Tragen religiöser Symbole im juristischen Vorbereitungsdienst

Die Ausbilderinnen und Ausbilder dürfen mit der sehr schwierigen, vielschichtigen und komplexen Prüfung, wann eine Person, die offen religiöse Symbole trägt, eine Sitzung leiten oder eine Sitzungsvertretung übernehmen kann, nicht allein gelassen werden.

Der Vorstand erfuhr Ende Juni dieses Jahres von einem Schreiben des Präsidenten des Kammergerichts an den Vorsitzenden des Hauptrichter- und Hauptstaatsanwaltsrats. Der Kammergerichtspräsident teilte dort seine Absicht mit, die Verwaltungspraxis im Hinblick auf Referendarinnen mit religiös konnotiertem Kopftuch vor dem Hintergrund des Beschlusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2020 (2 BvR 1333/17) zeitnah zu ändern. Er berichtete, Referendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst in Berlin würden bislang dann, wenn sie nicht bereit seien, das Kopftuch für die Ausübung hoheitlicher Befugnisse abzulegen, gemäß § 1 Neutralitätsgesetz Berlin, § 22 Abs. 3 JAO von der Ausübung hoheitlicher Befugnisse ausgeschlossen. Eine Möglichkeit, mit religiös konnotiertem Kopftuch gemäß § 10 GVG Sitzungsleitungen oder Beweisaufnahmen durchzuführen oder gemäß § 142 Abs. 3 GVG Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft zu übernehmen, sei mithin nicht eröffnet.

Diese Verwaltungspraxis bedürfe angesichts aktueller verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung einer Korrektur. Bereits ab dem 1. August 2020 solle daher bei Eintritt einer Referendarin mit Kopftuch in den juristischen Vorbereitungsdienst nur ein eingeschränkter Ausschluss von der Ausübung hoheitlicher Befugnisse gemäß § 1 Neutralitätsgesetz erfolgen, nämlich dann, wenn die betreffenden Referendarinnen bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben nicht unter ständiger und für Dritte offensichtlich erkennbarer Aufsicht, Beobachtung und Kontrolle ihres richterlichen oder staatsanwaltlichen Ausbildenden tätig seien. Ob eine Sitzungsleitung oder Sitzungsvertretung unter dieser Voraussetzungen übertragen werde, solle künftig eine Entscheidung sein, die die Ausbilder und Ausbilderinnen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – wie Eignung und Bereitschaft der Referendarin, Eignung des Verfahrens, mediales Interesse am Verfahren, Sensibilität des Verfahrensgegenstandes usw. – treffen müssten.

Der Vorstand wandte sich aufgrund dieses Schreibens sofort an den Präsidenten des Kammergerichts. Er stimmte der Auffassung zu, dass die bisherige Verwaltungspraxis überdacht und im Ergebnis geändert werden sollte. Er stellte aber auch klar, dass die Ausbilderinnen und Ausbilder mit der sehr schwierigen, vielschichtigen und komplexen Prüfung, wann eine Person, die offen religiöse Symbole trägt, eine Sitzung leiten oder eine Sitzungsvertretung übernehmen kann, nicht allein gelassen werden dürfen.

Der Vorstand regte wegen der Sensibilität und des zweifellos hohen medialen Interesses – das es damals noch nicht gab, aber voraussehbar war – des Themas an, sofort und unter Beteiligung unter anderem der Landesstelle für Gleichbehandlung und des Richterbundes Berlin mit der Erarbeitung einer stets zu aktualisierenden Handreichung zu beginnen, die den Ausbilderinnen und Ausbildern wie bei einer Checkliste ein Prüfungsprogramm aufzeigt. Die Ausbilderinnen und Ausbilder müssten klare Vorgaben erhalten, in welchen Ausbildungssituationen ein Tragen religiöser oder weltanschaulicher Symbole innerhalb des Dienstes weiter untersagt ist und in welchen nicht. Er regte ferner an, abzufragen, wie sich eine Ausbilderin oder ein Ausbilder entschieden hat und welche Gründe leitend waren. Er bat darum, diese Angaben anonymisiert künftig allen Ausbilderinnen und Ausbildern zur Leitung ihres Ermessens zur Verfügung zu stellen. Innerhalb des Referats für Referendarangelegenheiten müsste außerdem eine Person erkennbar als Ansprechpartner zu diesem Thema zur Verfügung stehen und allen Ausbilderinnen und Ausbildern benannt werden. Schließlich sei für einen ganz regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit anderen Personalstellen zu sorgen und seien die Ergebnisse den Ausbilderinnen und Ausbildern aktiv zur Verfügung zu stellen. Möglich wäre auch eine Arbeitsgruppe, die in unregelmäßigen Abständen alle Maßnahmen auf ihre Eignung prüft, die Erfahrungen sammelt und analysiert. Im Übrigen sollte die Verwaltungsregelung nicht auf das Tragen von Kopftüchern beschränkt werden, sondern generelle Regelungen zum Tragen von religiösen und weltanschaulichen Symbolen treffen.

