Früher war es nahezu undenkbar: Junge Kolleginnen und Kollegen kehren der Justiz den Rücken.
Früher war es nahezu undenkbar: Junge Kolleginnen und Kollegen kehren der Justiz den Rücken.
Wir haben mit einem von ihnen über die Gründe und Verbesserungspotential gesprochen. Der Fall zeigt, dass die Berliner Justiz in einer gewandelten Arbeitswelt nicht einfach so weiter machen kann, wie vor 30 Jahren. Berlin braucht dringend mehr Flexibilität, um als Arbeitsgeber konkurrenzfähig zu bleiben.
Aschkan, Du verlässt die Berliner Justiz kurz vor der eigentlich bevorstehenden Ernennung auf Lebenszeit. Was sind die Gründe?
Nach 2 Jahren und 8 Monaten verlasse ich den proberichterlichen Dienst, weil ich ein LL.M.-Studium in den USA absolvieren möchte. Seit ein paar Tagen bin ich nun offiziell aus dem richterlichen Dienst entlassen und bereits in Kalifornien.
War es denn Dein Wunsch, ganz aus der Berliner Justiz auszuscheiden?
Nein, ganz und gar nicht. Ich wollte mir nur meinen Traum erfüllen und für weniger als ein Jahr ein LL.M.-Studium in den USA absolvieren.
Hätte es nicht die Möglichkeit einer Beurlaubung gegeben?
Doch, die Möglichkeit einer Sonderbeurlaubung gibt es. Die Rechtsgrundlage dafür ist § 10 Abs. 1 der Sonderurlaubsverordnung (Berlin), welche es in das Ermessen des Dienstherrn stellt, ob er eine Sonderbeurlaubung gestattet oder nicht. Das Kammergericht hat meinen Antrag auf eine Beurlaubung unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge abgelehnt. Im Wesentlichen hieß es in der Ablehnungsentscheidung, dass bei der Aufnahme des LL.M.-Studiums meine privaten Interessen im Vordergrund stünden und ich - wie aus meinem Lebenslauf ersichtlich sei - bereits verhandlungssicher die englische Sprache beherrsche, was für die Berliner Justiz ausreichend sei. Nachdem ich dagegen Widerspruch einlegte, bekam ich im Nachgang die Nichtabhilfeentscheidung des Kammergerichts vorgelegt, die allerdings nicht an mich adressiert war, sondern an die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz.
Du bist inzwischen ein erfahrener Richter, sprichst mehrere Sprachen fließend, hast Migrationshintergrund. Die Senatsverwaltung wünscht sich mehr Diversität und Kollegen wie dich. Warum hat man keine Ausnahme zugelassen?
Im Ergebnis habe ich lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung durch die Behörde. Berlin hat entschieden, wie es wohl bisher auch üblich war. Nicht ganz ausschließen kann ich aber, dass meine kurze Abordnung an die Senatsverwaltung und der Widerruf meiner Abordnung hierbei eine Rolle gespielt haben. Ich war einer von mehreren abgeordneten Kollegen, bei denen sich zwischen Stab und Abgeordnetem keine funktionierende Zusammenarbeit eingestellt hat. Das ist natürlich rein spekulativ.
Hat die Ablehnungsentscheidung dich enttäuscht oder wütend gemacht?
Weder noch. Sie hat bestätigt, dass die Verwaltung immer noch unflexibel und teils intransparent ist, insbesondere auf alternative Lebensmodelle nicht angemessen reagieren kann oder will. Ständig hört man auf Veranstaltungen, wie flexibel und vielseitig die Berliner Justiz doch sei. Aber was Flexibilität und Vielseitigkeit bedeutet, definiert immer noch das Kammergericht selbst. Mit anderen Worten: Flexibel ist der Dienstherr, wenn es um Familiengründung und Planung geht. Aber sich darauf auszuruhen, finde ich eher schwach als Vorteil gegenüber der freien Marktwirtschaft. Schließlich ist die Vereinbarkeit von Familie mit (staatlichen) Berufen über Art. 6 Grundgesetz garantiert und keine Sonderleistung durch die Einstellungsbehörden.
Wie haben Deine Kolleginnen und Kollegen auf die Ablehnungsentscheidung reagiert?
Mit Unverständnis. Keinem Kollegen und keiner Kollegin, unterschiedlichen Dienstalters, leuchtete die Entscheidungen ein, mich ganz ausscheiden zu lassen, statt zu beurlauben. Oft hörte ich den Satz: "Warum lassen die keine Beurlaubung zu? Wir haben doch Personalmangel?".
Was muss sich in der Berliner Justiz verändern, damit wir attraktiv werden für talentierten Nachwuchs?
Der Beruf des Richters und Staatsanwaltes ist durchaus attraktiv: Verantwortung vom ersten Tag in einer sinnstiftenden Tätigkeit. Ich bin jedoch der Auffassung, dass es eines radikalen Umdenkens bedarf. Mit der freien Wirtschaft kann der Justizdienst (schon lange) nicht mehr mithalten. Aus der Sicht eines Proberichters braucht es mehr Transparenz in den Verwaltungsentscheidungen, mehr Mitspracherechte für die Proberichterinnen und Proberichter, mehr "Onboardings" und damit auch eine Anpassung an den privaten Sektor, wo das Vorgenannte und vieles mehr längst auf der Tagesordnung steht – ganz abgesehen von der finanziellen Unterstützung der Großkanzleien bei der Aufnahme eines LL.M. Studiums auch während der Zeit als Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin. Damit meine ich nicht, dass – wie bei namhaften Großkanzleien – täglich frisches Obst bereitgestellt werden soll oder Kaffeebohnen vorhanden sind. Wir sind fiskalfinanziert! Aber eine Grundversorgung mit ausreichenden (!) Wasserspendern, Geschirrspülmaschinen und vielleicht mehr als 500 MB Outlook-Speicherplatz sollten im öffentlichen Dienst auch kein Luxus sein. Zudem sollte es die Regel sein, dass gerade in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sämtliche Säle mit ausreichender Technik versorgt sind und nicht erst "auf Verfügung". Solange die Landesjustiz es sich nicht zur Aufgabe macht, die Justiz nachhaltig auszustatten und das Denken aus dem letzten Jahrhundert aufzugeben, wird sich meines Erachtens nichts an der derzeitigen Lage ändern.
Wirst Du nach Deinem LL.M. in die Justiz zurückkehren?
Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten, wüsste aber derzeit nicht, warum ich das tun sollte. Ich würde mit einer Zusatzqualifikation aus den USA zurückkehren, ich werde in der Wirtschaft aber auch im Öffentlichen Bundesdienst gute Angebote finden. In Berlin müsste ich mich nochmal für den Proberichterdienst (Bewerbung, Auswahlverfahren, Richterwahlausschuss, amtsärztlicher Untersuchung usw.) bewerben. Loyalität ist eben keine Einbahnstraße. Einen Beruf als Rechtsanwalt im privaten Sektor ziehe ich zum jetzigen Zeitpunkt der vorherigen Tätigkeit daher vor.
Aschkan, ich finde es schade, dich als Kollegen zu verlieren. Ich wünsche dir für Dein Studium in den USA alles Gute. Vielen Dank für die offenen Worte.
Das Interview führte Dr. Stefan Schifferdecker