Konkurrenz oder Verbündete? – Neue Interessenvertretung in Gründung

In der Berliner Justiz gründen derzeit Proberichterinnen und Proberichter eine Interessensvertretung. 

Diese will die Interessen der neuen Kolleginnen und Kollegen bewusst außerhalb, aber nicht gegen die Berufsverbände und Räte vertreten. Wir haben nachgefragt.

Valerie, ihr gründet gerade eine Interessensvertretung der Proberichterinnen und Proberichter in Berlin. Was hat es damit auf sich?

Genau, wir haben ein Bedürfnis dafür gesehen, ein unabhängiges Gremium von und für Proberichter:innen zu schaffen. Es gibt derzeit kaum die Möglichkeit, sich untereinander außerhalb von Nachwuchstreffen der Berufsverbände zu vernetzen, Informationen zu bündeln, diese allen zugänglich zu machen und auch als Sprachrohr gegenüber dem Kammergericht oder der Senatsverwaltung zu agieren. Gleichzeitig sehen wir, was zum Beispiel der Personalrat der Referendar:innen alles leistet und haben auch aus anderen Bundesländern wie Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfahlen von ähnlichen Ideen erfahren. Hier haben wir in Berlin einen Bedarf erkannt.

Welche Köpfe stecken dahinter, wer ist der Motor der Idee?

Im Wesentlichen sind es insgesamt sieben Kolleg:innen, die in den letzten 1-2 Jahren im Richterdienst angefangen haben. Clara Dauenhauer, Bea Hajek, Fabian Key, Dr. Mirjam Luber, Dr. Carl Nägele Lola Petersen und ich, Valerie Böhm, wollen zusammen eine neue Interessenvertretung für Proberichter:innen auf die Beine stellen.

Gibt es nicht bereits genug Verbände und Vertretungen?

Klar, es gibt mit den Berufsverbänden und auch den verschiedenen Richter:innenräten bereits Angebote und Gremien, in denen man sich vernetzen und berufsrechtliche Anliegen anbringen kann. Wir wollten aber gerne ein Forum schaffen, das unabhängig von den Berufsverbänden ist und genuin uns vertritt. In die Richter:innenräte sind wir ja nach § 89 Abs. 2 RiGBln – anders als in anderen Bundesländern – nicht wählbar und daher immer auf die Bereitschaft der in den Gremien sitzenden Lebenszeitkolleg:innen angewiesen, unsere Anliegen weiterzutragen. Das funktioniert teilweise auch gut, aber es gibt doch einige Punkte, die nur uns im Verhältnis zum Kammergericht oder zur Senatsverwaltung betreffen und daher nicht in die Zuständigkeit der einzelnen Richter:innenräte fallen. Das betrifft beispielsweise unsere Zuweisungen und Stationswechsel allgemein. Außerdem gibt es einige Sachlagen, in denen unsere Interessen nicht mit denen der Lebenszeitkolleg:innen gleichlaufen. Dies betrifft beispielsweise die derzeitigen Bemühungen einiger Gerichte, die Proberichter:innen zu entlasten. Das begrüßen wir sehr, trifft aber bei einigen Lebenszeitkolleg:innen auf Widerstand.

Warum seht ihr aktuell einen stärkeren Bedarf, sich für neue Kolleginnen und Kollegen einzusetzen?

Der Nachwuchsmangel in der Justiz ist ja ein bekanntes Problem. Letzten Endes geht es darum, als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, um weiterhin genug fähige Kolleg:innen anzuziehen und nachhaltig das Funktionieren der Justiz zu gewährleisten. Wenn uns das nicht gelingt, bleibt die Arbeit durch die in aller Regel überlasteten dienstälteren Kolleg:innen – und auch uns – zu erledigen. Das ist in niemandes Interesse. Auch viele dienstältere Kolleg:innen lassen uns deshalb Zuspruch zuteilwerden und unterstützen uns. Sie sind damit eine große Hilfe. Wir möchten aber gerade wegen des Nachwuchsmangels zum Beispiel auch niedrigschwellig erreichbar sein, falls jemand darüber nachdenkt, den Probedienst wieder zu beenden. Das passiert in den vergangenen Jahren häufiger als je zuvor. Immerhin gibt es attraktive Konkurrenzangebote in der Privatwirtschaft, den Landes- und hier auch den Bundeministerien. Wenn da das Angebot der Justiz nicht mehr passt, schauen sich die Leute anderswo um. Dabei hat die Justiz aus unserer Sicht noch nicht ausreichend erkannt, dass unsere Generation deutlich flexibler aufgestellt ist auf dem Arbeitsmarkt. Es war ja lange Jahre nicht vorstellbar, dass man den Justizdienst wieder verlässt.

