assessoren für die Berliner Justiz zu gewinnen. Teilen Sie seine Ansicht?

Koppers: Wir haben im Sommer 16 hoch qualifizierte und engagierte Staatsanwält*innen ausgewählt, von denen zehn schon in diesem Jahr ihren Dienst bei der Staatsanwaltschaft Berlin angetreten haben. Wie in den vergangenen Jahren war es erneut kein Problem, genug Kandidat*innen zu finden, die hier in Berlin Staatsanwält*in werden wollten. Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir neben der Einstellung über die richterliche Laufbahn mit den Direkteinstellungen ganz gezielt Nachwuchs für die Strafverfolgungsbehörden suchen und rekrutieren dürfen. Und unser Erfolg belegt, dass dies der richtige Weg ist.

VOTUM: Womit kann das Land künftige Staatsanwältinnen und Staatsanwälte anziehen und dann auch halten? Was spricht für die Berliner Strafverfolgungsbehörden? Wo sehen Sie insoweit noch Verbesserungsbedarf?

Koppers: Die Vorstellung, einen einmal im Leben gewählten Beruf bis ans Lebensende auszuüben, entspricht eher der Haltung meiner und vielleicht noch der der nachfolgenden Generation. Ich nehme die jetzt ins Berufsleben eintretende Generation als deutlich flexibler, offener und mutiger wahr. Deshalb müssen wir uns davon verabschieden, dass all die jungen Jurist*innen, die wir jetzt einstellen, auch ihr ganzes Berufsleben bei uns bleiben.

Aber natürlich setzen wir alles daran, weiter für sie attraktiv zu bleiben. Das sind wir per se als Institution, weil es kaum einen spannenderen und mit mehr Gestaltungsfreiheit ausgestatteten Beruf in der Justiz gibt als den eines Staatsanwalts oder einer Staatsanwältin. In der Metropole Berlin stoßen wir zudem auf die ganze Bandbreite unterschiedlicher Kriminalitätsformen, die den Staatsanwält*innen sehr viele Spezialisierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Und nicht zuletzt zeichnet sich die Staatsanwaltschaft Berlin durch eine große Kollegialität und Teamgeist aus. An der Modernisierung der Rahmenbedingungen (IT-Ausstattung, Präsenzpflicht, Raumsituation) arbeiten wir kontinuierlich weiter.

VOTUM: Die gegenwärtige Pandemie hat dem Arbeiten im Homeoffice schlagartig viel Aufmerksamkeit verschafft. Welche Linie verfolgen Sie in Sachen Homeoffice, dazu passender IT-Ausstattung und Anwesenheitspflicht? Welche Vorgaben zur Präsenzpflicht gibt es derzeit? Entspricht es der Bedeutung der Strafverfolgung für die Gesellschaft, wenn bei der Staatsanwaltschaft Berlin je Abteilung nur ein oder zwei Laptops mit VPN-Tunnel zur Verfügung stehen, während Berliner Gerichte besser ausgestattet sind? Sind die Strafverfolgungsbehörden aus Sicht der Senatsverwaltung zweitrangig?

Koppers: Ich verfolge die Strategie einer Vollausstattung aller Entscheider*innen der drei Strafverfolgungsbehörden mit homeoffice-geeigneter Technik. Für den Doppelhaushalt 2022/23 haben wir deshalb schon sehr früh entsprechende Investitionsmittel eingestellt. Um uns von der ressourcenintensiven VPN-Variante des ITDZ zu lösen, sind wir als erste Institution in der Justiz – die Verwaltungsgerichtsbarkeit folgt uns jetzt – neue Wege gegangen und haben einen privaten Netzanbieter als Partner gewählt. Wir waren noch in der Testphase, als Corona über uns hereinbrach. Dank des beeindruckenden Engagements der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer IT-Abteilung ist es uns gelungen, diese Testphase sehr zügig auszubauen. Inzwischen haben wir 270 Laptops angeschafft, von denen 249 bereits im Einsatz sind. Zudem haben wir u.a. für alle Staatsanwält*innen, Amtsanwält*innen und Referendar*innen Drivelock-USB-Sticks angeschafft, um ein sicheres Arbeiten auch mit am heimischen PC erstellten Dokumenten zu ermöglichen. Nach meiner Kenntnis ist im gesamten Campus Moabit keine Justizinstitution besser aufgestellt als wir.

