Rechte des Präsidialrates des Kammergerichts stärken!

 

Dem Präsidialrat sind durch den Gesetzgeber in wichtigen Personalangelegenheiten Befugnisse zur Kontrolle der im gewaltengeteilten Rechtsstaat unvermeidbaren personellen Einflussnahme der Exekutive auf die rechtsprechende Gewalt eingeräumt worden (BVerfG, Beschluss vom 16.12.1975 - 2 BvL 7/74 - juris Rn. 25). Der Präsidialrat soll für die Belange der Richterschaft und der Justiz eine Mitverantwortung übernehmen (BVerfG, a.a.O. - juris Rn. 27) und das Interesse an einer qualifizierten - vor allem unabhängigen und unparteilichen - Richterschaft und einer leistungsfähigen Rechtspflege wahren (BVerfG, a.a.O. - juris Rn. 32). Es geht um den Nutzen der Rechtspflege zum Wohl der Allgemeinheit (BVerfG, a.a.O. - juris Rn. 32).

Ungeachtet dessen ist der Präsidialrat in Berlin die Personalvertretung mit den wohl wenigsten Rechten. Ihm gebührt bloß eine Stellungnahmemöglichkeit zu beabsichtigten, im Richtergesetz Berlin konkret genannten Personalmaßnahmen. Noch dazu - und auch insoweit unterscheidet sich der Präsidialrat beim Kammergericht erheblich von anderen Personalvertretungen - nimmt der Präsident des Kammergerichts als geborenes Mitglied an den Beratungen teil, wobei ihm sogar ein Stimmrecht zusteht. An seiner Seite befindet sich stets gemäß jahrelanger Übung sein Personaldezernent (derzeit seine Personaldezernentin).

In den letzten Jahren - seit Dezember 2015 - ist seitens der gewählten Mitglieder versucht worden, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten dem Gremium ein etwas moderneres „Outfit“ zu verpassen. Dazu gehört die Einführung einer geheimen Abstimmung bei Beförderungsvorschlägen, welche geeignet ist, dem Präsidenten des Kammergerichts die Kontrolle über das Abstimmverhalten der gewählten Mitglieder zu entziehen. Auch die Veröffentlichung der (anonymisierten) Tagesordnung zwei Wochen vor einer Sitzung ist eine solche Errungenschaft, die die Transparenz fördern soll.

Ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen ist freilich trotz aller Bemühungen von gewählten Mitgliedern nicht gelungen. Am Ende der letzten Wahlperiode, im Dezember 2023, haben sich deshalb einige der im Präsidialrat wirkenden Kolleginnen und Kollegen entschlossen, sich unter der Überschrift „Zeit für Veränderung und Wandel in der Personalpolitik der ordentlichen Gerichtsbarkeit“ mit einer Erklärung an die Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz sowie die Mitglieder des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz des Abgeordnetenhauses Berlin zu wenden. Sie haben in der Erklärung ausgeführt, dass sie die vom Bundesverfassungsgericht formulierte Zielsetzung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Gefahr sehen. Dies haben sie wie folgt begründet:

„Denn die langjährigen Erfahrungen zeigen, dass die Stimme aus der Mitte der Richterschaft von den zuständigen Behörden (Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sowie Kammergericht) bewusst nicht wahrgenommen wird.

Nachfolgend führen wir Beispiele an, die nach unserem Dafürhalten den Vorwurf gegenüber der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sowie dem Kammergericht, die gesetzgeberische Zielsetzung zu unterlaufen, eindrücklich belegen:

Betreffend Einstellungen:

Trotz Nachwuchssorgen und sinkender Einstellungsvoraussetzungen lehnte es die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz mehrmals ab, Kandidatinnen und Kandidaten mit Prädikatsexamina sowie überdurchschnittlichen Noten in den Klausuren der Arbeitsgemeinschaften zur Einstellung vorzuschlagen, und zwar mit Verweis auf die Erfahrungen in dem einstündigen Vorstellungsgespräch, wobei die Begründungen in etwa dahin lauteten, dass die oder der Betroffene sich „unsicher“ gezeigt habe, zu „weitschweifige“ Ausführungen gemacht habe oder gewagt habe, Nachfragen zu den Fällen zu stellen, weshalb an der Auffassungsgabe grundsätzlich zu zweifeln sei. Wir meinen, dass derartige „Schwächen“ in einem nur einstündigen Vorstellungsgespräch bei zweifelsfrei nachgewiesener Leistungsfähigkeit keine Ablehnung rechtfertigen. Dennoch wurde in keinem Fall der Bitte des Präsidialrats Folge geleistet, die Bewerberin oder den Bewerber zu einem zweiten Gespräch einzuladen. Eine Begründung gegenüber dem Gremium unterblieb geflissentlich.

