Richterliche Unabhängigkeit: VG Greifswald hält Gerichtsschließungen für zulässig

Das Richterdienstgericht bei dem VG Greifswald hat mit Beschluss vom 3. April 2020 (13 B 336/20 DG, unveröffentlicht, noch nicht rechtskräftig) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den Antrag eines Vorsitzenden Richters am Landessozialgericht zurückgewiesen, mit dem dieser sich Zugang zu dem durch Hausverfügung des Präsidenten gesperrten Gerichtsgebäude erstreiten wollte.

Der Antragsteller sieht durch die Schließung des Gerichtsgebäudes die richterliche Unabhängigkeit verletzt. Er macht geltend, dass er seiner Ansicht nach nicht dringliche Verhandlungstermine mit Publikum bereits verlegt habe, in einem Verfahren jedoch ein (nichtöffentlicher) Erörterungstermin vor dem Vorsitzenden allein mit Beweisaufnahme (Vernehmung eines sachverständigen Zeugen) durchgeführt werden solle, der seiner Auffassung nach dringlich sei. Durch „Hausverfügung des Präsidenten des Landessozialgerichts zur Schließung des Gerichtsgebäudes Tiergartenstraße 5 in Neustrelitz für die Durchführung von mündlichen Verhandlungen, Erörterungsterminen und ähnlichen richterlichen Terminen“ sei jedoch „die Schließung des Gerichtsgebäudes für die Durchführung von mündlichen Verhandlungen sowie auch nichtöffentlichen richterlichen Terminen mit Außenstehenden bis auf Weiteres“ angeordnet worden, wobei sich der Präsident vorbehalten habe, im Einzelfall darüber zu entscheiden, ob eine Verhandlung oder ein sonstiger Termin unbedingt stattfinden müsse. Der Präsident hatte gegenüber dem Antragsteller die sofortige Vollziehung seiner Hausverfügung angeordnet und ihn aufgefordert die Sitzung unverzüglich abzuladen. Den hiergegen gerichteten Eilantrag des Antragstellers hat das Richterdienstgericht bei dem Verwaltungsgericht Greifswald zurückgewiesen. Der auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gerichtete Antrag sei bereits unzulässig. Ein als zulässig anzusehender Antrag auf Feststellung der vorläufigen Unzulässigkeit der Maßnahme des Antragsgegners sei unbegründet, da sich nicht feststellen lasse, dass eine Hauptsacheklage offensichtlich erfolgreich wäre. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine Maßnahme der Dienstaufsicht vorliege, da es sich nicht um einen finalen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers handele, sondern lediglich um eine mittelbare Folge einer Organisationsentscheidung. Eine „Dienstaufsicht“ liege nur bei Maßnahmen vor, die der Wahrung der Bindung des Richters an das Gesetz dienten. Die mit der Hausverfügung generell und ohne Einflussnahme auf die Behandlung konkreter Verfahren verbundene Einschränkung der Dienstausübung stelle nur dann eine unzulässige Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit dar, wenn keine hinreichenden Gründe für diese Einschränkung vorlägen. Solche hinreichenden Gründe sieht das Richterdienstgericht indes als gegeben. Angesichts der überragenden Bedeutung von Leben und Gesundheit der möglicherweise Gefährdeten und der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts im Ganzen, spreche Einiges für die Rechtsmäßigkeit der Hausverfügung.

Die Entscheidung berührt schwierige Fragen im Spannungsfeld zwischen dem Rechtsgewährleistungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger, deren Recht auf körperliche Unversehrtheit und der richterlichen Unabhängigkeit. Genauso wenig, wie es ein „fiat iustitia et pereat mundi“ geben darf, darf die Verwaltung die Rechtsprechung durch Entziehung essentieller Ressourcen be- oder verhindern. Hier eine vernünftige Balance zu finden, setzt bei allen Justizangehörigen indes zuvörderst Augenmaß und guten Willen voraus. In höchster Not verbleibt immer die „Gerichtslinde“ (§ 219 Abs. 1 Var. 3 ZPO).

Dr. Patrick Bömeke