Die Präsenzpflicht ist derzeit coronabedingt ausgesetzt und die Dienststellen regeln für sich, wie sie den Dienstbetrieb zwischen Präsenz und Homeoffice organisieren. Mein Ziel ist eine dauerhafte Gleichstellung der Staatsanwält*innen mit den Richter*innen. Allerdings möchte ich gerne die Kultur der Präsenz aufrechterhalten, um die vor allem sozialen Vorteile eines intensiven kollegialen Austauschs nicht aufzugeben. Über dieses Thema bin ich mit der Senatsverwaltung für Justiz im engen Austausch, die die Entscheidung für eine weitergehende Flexibilisierung der Präsenzpflicht treffen muss.

VOTUM: Zahlreiche Befreiungen vom Sitzungsdienst und von der nächtlichen Rufbereitschaft haben zuletzt zu einer Mehrbelastung vor allem jüngerer Kolleginnen und Kollegen geführt, darunter zahlreiche mit kleinen Kindern, was zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung führt. Zählen die Sorgen junger Eltern weniger als die Beschwerden Älterer? Auch die Standortentwicklung hat viele belastet, es gab heftige Diskussionen. Wird es Ihnen gelingen, das Chaos zu bändigen?

Raupach: Die Wahrnehmung des Sitzungsdienstes gehört zu den Kernaufgaben der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Bei der Einteilung werden – soweit dies möglich ist – auch die persönlichen Belange der Mitarbeitenden berücksichtigt. Befreiungen vom Sitzungsdienst erfolgen temporär aus gesundheitlichen oder aus organisatorischen Gründen – beispielsweise wegen der Gegenzeichnung von Assessor*innen. Ich lasse mir monatlich die Statistik der Sitzungsstunden vorlegen, um die persönliche Belastung der Kolleginnen und Kollegen beurteilen zu können. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung kann ich dem nicht entnehmen. Für die nächtlichen Rufbereitschaften wird ein Freizeitausgleich gewährt. Meiner Beobachtung nach zählen die Rufbereitschaften deshalb nicht zu den unbeliebten Diensten, im Gegenteil können neu zu besetzende nächtliche Rufbereitschaften in der Regel innerhalb weniger Minuten an Freiwillige vergeben werden.

Mit der durch den Haushaltsgesetzgeber ermöglichten temporären Anmietung des Gebäudes am Riedemannweg und dem damit verbundenen Umzug der Hauptabteilung 9 konnte im Campus Moabit der dringend benötigte Platz geschaffen werden, um die Raumsituation insgesamt zu entzerren. Die Umzüge sind derzeit nahezu abgeschlossen, ohne dass der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt worden ist.

VOTUM: Erfahrene Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind aufgrund der zahlreichen Neueinstellungen der letzten Jahre verstärkt mit der Einarbeitung dienstjunger Kolleginnen und Kollegen befasst. In den 1990er Jahren gab es Ausbildungsabteilungen. Warum wird dieser Ansatz nicht wieder aufgegriffen? Sind künftig Schulungen für die Ausbildung dienstjunger Kolleginnen und Kollegen angedacht? Wie wird eine einheitliche und gleichmäßig gute Einarbeitung sichergestellt?

Raupach: Die hoch engagierte und qualifizierte Einarbeitung der neu eingestellten Kolleginnen und Kollegen ist ein Markenzeichen der allgemeinen Abteilungen, auf das ich stolz bin. Die Bildung einer Ausbildungsabteilung wurde in der Staatsanwaltschaft zwar diskutiert, aber wegen der hohen Anzahl von Gegenzeichnungen schon aus organisatorischen Gründen verworfen. Um eine umfassende und einheitliche Ausbildung zu gewährleisten sind eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen worden, u.a. ein Workshop der Gegenzeichner*innen, in dem die Ausbildungsinhalte und Konzepte abgestimmt worden sind. Darüber hinaus haben wir eine Fortbildungsreihe für Assessor*innen mit insgesamt neun Modulen aufgelegt, in denen erfahrene Kolleginnen und Kollegen zu allen Bereichen der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit vortragen. Dieses Programm unterstützt die vom GJPA aufgelegte mehrtägige Fortbildungsveranstaltung zur Einführung in das staatsanwaltschaftliche Dezernat.

