Transformation in der ordentlichen Gerichtsbarkeit
Transformation in der ordentlichen Gerichtsbarkeit
Zahlreiche Verfahrensordnungen schreiben vor, dass spätestens ab dem 1. Januar 2026 Verfahrensakten digital geführt werden müssen. Die Einführung der elektronischen Akte ist eine große Herausforderung für die Anwendenden, aber auch für die Verwaltung. Der Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Stand. Der Autor ist Richter am Kammergericht und Dezernent für IT-Angelegenheiten
Am 28. September 2024 berichtete DER SPIEGEL unter der Überschrift „Neue Software lähmt Gericht“ über die Umstellung von der Fachanwendung AuLAK auf die neue Fachanwendung forumSTAR beim Landgericht Berlin I. Die Freude über solche Schlagzeilen ist begrenzt. Sie wird der Arbeit der vielen Mitarbeitenden aus den Projektteams der Justiz in keiner Weise gerecht. Was aber war Hintergrund der SPIEGEL-Nachricht, die der Berliner Tagesspiegel einige Tage später ohne Benennung der ursprünglichen Quelle nachdruckte? Im Berliner Landgericht für Strafsachen, dem Landgericht Berlin I, hat in der Woche vor und nach der Umstellung auf das neue Fachverfahren – bewusst in die Berliner Herbstferien gelegt, in denen es ohnehin ruhiger zugeht - nur ein sehr reduzierter Sitzungsbetrieb stattgefunden, um insbesondere den Mitarbeiter*innen auf den Geschäftsstellen Freiräume zur Einarbeitung in die neue Software zu geben. Der Vorgang zeigt exemplarisch:
Die IT und Fachverfahren in der ordentlichen Gerichtsbarkeit verändern sich, und zwar mit erheblicher Geschwindigkeit. Das ist auch gut so, denn zahlreiche Verfahrensordnungen ordnen die elektronische Führung von Verfahrensakten verpflichtend zum 1. Januar 2026 an.
Das führt zu mancher Erschwernis und manches könnte schneller und besser gehen. Hierzu gehört auch ausdrücklich die Geschwindigkeit der eAkten-Systeme und der gerichtlichen SBC-Umgebung. Deshalb hier ein Blick auf das Erreichte und das was noch vor uns liegt:
Zivilrecht
Seit dem Oktober 2024 arbeiten alle Berliner Familiengerichte mit der elektronischen Akte. Ab März dieses Jahres schließt sich mit den Amtsgerichten Mitte und Spandau der Kreis für alle weiteren Berliner Amtsgerichte im Zivil- und Betreuungsbereich. Ab diesem Zeitpunkt werden knapp 2.000 Beschäftigte der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit der elektronischen Akte arbeiten. Insgesamt mehr als 120.000 elektronische Verfahren wurden beim Landgericht für Zivilsachen, dem Kammergericht und den zivilen Amtsgerichten bereits angelegt und werden dort bearbeitet.
Für den Bereich des Zivilprozesses zeigt sich, dass nach relativ kurzer Zeit ein erheblicher Teil der Verfahren als elektronische Akte bearbeitet wird. So werden derzeit beispielsweise am Landgericht in Zivilsachen 80 Prozent und am Kammergericht rund 2/3 der Verfahren elektronisch bearbeitet. In beiden Gerichten wird seit Ende 2023 mit der eAkte gearbeitet. Am Amtsgericht Köpenick und dem Amtsgericht Schöneberg ist die Quote noch höher.
Auch die Zahlen aus dem elektronischen Rechtsverkehr sind beeindruckend. So erhalten wir in der ordentlichen Gerichtsbarkeit mittlerweile pro Monat fast eine Viertelmillion Nachrichten und versenden beinahe ebenso viele Nachrichten pro Monat. Die Tendenz ist auch hier steigend. Ansteigen wird mit dem zunehmenden Einsatz der elektronischen Akte zunächst auch die Notwendigkeit des Scannens von Dokumenten.
Die Entwicklungen beim Einsatz der elektronischen Akte geben Raum, neben den laufenden Einführungen auch über elektronische Verfahrensunterstützung zu sprechen. Am Landgericht in Zivilsachen und dem Kammergericht wird deshalb in den kommenden Monaten ein Tool zur Strukturierung und Kollaboration in der eAkte mit einem begrenzten Kreis von Kolleginnen und Kollegen getestet werden.