Der Kammergerichtspräsident hat dem Vorstand auf dieses Schreiben bereits Anfang August geantwortet. Er teilte uns mit, die Anregung zur Erstellung einer Handreichung aufgenommen zu haben und übermittelte einen Entwurf, den er durch fortlaufende Einholung von Stellungnahmen und Erfahrungsberichten zu ergänzen und zu aktualisieren beabsichtige. Ferner habe er das Thema auf die Tagesordnung der im September 2020 anstehenden Bundestagung für die Ausbildungsleiterinnen und Ausbildungsleiter in Berlin genommen. Darüber hinaus werde er in den regelmäßigen Treffen der für die Referendarausbildung zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der einzelnen Ausbildungsstellen die Erfahrungen der ausbildenden Kolleginnen und Kollegen erfragen und gegebenenfalls in die Handreichung einarbeiten. Schließlich sagte er zu, Informationsschreiben an alle Referendarinnen und Referendare zu richten, die die eigene Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft durch andere erkennbare Symbole oder andere Bekleidungsgegenstände sichtbar werden lassen.

Wer die regionale, aber auch überregionale Tagespresse verfolgt hat, konnte feststellen, dass das Thema mittlerweile die Öffentlichkeit erreicht hat. Dort werden die Dinge teilweise sachfern dargestellt. Inhaltlich wenigstens im Kern zutreffend war allerdings ein Bericht der LTO vom 4. September 2020. Soweit diese behauptet, man verwehre den Referendaren, die offen religiöse Symbole tragen, das Tragen der richterlichen Robe, dürfte dies allerdings ein Missverständnis sein. Keine Referendarin und kein Referendar sollten eine Robe tragen. Etwa im Tagesspiegel vom 5. September 2020 insinuierte die Überschrift hingegen, die Änderung der Verwaltungspraxis sei vom Justizsenator ausgegangen. Erst wer den Bericht genau liest, wird (falsch) darüber informiert, nicht der Senator, sondern Justizprüfungsamt und das Kammergericht hätten die Entscheidung getroffen, dass Rechtsreferendarinnen hoheitliche Aufgaben wahrnehmen dürfen, wenn der Ausbilder mit dabei sei. Wie hier ausgeführt, ist es hingegen eine Aufgabe des Ausbilders, die Entscheidung zu treffen, ob Personen, die offen religiöse Symbole tragen, hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Ebenso irritierend, aber nur ein wenig richtiger war ein Tagesspiegelbericht vom 4. September 2020. Dieser weist allerdings zu Recht auf die bedenkliche Tatsache hin, dass die staatsanwaltliche Sitzungsvertretung von Referendaren vielfach nicht begleitet wird.

Der Vorstand geht davon aus, dass die Öffentlichkeit von den Medien auch in der Zukunft in der Tendenz nicht allein an der Sache orientiert unterrichtet werden wird. Dies ist angesichts der Vielschichtigkeit der angesprochenen Fragen und der Belastungen, denen die entsprechenden Referendarinnen und Referendare ebenso wie ihre Ausbilderinnen und Ausbilder ausgesetzt sind, mehr als bedauerlich. Die Problematik taugt grundsätzlich nicht zu einschichtigen, verkürzenden Darstellungen.

Wir haben uns daher entschieden, das Thema auch aktiv zu begleiten. Wir freuen uns im Übrigen sehr über Berichte aus der Praxis zu dem Gegenstand.

Für den Vorstand

Oliver Elzer