Um ein möglichst zeitnahes Feedback über die ersten Wochen der Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft zu erhalten findet beim stellvertretenden Behördenleiter, Herrn von Hagen, das sogenannte 4 Monatsgespräch statt, in dem die neuen Kolleginnen und Kollegen offen über ihre Erfahrungen berichten können. Das gibt uns wertvolle Hinweise darauf, wo wir erfolgreich ausbilden und in welchen Bereichen noch Verbesserungen möglich/nötig sind. Das Feedback der neuen Kolleginnen und Kollegen ist durchweg positiv.

VOTUM: In Berliner Bezirksämtern werden bereits Studienabsolventinnen und -absolventen nach dem 1. Staatsexamen als Dienstkräfte beschäftigt. Könnte dieses Modell für die Staatsanwaltschaften genutzt werden?

Koppers: Wir haben für verschiedene Bereiche die Idee erörtert, „wissenschaftliche Mitarbeitende“, also Jurist*innen mit dem 1. Staatsexamen, die auf die Übernahme ins Referendariat warten, einzustellen. Allerdings fehlen uns dafür die Haushaltsmittel, sodass wir diesen Weg bislang nicht gehen konnten.

VOTUM: Angesichts der Neueinstellungen könnte es in Zukunft wieder zu einer unausgewogenen Altersverteilung kommen, was wiederum eine starke Konkurrenz um Beförderungsstellen erwarten lässt. Wie wollen Sie darauf reagieren – und wann?

Koppers: Ich bin sehr froh darüber, dass wir in dieser Legislatur offensiv einstellen dürfen, um eine gesunde Mischung der Generationen und eine deutliche Verjüngung der Staatsanwaltschaft zu erreichen. Das ist für mich alternativlos. Die neu zu uns kommenden Jurist*innen haben zudem sehr unterschiedliche Biografien (direkt vom 2. Examen, mehrjährige Berufstätigkeit in anderen Feldern oder Versetzungsbewerbungen aus anderen Bundesländern). Deshalb sehe ich das von Ihnen beschriebene Konkurrenzproblem auch nicht als problematisch an.

VOTUM: Wie beurteilen Sie die Akzeptanz der unter dem jetzigen Senator getroffenen Beförderungsentscheidungen durch die Berliner Staatsanwältinnen und Staatsanwälte? Kommt Kritik bei Ihnen an?

Koppers: Wir haben zahlreiche Beförderungsverfahren initiiert, vom Gruppenleitervorgang über zwei R-2 bis hin zu drei R-3-Vorgängen. Sämtliche Verfahren folgen rechtsförmlichen Regeln und orientieren sich an den Grundsätzen der Bestenauslese. Entscheidende Grundlage für die Auswahl sind die dienstlichen Beurteilungen, die im Wesentlichen von den unmittelbaren Vorgesetzten vorbereitet werden. Kritik, vor allem der unterlegenen Bewerber*innen, hat es zu jeder Zeit gegeben und wird es immer geben; das liegt in der Natur der Sache. Dass es jetzt auch mehr Frauen sind, die ausgewählt werden, folgt der schrittweisen Auflösung des Gerechtigkeitsdefizits, das über die Jahre entstanden ist. Gleichwohl gibt es bis zur vollständigen Gendergerechtigkeit noch Nachholbedarf, insbesondere im R2-Bereich (aktuell 39 Männer, 14 Frauen).

VOTUM: Inwieweit sehen Sie sich bei Personalentscheidungen, aber auch im Ermittlungsbereich, von der Senatsverwaltung beeinflusst?