Wie wollt ihr dem mit Eurer Interessensvertretung entgegenwirken?

Wir glauben dass zum Beispiel durch die Möglichkeit für Austausch und Vernetzung Probleme früher erkannt und Kolleg:innen dazu motiviert werden könnten, im Justizdienst zu verbleiben. Unserer Erfahrung nach starten wir hochmotiviert und mit intrinsischer Motivation in unseren Beruf. Es gehört ja trotz aller Flexibilität einiges dazu, dann den Dienst und die damit einhergehende lebenslange Sicherheit in den ersten Jahren wieder zu quittieren. Wir glauben, dass unsere Initiative etwas dagegen tun kann. Allein schon eine Möglichkeit zu haben, mit den Kolleg:innen ins Gespräch zu kommen und zu sehen, dass man nicht alleine ist, kann dabei ja schon eine immense Hilfe sein. Beispielsweise organisieren wir jetzt schon regelmäßig Vernetzungstreffen nach Feierabend, die für alle Berliner Proberichter:innen offen sind. So wollen wir Kolleg:innen, die möglicherweise allein oder zu zweit auf Probe an einem kleinen Amtsgericht sind, die Möglichkeit geben, sich auch mal nach anderen Erfahrungen umzuhören und auszutauschen. Diese Treffen sind bisher ein großer Erfolg.

Das heißt, ihr wollt eine Plattform für Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen bieten?

Auch, aber nicht nur. Der Austausch ist durchaus ein großer Punkt. Aber wir stellen uns auch vor, die Meinungen und Anliegen unserer Kolleg:innen auf Probe zu bündeln und zum Beispiel dem Kammergericht und der Senatsverwaltung gegenüber kommunizieren zu können. Wir denken, dass man durch den Austausch wiederkehrende und sich häufende Probleme deutlich früher erkennen könnte. Wir hoffen, dass auch Kammergericht und Senatsverwaltung daran ein Interesse haben, weil wir so dazu beitragen könnten, Fragen gebündelt zu stellen und so allgemein für eine bessere Informationslage zu sorgen.

Wie wollt ihr verhindern, dass die Verwaltung die Richterräte, uns und Euch gegeneinander ausspielt, die gemeinsamen Interessen durcheine Zersplitterung weniger gut durchgesetzt werden können?

Uns geht es nicht darum, gegen die etablierten Verbände oder Vertretungen zu agieren. Vielmehr wollen wir die Interessen der Proberichter:innen besser betonen, als dies derzeit geschieht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unser Anliegen ernst genommen wird, wir werden gehört – so wie beispielsweise in diesem Interview. Wieder andere müssen wir noch überzeugen. Jedenfalls wollen wir uns gemeinsam mit den Richter:innenräten und Verbänden für die Belange der Proberichter:innen einsetzen.

Wie geht es voran mit Eurer Gründung?

Wir sind derzeit ein informell eingesetztes Planungsgremium, dem sieben Proberichter:innen angehören, die an verschiedenen Gerichten eingesetzt sind. Mit diesem Planungsgremium haben wir bisher die Vernetzungstreffen ausgerichtet, aber hauptsächlich ein erstes Statut für die im Januar 2025 stattfindende Wahl aufgestellt und organisieren diese, um auch eine demokratische Legitimation zu haben. Wir sind dabei wesentlich darauf angewiesen, dass motivierte Kolleg:innen sich ebenfalls engagieren und zur Wahl stellen. Wer sich angesprochen fühlt und zur Wahl stellen möchte, kann sich jederzeit gern bei uns melden – genau wie bei Fragen, Kritik oder Anregungen, unter unseren dienstlichen Mailadressen.

Wir drücken Euch die Daumen. Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Dr. Stefan Schifferdecker