Rechtsreferendariat in Berlin

 

Der Rechtsreferendar am Kammergericht Lars Klenk gibt uns einen Einblick in die aktuelle Situation der Referendare in Berlin und berichtet uns von seinen bisherigen Erfahrungen.

Das Referendariat in Berlin beginnt in aller Regel mit Warten, dem Warten auf einen Platz. Denn das Referendariat in Berlin ist genauso begehrt wie Berlin als Wohnort. Das liegt auch an der Attraktivität von Berlin als Stadtstaat. Anders als in Flächenstaaten ist es für Referendare in Berlin deutlich berechenbarer, wo sie in der Station zum Einsatz kommen. In Flächenstaaten läuft man hingegen Gefahr, seine Gerichtsstation an einem abgelegenen Amtsgericht zwischen Wald und Wiesen ableisten zu müssen, das ohne Auto nur schwer zu erreichen ist.

Hat man im ersten Staatsexamen mindestens zehn Punkte oder hat man dieses zumindest in Berlin abgelegt, erhält man zwar eine Vorzugsbehandlung bei der Platzvergabe. Auch dann beträgt die Wartezeit aber aktuell ca. 18 Monate. Referendare, die unmittelbar im Anschluss an ihr erstes Staatsexamen ins Referendariat einsteigen, gibt es daher in Berlin faktisch nicht. Viele nutzen die Wartezeit auf den Referendariatsplatz vielmehr, um eine Promotion oder einen LL.M. in Angriff zu nehmen oder um schon einmal bei einem zukünftigen Arbeitgeber als wissenschaftlicher Mitarbeiter hineinzuschnuppern.

Die ersten Ausbildungsstationen des Referendariats haben sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Zu Beginn steht ein einmonatiger Einführungslehrgang, der den Referendaren die Grundzüge des Zivilprozessrechts näherbringen soll. Daran knüpft die dreimonatige Ausbildung in der Zivilstation bei einem Amtsgericht oder dem Landgericht an. Der Arbeitsablauf gestaltet sich üblicherweise wie folgt: Einmal die Woche kommt man zu den Sitzungen, zuvor liest man die dazugehörigen Akten. Noch am gleichen oder an einem anderen Tag gibt der Ausbilder dem Referendar dazu noch eine Akte mit nach Hause, zu welcher er einen Urteilsentwurf schreiben soll. Dieser wird dann in der darauffolgenden Woche besprochen. Manche Richter überlassen einem vielleicht sogar die Leitung einer mündlichen Verhandlung. Begleitet wird diese Stationsausbildung, wie bei jeder weiteren Station auch, durch eine wöchentliche Arbeitsgemeinschaft. Diese wird durch Richter, Staatsanwälte oder Anwälte geleitet. Der lerntechnische und praktische Nutzen dieser Arbeitsgemeinschaften ist dabei sehr stark abhängig vom Engagement des AG-Leiters.

Auf die Zivilstation folgt die 3 ½ Monate lange Station bei der Staatsanwaltschaft. Auch hier müssen die Referendare Akten bearbeiten, Produkt dessen sind aber nunmehr Anklageschriften. Hinzu kommen regelmäßige Sitzungsvertretungen, bei denen der Referendar in einer Hauptverhandlung die Staatsanwaltschaft vertritt. Das ist in vielerlei Hinsicht aufregend. Anders als noch bei einer möglichen Verhandlungsleitung in der Zivilstation sitzt der Ausbilder nicht mehr neben einem. Man ist auf sich allein gestellt. Im Gegenzug wird man aber ernst genommen. Außer dem Strafrichter wissen die Verfahrensbeteiligten nämlich in aller Regel nicht, dass man gar kein „echter“ Staatsanwalt ist und behandeln einen mit genauso viel oder wenig Respekt wie das Original. Die Sitzungsvertretungen in der Strafstation sind daher eine erste Feuerprobe, ob man tatsächlich in der juristischen Praxis überlebensfähig ist.

Die Strafstation hat daneben – je nach Engagement des AG-Leiters – noch weitere Leckerbissen zu bieten: einen Ausflug in die Gerichtsmedizin und die Teilnahme an einer Obduktion, die Besichtigung einer Justizvollzugsanstalt und die Mitfahrt auf einer Nachtschicht der Polizei. Viele entdecken im Angesicht dieses Programms tatsächlich das erste Mal ihre Liebe zum Strafrecht.

Nach der Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft folgt die 3 ½ Monate lange Verwaltungsstation. Viele Referendare zieht es hier angesichts des reichhaltigen Angebots in Berlin in eines der Bundesministerien. Diese bieten den Referendaren in aller Regel einen netten Arbeitsplatz und interessante Arbeitsaufträge. Die Kehrseite der Medaille sind allerdings hohe Präsenzzeiten. Die Ministerien verlangen gemeinhin, dass man drei bis vier Mal die Woche für je acht Stunden anwesend ist. Das mag für sich genommen überschaubar klingen. Es gilt aber zu bedenken, dass ein Referendar immer auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzt. Einmal die Woche muss er neben der Station zur AG und dazu muss er sich auch noch irgendwie auf das Staatsexamen vorbereiten.