Koppers: Ich habe bislang keinerlei politische Einflussnahme auf Entscheidungen zu Einzelpersonalien oder auf konkrete Ermittlungsverfahren erlebt. Dass die Senatsverwaltung für Justiz Einstellungs- und Beförderungsbehörde für den kompletten richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst ist, sichert die Einhaltung justizweit einheitlicher Maßstäbe. In keinem Fall sind wir bislang aber mit unseren Vorschlägen nicht durchgedrungen.
Und in allgemeinen Themen der Rechtspflege nehme ich die Besprechungen mit den Vertreter*innen der Senatsverwaltung auf unterschiedlichster Ebene als von gegenseitigem Respekt und hoher Fachkenntnis geprägt sowie auf Augenhöhe geführt wahr. Dass beim Austausch der unterschiedlichen Perspektiven und Positionen eine wechselseitige Beeinflussung passiert, liegt in der Natur der Sache und ist Sinn jeglicher - fachlicher - Diskussion. Davon profitieren beide Seiten.

VOTUM: Beförderungsentscheidungen sind gerichtlich überprüfbar. Anders sieht es mit Personalentscheidungen wie Umsetzungen, Abordnungen, der Einsetzung als AL-Vertreterin oder -Vertreter und der Übertragung von Sonderaufgaben aus, die für eine spätere Beförderung dienlich oder gar unerlässlich sind. Wie stellen Sie sicher, dass auch auf dieser Stufe niemand bevorzugt wird und jeder seine Leistung unter Beweis stellen kann? Halten Sie bei den eben angesprochenen Personalentscheidungen die Berücksichtigung von Gesichtspunkten für zulässig, die bei Beförderungsentscheidungen nicht berücksichtigt werden? Wenn ja, welche zum Beispiel? Liegt bei der Staatsanwaltschaft ein mit der Generalstaatsanwaltschaft und der Senatsverwaltung abgestimmtes Personalentwicklungskonzept für den höheren Dienst vor?

Raupach: Personalentwicklung setzt bei uns immer die Einbindung der Betroffenen und ihrer unmittelbaren Dienstvorgesetzten voraus. Im Vordergrund stehen dabei die bislang gezeigten dienstlichen Leistungen und das jeweilige Interesse an der Wahrnehmung von Führungsaufgaben. Abordnungen an andere Behörden geht nahezu ausnahmslos ein Interessenbekundungsverfahren voraus, auf das sich jeder und jede bewerben kann. Unabhängig von der konkreten Auswahlentscheidung nutze ich die Interessenbekundungen, um mit den Kolleginnen und Kollegen über ihre Entwicklungsmöglichkeiten ins Gespräch zu kommen.

Die Besetzung von dauerhaften Vertretungsstellen folgt einem transparenten System. Überwiegend werden sie mit bereits erprobten oder zur Erprobung vorgesehen Kolleginnen und Kollegen besetzt. In den übrigen Fällen wählen wir die Kolleg*innen in enger Abstimmung mit den Abteilungs- und Hauptabteilungsleitungen unter Berücksichtigung vor allem der dienstlich gezeigten Leistungen aus. Bei der dauerhaften Besetzung von Vertretungsstellen in Abteilungen ohne Leitung werden vor der jeweiligen Umsetzung auch die Personalvertretungsgremien eingebunden.

Die unmittelbaren Dienstvorgesetzten nutzen darüber hinaus die Jahresgespräche, um das grundsätzliche Interesse an der beruflichen Weiterentwicklung in vertikaler wie horizontaler Richtung zu erfragen. Die Kolleginnen und Kollegen suchen zudem gerne das Gespräch mit der Leiterin der Personalabteilung in der Staatsanwaltschaft.

Für alle Staatsanwält*innen besteht zudem die Möglichkeit, ihr Engagement für die Staatsanwaltschaft beispielsweise in behördenübergreifenden Gesprächsrunden und als Vortragende in Inhouse-Veranstaltungen zu zeigen. Hierzu rufe ich über die Hauptabteilungsleitungen und durch Interessenbekundungsverfahren regelmäßig auf. Und tatsächlich finden sich erfreulicherweise immer viele Kolleginnen und Kollegen, die sich trotz hoher Arbeitsbelastung dazu bereit erklären. Das ist für mich übrigens ein Zeichen guten kollegialen Zusammenhalts, auch über die Generationengrenzen hinweg.