Betreffend Beförderungen:

In der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden in den dienstlichen Beurteilungen die Höchstnote und der höchste Ausprägungsgrad bei neun von zehn oder sogar allen Beurteilungsmerkmalen nur an höher besoldete Amtsträgerinnen und Amtsträger der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz oder Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten bzw. Präsidentinnen und Präsidenten vergeben und dies inzwischen nahezu systematisch. Den in der Spruchrichterschaft tätigen Kolleginnen und Kollegen werden dagegen Beurteilungen eröffnet, welche zum größten Teil Durchschnittsnoten ausweisen. Zwar weigern sich die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sowie das Kammergericht beharrlich, Statistiken vorzulegen, die diesen Befund dokumentieren. Jedoch ist die Handhabung unstreitig. Diese Handhabung ist rechtswidrig. Denn angesichts von wachsenden Anforderungen, die mit einem höheren innegehabten Statusamt verbunden sind, wäre eigentlich zu erwarten, dass die vergebenen Gesamtnoten mit dem höheren Status des innegehabten Amtes schlechter und nicht besser werden (VG Berlin, Urteil vom 17.11.2022 - 36 K 337.18 - juris Rn. 39). Ein weiterer deutlicher Unterschied in der Behandlung der in der Verwaltung Tätigen einerseits und der Spruchrichterschaft andererseits liegt in der Abfassung des Inhalts der Beurteilungen. Während die Beurteilungen der in der Verwaltung tätigen Kolleginnen und Kollegen regelmäßig individuell auf sie zugeschnittene Texte enthalten, bestehen die Beurteilungen von Kolleginnen und Kollegen aus der Spruchrichterschaft vorwiegend aus nichtssagenden Textbausteinen. Dienstliche Beurteilungen müssen aber, um dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG gerecht zu werden, nach gleichen Bewertungsmaßstäben erstellt werden (BVerwG, Urteil vom 18.07.2002 - 2 C 41/00 - juris Rn. 19). Der Kammergerichtspräsident hat in der Beurteilerkonferenz vom 10.06.2021 den Eindruck bestätigt (und auch im Protokoll niedergelegt), dass die Verwaltungstätigkeit häufig besser bewertet wird; er hat dies damit begründet, dass die tägliche Zusammenarbeit die Wahrnehmung besonderer Fähigkeiten und Leistungen erleichtere. Persönliche Nähe stellt allerdings niemals einen sachlichen Grund im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG für eine bessere Bewertung dar. Ständige Bitten, Forderungen und Ermahnungen des Gremiums, für Beurteilungen Sorge zu tragen, welche die Anforderungen des Grundgesetzes erfüllen, sind ungehört geblieben. Die planvolle Bevorzugung der in der Verwaltung Tätigen ist ungebrochen.

Betreffend Versetzungen an das Kammergericht:

Das Kammergericht hat eine Dokumentation des unstreitig vorhandenen Interesses von R2-besoldeten und innerhalb der Rechtsprechung in den Amtsgerichten und im Landgericht tätigen Richterinnen und Richtern mit Verweis darauf abgelehnt, eine Tätigkeit beim Kammergericht werde nur über eine Beförderung ermöglicht. Anders verhält es sich dabei mit Kolleginnen und Kollegen, die in der Kammergerichtsverwaltung tätig sind oder werden sollen. Diesen wird eine solche Versetzungsmöglichkeit eingeräumt. Wiederholte Bitten und Ermahnungen des Gremiums, solche Ungleichbehandlung zu unterlassen, verhallten ungehört.

Betreffend Abordnungen:

Im Vorfeld von Abordnungen sind die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sowie die Gerichtsleitungen gehalten, Interessenbekundungsverfahren durchzuführen. Nicht selten werden der Verwaltung nahestehende Kolleginnen und Kollegen animiert, sich auf die Stellen zu bewerben. Diese Kolleginnen und Kollegen werden sodann auch ausgewählt, während Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtsprechung das Nachsehen haben. Kritik des Gremiums am Auswahlverfahren wurde niemals aufgegriffen. Darüber hinaus sind die Verwaltungen bereit, eine Beteiligung des Gremiums an Abordnungen zu umgehen. Dies geschah seitens des Kammergerichts in der Vergangenheit dadurch, dass die Abordnung an das Kammergericht kurzerhand als „Dienstleistungsauftrag“ betitelt wurde und damit angeblich nicht beteiligungspflichtig sei. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz wiederum bediente sich mehrfach der Methode „Aufspaltung“, indem die Abordnung dorthin ohne jegliche Not zeitlich aufgeteilt wurde, nämlich in eine Abordnung von bis sechs Monaten, für die nach dem Richtergesetz Berlin keine Beteiligung des Gremiums erforderlich ist, und eine sich unmittelbar anschließende Abordnung von mehr als sechs Monaten, die zwar nach einer Beteiligung verlangt, welche jedoch von vornherein eine für jedermann erkennbare Farce war, weil zu diesem Zeitpunkt die Abordnungsentscheidung bereits unumstößlich gefallen war, so dass das Votum des Präsidialrats hier erst recht nicht interessierte.

Die Liste könnte um weitere Negativbeispiele bereichert werden.

Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Präsidialrat beim Kammergericht seinen Aufgaben, welche das Bundesverfassungsgericht als verantwortungsvoll bewertet (a.a.O. - juris Rn. 29), da die Mitwirkung wesentliche Belange der Dritten Gewalt im Staat zur Geltung bringt (a.a.O. - juris Rn. 32), schlicht nicht nachkommen kann. Der Umgang der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sowie des Kammergerichts mit den von ihren Vorschlägen abweichenden Stellungnahmen des Gremiums ist sinnentleerend. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sehen inzwischen nur eine einzige Lösung, da der Weg der Kommunikation sich als nicht gangbar erwiesen hat:

Benötigt wird - im Rahmen einer Gesetzesreform - eine Stärkung der Rechte des Präsidialrats (beispielsweise durch ein Vetorecht). Nur dadurch kann erreicht werden, dass die Funktion des Präsidialrats in der ordentlichen Gerichtsbarkeit ernst genommen wird. Darum bitten wir hiermit.“

Doerthe Fleischer, Mitglied des Präsidialrats beim Kammergericht