Das Staatsexamen ist für die Referendare spätestens mit Beginn der Verwaltungsstation nicht mehr zu ignorieren. Haben sie die Station allerdings in einer der Ministerien verbracht, müssen sie entweder ihre Wochenenden opfern, um den Examensstoff zu lernen oder es wird sich auf Grund der mangelnden Vorbereitung langsam Panik breit machen.

Diese Panik wird mit Beginn der neunmonatigen Anwaltsstation nicht weniger. Der Weg in die Kanzlei ist für die Referendare indes zumindest die Gelegenheit, die eher dürftigen Bezüge (monatlich knapp 1.000 EUR netto) aufzubessern. Viele der großen Kanzleien zahlen den Referendaren für die Zeit der Station 400 bis 1.000 EUR netto zusätzlich. Im Gegenzug erwarten sie aber auch, dass man zumindest für die ersten drei bis fünf Monate drei bis vier Mal die Woche in die Kanzlei geht. Auch in dieser Zeit haben die Referendare daher kaum Gelegenheit, sich vernünftig auf das Examen vorzubereiten.

Um diese Zeit zu haben, beginnt für viele Referendare nach spätestens fünf Monaten der Anwaltsstation das ominöse Tauchen. Tauchen heißt, die Referendare gehen nur noch selten, häufig sogar gar nicht mehr in die Kanzlei und bereiten sich stattdessen in Vollzeit auf das Examen vor. Für die Referendare ist das überlebensnotwendig, da sie ohne diese Zeit das Examen realistisch nicht bewältigen können. Sie tauchen allerdings auf eigene Gefahr. Das Kammergericht als Ausbildungsbehörde der Referendare verbietet es ihnen, ihre Stationsausbildung zu schwänzen. Eine Zeit lang hat das Kammergericht dieser Ansicht mit Anwesenheitskontrollen bei den Ausbildungsstationen Nachdruck verliehen. Wen man erwischt hat, dem wurden die Bezüge (bzw. Terminus technicus: die Unterhaltsbeihilfe) gekürzt. Diese Kontrollen haben mittlerweile nachgelassen, die Angst vor ihnen unter den Referendaren ist aber nach wie vor groß. Das Kammergericht bringt die Referendare so in eine unmögliche Situation: Entweder sie halten sich an die Regeln und sind die gesamte Station über in der Kanzlei anwesend, setzen dafür aber ihr Examen aufs Spiel. Oder sie tauchen ab und hoffen wie ein Ladendieb darauf, nicht erwischt zu werden. Das Kammergericht täte hier gut daran, den Referendaren entgegen zu kommen.

Hilfreicher erweist sich das Kammergericht mit dem Angebot sogenannter Probeexamen. In den Monaten vor dem Examen bietet es zwei solcher Probeläufe an. Bei diesen schreiben die Referendare innerhalb von zwei Wochen je sechs Klausuren in den drei Rechtsgebieten, die von Praktikern auf Examensniveau korrigiert und besprochen werden. So erhalten die Referendare ein realistisches Bild davon, was sie im Examen erwartet und wie ihre eigenen Leistungen derzeit einzuschätzen sind.

Nach gut 1 ½ Jahren Referendariat kommt es zum vorläufigen Höhepunkt: den schriftlichen Prüfungen, bestehend aus sieben fünfstündigen Klausuren. Jeweils zwei davon werden im Zivil-, Straf- und Öffentlichen Recht geschrieben. In einer Klausur kann der Referendar das geprüfte Rechtsgebiet selbst wählen. Anders als früher, wird im Examen heute nicht mehr nur die staatliche Sichtweise abgeprüft, sondern auch die anwaltliche. So müssen die Referendare damit rechnen, dass in jedem Rechtsgebiet mindestens eine Anwaltsklausur läuft, bei der sie keinen Urteilsentwurf verfassen, sondern einen Mandanten vertreten und für diesen einen Schriftsatz entwerfen.

Inhaltlich ist das Examen so schwer wie eh und je: Sachverhalte von bis zu 20 Seiten, gespickt mit zahlreichen, häufig schwer zu erkennenden prozessualen und materiellen Problemen. Betrachtet man ältere Klausuren, so werden die Daumenschrauben über die Jahre gefühlt sogar immer enger gezogen, sprich die Klausuren immer umfangreicher und schwerer. Zyniker werden sagen: Das Arbeiten unter großem Zeitdruck ist eine hervorragende Vorbereitung auf das spätere Berufsleben.