Wir haben gemeinsam mit Generalstaatsanwaltschaft und Senatsverwaltung für Justiz das Programm „Kompetenz+“ aufgelegt, von dem Staatsanwält*innen auf dem Weg hin zur Führung profitieren und das wir künftig gerne ausweiten möchten. Die erste Gruppe aus diesem Programm hat den Projektauftrag übernommen, ein Personalentwicklungskonzept zu entwickeln. Auch wenn Corona den Fortgang des Projekts gebremst hat, so bin ich doch zuversichtlich, dass die Projektgruppe Erfolg haben wird.

VOTUM: Wie beurteilen Sie die Herausnahme von Sonderzuständigkeiten aus Spezialabteilungen oder die Auflösung von Spezialabteilungen? Gilt „Attraktivität vor Effektivität“? Ist mit weiteren Verschiebungen in allgemeine Abteilungen zu rechnen?

Raupach: Im Zusammenhang mit der Einrichtung der Zentralstelle Hasskriminalität habe ich mich entschlossen, den zwei mit der Bearbeitung dieses Phänomens befassten Abteilungen die Möglichkeit zu geben, sich auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Bei dieser Gelegenheit habe ich gerne die Diskussion im Haus aufgegriffen, wie sich die Arbeit in den allgemeinen Abteilungen, gerade auch für die dienstjüngeren Kolleginnen und Kollegen, attraktiver gestalten lässt. Im Ergebnis habe ich jeder allgemeinen Abteilung eine „Spezialzuständigkeit“ zugewiesen. Hierfür ist aber keine Spezialabteilung aufgelöst worden. Für mich schließen sich Attraktivität und Effektivität nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil: Die Effektivität der Strafverfolgung wird sich in vielen Bereichen - beispielsweise bei der Verfolgung von Verkehrsunfällen mit Todesfolge, Enkeltrickdelikten, ärztlichen Kunstfehlern, Kunstdelikten und Tierschutzdelikten - steigern, die zuvor dezentral in allen allgemeinen Abteilungen bearbeitet wurden. Ab dem Januar 2021 wird jede allgemeine Abteilung eine Spezialzuständigkeit bearbeiten. Die Umsetzung dieser Entscheidungen werden wir evaluieren und sodann ggf. nachsteuern.

VOTUM: Die Bekämpfung der sog. Hasskriminalität steht im Fokus der politischen Umgestaltung der Staatsanwaltschaft. Gibt diese Entwicklung den Beleidigungs- und Bedrohungsdelikten einen Bedeutungsüberhang gegenüber anderen Straftaten?

Koppers: Die Einrichtung einer Zentralstelle Hasskriminalität war und ist notwendig, um den sich dramatisch verändernden gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht zu werden. Hasskriminalität ist ein unser demokratisches Zusammenleben grundlegend in Frage stellendes Phänomen, dass vor allem im rechtsextremen Feld gar nicht ernst genug genommen werden kann. Zahlreiche rechtsterroristische Anschläge der letzten Zeit belegen, dass aus vor allem viral verbreiteten Hassbotschaften brutale Gewalt folgt. Beispielhaft sei auf die Demonstrationen und Aktionen der sog. Querdenker verwiesen, die sich ebenfalls sehr schnell in diese Richtung entwickeln. Aber auch von linksextremer Seite nehmen virale Hassbotschaften und Gewalttaten zu.

Die Zusammenführung der beiden sich vorwiegend mit politisch motivierten Straftaten befassenden Abteilungen in einer Hauptabteilung ist daher überfällig. Gleiches gilt für die Herauslösung von Zuständigkeiten aus diesen Abteilungen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Auf diese Weise soll zudem Kapazität geschaffen werden, um die zu erwartende Verfahrensflut aus der Umsetzung des aktuell noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen „Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ (BR Drs. 339/20) auffangen zu können. Der Gesetzentwurf selbst geht von 250.000 TMDA-Verdachtsmeldungen aus, die etwa 150.000 neue Strafverfahren nach sich ziehen werden. Wegen der Hauptstadtfunktion Berlins rechnen wir hier mit einem hohen vierstelligen Eingang von Verfahren. Bundesweit entwickeln die Strafverfolgungsbehörden unterschiedliche Modelle, um die Verfahrensflut zu bewältigen. Köln und Frankfurt sind führend, Berlin hat sich dem mit der Zentralstellengründung angenähert.