Nicht von der Hand zu weisen ist, dass Stabilität und Geschwindigkeit der Fachverfahren verbesserungswürdig sind. Mit Blick auf die SPIEGEL-Schlagzeile mag ich noch nicht von einer Lähmung sprechen. Die immer wieder und im Februar massiv aufgetretenen Schwierigkeiten lassen uns und den für den Betrieb der Fachverfahren zuständigen IT-Dienstleister nicht kalt. Die Probleme werden vielmehr mit viel Kraft und Personal bearbeitet. Zudem treffen wir tagtäglich zusammen mit dem IT-Dienstleister des Landes Berlin Maßnahmen zur Verbesserung der Geschwindigkeit der Umgebung. Dies geschieht durch die Bereitstellung von mehr Servern für unsere digitale Arbeitsumgebung SBC, Versionswechseln der Fachverfahren und der eAkte und mehr Rechenleistung in den Datenbank- und Speichersystemen. Zudem gibt dies aus meiner Sicht Grund zur Zuversicht, dass sich die Routinen in der eAkten-Bearbeitung mit der Zeit weiter festigen und dies zumindest einen Teil der empfundenen Zusatzbelastung abfedern wird. Die jetzt durch den noch andauernden Umstellungsprozess bedingte Herausforderung, regelmäßig zwischen Papier- und eAkten-Bearbeitung zu wechseln und so zwei Geschäftsprozesse im Kopf haben zu müssen, wird sich durch Zeitablauf ebenso verringern wie die Anzahl der Hybridakten, in denen derzeit noch zusätzliche Handgriffe nötig sind.
Für das Jahr 2025 stehen weitere Einführungen an: Bereiche, die ebenfalls mit dem Fachverfahren forumSTAR bearbeitet werden, statten wir mir der eAkte aus.
Dies betrifft sukzessive die Insolvenz- und Vollstreckungsabteilungen. Gleiches gilt für die Nachlassabteilungen der Gerichte, die neben der elektronischen Akte noch eine Versorgung mit dem Fachverfahren forumSTAR in diesen Bereichen benötigen. Auf Wunsch der Gerichte sollen zudem in den Betreuungsabteilungen der Gerichte peu à peu auch die Altverfahren elektronisch bearbeitet werden. Dies soll im Wege der hybriden Aktenführung erfolgen. Papierne Altverfahren sollen als elektronische Akte fortgeführt werden. Ein Scannen der Altverfahren ist insoweit nicht erforderlich. Beginnen soll dies im Amtsgericht Schöneberg, wo seit März 2023 alle neuen Betreuungsverfahren elektronisch geführt werden. Im Übrigen wird aber die organisatorische und technische Optimierung von Geschäftsprozessen, die durch die eAkten-Einführung verstärkt in den Fokus gelangt sind, eine Daueraufgabe bleiben. Werden Arbeitsabläufe als unbefriedigend empfunden, sollte dies frühzeitig adressiert werden, damit Alternativen eruiert werden können. Das Kammergericht wird hierbei auch über das Einführungsgeschehen hinaus mit der technischen und fachlichen Expertise des Stabsbereichs E-Justice und der forumSTAR-Fachgruppen unterstützen.
Strafrecht
Im Strafrecht sind mit der Einführung des Fachverfahrens forumSTAR im Jahr 2024 am Amtsgericht Tiergarten und dem Landgericht für Strafsachen die Voraussetzungen für die Einführung der elektronischen Akte geschaffen worden. Mit hohem fachlichem und personellen Aufwand wurden die Altverfahren nach forumSTAR migriert und alle Mitarbeitenden im Amtsgericht Tiergarten und dem Landgericht in der neuen Fachanwendung geschult. Die Strafsenate des Kammergerichts erhalten die Fachanwendung im März 2025. Ein zwingender Schritt – mancher mag sagen „notwendiges Übel“ – auf dem Weg zur auch im Strafverfahren verbindlich einzuführenden elektronischen Akte, vgl. § 32 StPO. Andererseits ist aber zu bedenken, dass die Strafsenate des Kammergerichts bislang ohne jede Fachanwendung arbeiten und für die Schriftguterstellung allein das Programm MS Word nutzen.
Die Einführung von eIP im Bereich der Berliner Strafjustiz ist für das Jahr 2025 vorgesehen.
Dies wird in enger Abstimmung mit der Polizei Berlin, der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, der Staatsanwaltschaft Berlin, der Amtsanwaltschaft Berlin und den Strafgerichten erfolgen. So hat eine Abstimmung über Prozesse und Vereinbarungen für den Gang der elektronischen Akte zwischen den verschiedenen Beteiligten des Strafverfahrens zu erfolgen. Nur gemeinsam mit allen Beteiligten kann dieser Sprung ins kalte Wasser der Volldigitalisierung der Strafgerichte gelingen. Ein Sprung wie in die Tiefen des Atlantiks, so kommt es einem vor. Denn nicht nur in der Berliner Justiz wird die Einführung der elektronischen Akte im Strafbereich als eine der größten Herausforderungen auf dem Weg in eine vollständig digitale Zukunft der Justiz gesehen. Nachdem nun bereits fast alle Fachbereiche der ordentlichen Gerichtsbarkeit Berlins diesen Sprung bewältigt haben, stehen die Strafgerichte noch auf dem 10-Meter-Turm, bereit zum Absprung. Mit der geballten Erfahrung aus den anderen Einführungsprojekten und den Erfahrungen aus der Praxis ist dieser Sprung kein Sprung ins Ungewisse. Dieser Sprung-Aufgabe darf zwar angesichts der engen zeitlichen Vorgaben des Gesetzgebers sicher nicht mit Gelassenheit, wohl aber mit Zuversicht entgegengesehen werden.
Dr. Martin Müller-Follert