Die Ausbildung sozialer Kompetenzen steht im Referendariat demgegenüber kaum im Fokus. Dies steht im erkennbaren Kontrast zu den Anforderungen juristischer Berufe, wo Arbeitgeber regelmäßig bereits im Bewerbungsprozess – nicht zuletzt bei der Bewerbung auf die Richterlaufbahn – soziale Fertigkeiten überprüfen. Im Angebot des Kammergerichts finden sich zwar auch fakultative Seminare zu soft skills. Aufgrund der enormen Examensfokussierung der Ausbildung besteht für die Referendare aber nur ein geringer Anreiz, an diesen teilzunehmen. Selbst wenn die Bereitschaft da wäre, an diesen teilzunehmen, fehlt es zumeist an der Zeit.

An das schriftliche Examen schließt sich der angenehmste Teil des Referendariats an: die Wahlstation. Wie der Name schon sagt, können die Referendare hier eine beliebige Ausbildungsstation im In- oder Ausland wählen. Viele Referendare zieht es hier ins Ausland. Wohl wissend, dass nach dem Referendariat der Berufseinstieg blüht, nutzen sie vielleicht eine der letzten Gelegenheiten in ihrem Leben, um drei Monate am Stück an weit entfernten Orten wie Australien oder Südafrika zu verbringen.

Häufig dient die Wahlstation aber auch der Verdrängung von dem, das da kommt, nämlich der Notenbekanntgabe der schriftlichen Prüfungen. Diese kann einem auch an einem noch so sonnigen Tag in Australien die Laune verderben. Die schriftlichen Prüfungen fallen in Berlin (wie auch anderswo) in aller Regel schlecht aus. Die Durchfallquote ist mit rund 15 Prozent zwar eher niedrig. Vollbefriedigend und besser schaffen im schriftlichen Teil aber bestenfalls fünf Prozent der Referendare, Noten von 11 Punkten und besser sind absolute Mangelware. Die Hoffnung vieler Referendare konzentriert sich daher auf die mündliche Prüfung. Sie hat – wohl zu Recht – den Ruf, die schriftlichen Noten vieler signifikant zu verbessern und sie so noch auf die anvisierte Wunschnote zu hieven. Das liegt auch daran, dass sie mit 40 Prozent in die Gesamtnote eingeht, was in Anbetracht des geringen zeitlichen Umfangs der Prüfung – knapp zwei Stunden mündliche Prüfung im Vergleich zu 35 Stunden schriftlicher Prüfung – nur schwer nachvollziehbar ist. All seine Erwartungen auf die mündliche Prüfung zu fokussieren, birgt allerdings auch hohe Risiken. Im Vergleich zur schriftlichen Prüfung ist sie viel stärker von den persönlichen Vorlieben der Prüfer abhängig – sowohl was die bevorzugten Prüfungsthemen angeht als auch in Bezug auf die Notenverteilung. Inhaltlich besteht die mündliche Prüfung aus einem zehnminütigen Aktenvortrag mit fünfminütigem Vertiefungsgespräch, in welchem die Referendare die Lösung eines Falles präsentieren, die sie zuvor eine Stunde lang vorbereitet haben. Daneben gibt es je ein Prüfungsgespräch in den drei Kernfächern in größerer Runde (i.d.R. drei bis fünf Referendare), bei dem auf jeden Prüfling etwa 10 Minuten Prüfungszeit entfallen sollen. Die Notenbekanntgabe erfolgt im unmittelbaren Anschluss an das letzte Prüfungsgespräch.

Die meisten Referendare ziehen nach Abschluss ihrer Ausbildung trotz der beschriebenen Defizite ein positives Fazit. Die Möglichkeit, in einer kurzen Zeitspanne viele verschiedene juristische Berufe hautnah kennenzulernen, wird zu Recht als Privileg empfunden. Zudem erwartet sie als frisch gebackene Volljuristen ein attraktiver Bewerbermarkt, an dem sich in Anbetracht der Pensionierungswelle im Staatsdienst und der guten wirtschaftlichen Lage wohl so schnell auch nichts ändern wird. Ob sich am Ablauf des Referendariats in Zukunft etwas ändert wird, bleibt abzuwarten.

 

Lars Klenk

 

Anmerkungen der Redaktion: Die Attraktivität von Berlin als Ausbildungsstandort verdeutlicht sich auch an den Zahlen der geprüften Referendare in den einzelnen Bundesländern. Während die Anzahl der Referendare bundesweit sinkt – im Jahr 2001 wurden noch 12.592 Kandidatinnen und Kandidaten geprüft, im Jahr 2017 waren es gerade noch 8.716 – ist sie in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg gleich geblieben. In Berlin belief sich 2001 die Anzahl der geprüften Referendare auf 951 und im Jahr 2017 auf 920.

Während die „Bestehensquote" bundesweit in etwa stabil geblieben ist, hat sie sich in Berlin verbessert. Das Notenniveau (Durchschnittsnoten) ist bundesweit gestiegen. Die Meinungen, woran das liegt, gehen auseinander. Es spricht viel dafür, dass es „Vornoteneffekte" aus den durch die universitäre Schwerpunktprüfung erheblich gestiegenen Ergebnissen der Ersten Juristischen Prüfung gibt. Die offiziellen Examensstatistiken können auf der Seite des Bundesjustizamtes eingesehen werden.