VOTUM: Wie stehen Sie zu einer Abschaffung oder Einschränkung des externen Weisungsrechts?

Koppers: Ich trete für die Abschaffung des externen Weisungsrechts – zumindest – im Einzelfall ein. Gemeinsam mit dem Vertreter des Deutschen Richterbundes habe ich diese Auffassung in der Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages am 6. Mai 2020 auch öffentlich vertreten. Da die politischen Verhältnisse aber so sind wie sie sind, haben wir kein Gehör gefunden. Gleichwohl setze ich mich weiter dafür ein, dass die Stellung der Staatsanwaltschaft zumindest im europäischen Kontext keinen – weiteren – Schaden nimmt. Deshalb habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen in der AG Europa der Generalstaatsanwält*innen und des Generalbundesanwalts (GBA) einen Beschluss als Kompromissvorschlag entwickelt, mit dem die Abschaffung des externen Weisungsrechts im Einzelfall jedenfalls für die europäische Zusammenarbeit gefordert wird. Dieser von allen Generalstaatsanwält*innen Deutschlands und vom GBA getragene Beschluss liegt inzwischen dem BMJV vor. Ich hoffe sehr, dass wir mit diesem Vorstoß Erfolg haben werden.

VOTUM: Sehen Sie Ihr Amt als ein politisches an?

Koppers: Als Generalstaatsanwältin in Berlin bin ich einerseits Behördenleiterin, die sich gegenüber der Politik für die Interessen der Strafverfolgungsbehörden und der in ihnen arbeitenden Menschen einsetzt. Andererseits ist das Amt der Generalstaatsanwältin aber auch ein gesellschaftspolitisch sehr wichtiges. Neben der für uns unabdingbaren engen Zusammenarbeit mit den anderen Generalstaatsanwält*innen und dem GBA sowie den Leitungen der anderen Sicherheitsbehörden stehe ich in der Außendarstellung vor allem als Ansprechperson für Netzwerk-partner*innen aus den unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Bereichen (Zivilgesellschaft, Verbände, Kirchen und Religionsvereinigungen wie die Jüdische Gemeinde zu Berlin, Politik und Medien) zur Verfügung. In diesem Umfeld die Strafverfolgungsbehörden Berlins zu repräsentieren und für die Sorgen und Nöte der Menschen in der Stadt ansprechbar zu sein, sehe ich als eine meiner Kernaufgaben an.

VOTUM: Zum Abschluss: Lassen sich in Ihrem Amt eigene Prioritäten umsetzen? Welche sind das, welche Ziele verfolgen Sie?

Koppers: Strafverfolgungsbehörden und ihre Führungskräfte sind Teil eines staatlichen Systems, das gesellschaftspolitischen Entwicklungen und neuen Kriminalitätsphänomenen Rechnung tragen muss. In diesem Rahmen und unter den finanziellen Bedingungen, mit denen wir hier in Berlin alle leben müssen, bleibt gleichwohl ein Gestaltungsspielraum. Diesen Raum fülle ich im guten Einvernehmen mit den Leitungen der Staats- und Amtsanwaltschaft bestmöglich aus. Genannt sind schon unsere Aktivitäten und Erfolge bei der kontinuierlichen Gewinnung von Nachwuchs in allen Laufbahnen, der weiteren Modernisierung der IT-Landschaft, der räumlichen Entzerrung im Campus Moabit und der Entgegnung auf neue oder sich verändernde Kriminalitätsphänomene. Neben diesen im Vordergrund stehenden Themen setze ich mich aber auch für eine weitere Öffnung der Strafverfolgungsbehörden in Richtung der Zivilgesellschaft und eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit ein. Nach meiner Überzeugung können wir nur dann erfolgreich sein, wenn wir das Vertrauen der Bevölkerung in uns erhalten und stärken. Dafür ist eine transparente und verständliche Darstellung unserer täglichen Arbeit essenziell.

VOTUM: Wir danken Ihnen für das Interview.