Justizthemen im Abgeordnetenhaus Oktober 2019

Die Berliner Abgeordneten haben sich mit vielen Fragen befasst, die die Justiz betreffen.

In die Monate seit dem Erscheinen des letzten VOTUMs ist zwar die parlamentarische Sommerpause gefallen, nichts desto trotz haben sich die Berliner Abgeordneten wieder mit einer Vielzahl von Fragen befasst, die die Justiz betreffen und in Drucksachen und Protokollen Niederschlag gefunden haben. Einige davon sollen im Folgenden dargestellt werden.

 

Justizhaushalt 2020/2021

In seiner Sitzung am 28. August 2019 hat sich der Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung mit dem Einzelplan 06 (SenJustVA) des Entwurfs des Doppelhaushalts 2020/2021 befasst. Der Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dr. Dirk Behrendt, hat den Einzelplan im Überblick vorgestellt (vgl. Inhaltsprotokoll der 43. Sitzung des Ausschusses):

Der Entwurf sieht Justizausgaben in zuvor nicht erreichter Höhe von mehr als einer Milliarde Euro in den Jahren 2020 und 2021 vor. Davon soll annähend ein Drittel durch Einnahmen gedeckt werden, vorrangig durch Gerichtsgebühren. Die Personalausgaben werden für die rund 10.000 Beschäftigten im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung benötigt, davon etwa 5.500 bei den Gerichten, 2.900 im Justizvollzug, 1.300 bei den Strafverfolgungsbehörden und 300 in der Senatsverwaltung.

Auch der kommende Doppelhaushalt soll der Justiz wieder einen Stellenaufwuchs bescheren, nämlich um 289 Stellen. Darin sind R-Stellen wie folgt enthalten: 40 für das Landgericht, 16 für die Amtsgerichte, 4 für die Fachgerichte, 32 für die Staatsanwaltschaft und 2 für die Generalstaatsanwaltschaft. Dies soll beim Landgericht die Einrichtung von weiteren sieben großen und zwei kleinen Strafkammern sowie einer Geldwäsche-Taskforce bei der Notaraufsicht ermöglichen. Bei der Staatsanwaltschaft ist mit den zusätzlichen Kräften die Verstärkung der Verfolgung der Organisierten Kriminalität und der Vermögensabschöpfung geplant.

Das vom Landesverband Berlin des DRB angesichts der ungünstigen Altersstruktur der Berliner Justiz wiederholt vorgebrachte Argument, es müssten jetzt zusätzliche Stellen geschaffen werden, um die „Ruhestandswelle“ ab Mitte des nächsten Jahrzehnts abzufedern, ist aufgegriffen worden. Dahinter steht die Einsicht, dass es schlicht nicht gelingen wird, die dann in jedem Jahr deutlich mehr als 100 durch Altersabgänge freiwerdenden Stellen zu besetzen. Denn schon bei dem derzeitigen Stellenaufwuchs kommt es nur zu rund 100 Neueinstellungen jährlich. Daher sind in den Jahren 2020 und 2021 jeweils 40 Stellen vorgesehen, um Richter und Staatsanwälte gewissermaßen „auf Vorrat“ ausbilden zu können – was nicht heißt, dass sie nicht schon jetzt benötigt würden. Allerdings sollen diese zusätzlichen Stellen ab dem Jahr 2026 ggf. mit kw-Vermerken versehen werden.

 

Personalbestand und -verwendung

Auf der Drucksache 18/20512 hat der Senat dem Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) auf seine Fragen zum Personalbedarf der Berliner Gerichte und Staatsanwaltschaften geantwortet. Der Drucksache beigefügt sind Listen, in denen dem nach PEBB§Y für das Jahr 2017 ermittelten Personalbedarf der Personalbestand (Soll-AKA) und die Personalverwendung (Ist-AKA) für die Jahre ab 2010 sowie die im Haushaltsplan für 2018 vorgesehenen Stellen gegenübergestellt werden. Das Zahlwerk offenbart vereinzelt unbesetzte Stellen, zudem ein deutliches Auseinanderfallen von Soll- und Ist-AKA, d.h. den auf Stellen gesetzten und den tatsächlich verwendeten Dienstkräften. Grund für Letzteres sind z.B. Abordnungen und Krankheitsfälle.

In diesem Zusammenhang hat der Senat erneut – zutreffend – darauf hingewiesen, dass das Land Berlin die im „Pakt für den Rechtsstaat“ übernommene Verpflichtung zur Schaffung von mehr als 100 „neuen“ Stellen für Richter- und Staatsanwalt ab dem 1. Januar 2017 bereits übererfüllt hat. Dennoch sei im Entwurf des Doppelhaushalts 2020/2021 die Schaffung weiterer Stellen vorgesehen. Diese zu besetzen ist der Senat zuversichtlich, weil das Land Berlin für angehende Richter und Staatsanwälte – nicht zuletzt aufgrund der angehobenen Besoldung – weiterhin attraktiv sei. Auch Einbußen beim Können der neuen Kolleginnen und Kollegen befürchtet der Senat nicht, denn alle in diesem Jahr eingestellten Proberichter könnten zwei Prädikatsexamina vorweisen.

 

Eingangsbearbeitung

Auf die Anzahl der Neueingänge, die Eingangsbearbeitung sowie das dafür bereitstehende Servicepersonal bei den Berliner Gerichten und Staatsanwaltschaften zielte eine weitere Anfrage des Abgeordneten Rissmann. Die Antwort des Senats (Drucksache 18/20259) ergibt kein einheitliches Bild. Bei einigen Gerichten bzw. Staatsanwaltschaften haben die Eingangszahlen seit 2017 zugenommen, die Arbeitskraftanteile (AKA) im Servicebereich aber abgenommen, bei anderen war es umgekehrt oder beide Werte bewegten sich in dieselbe Richtung.

 

Kosten der Justiz

Die Abgeordnete Dr. Kristin Brinker (AfD) hat dem Senat im Vorfeld der Beratung des Doppelhaushalts 2020/2021 Näheres zu den (erforderlichen) Investitionen im Bereich Justiz entlockt (vgl. Drucksache 18/20120). Eingehend befasst sich der Senat mit den Kosten der Justiz-Immobilien. Der Sanierungsstau beläuft sich für die Gerichtsgebäude auf geschätzt 168 Mio. Euro, für die Justizvollzugsanstalten auf rund 370 Mio. Euro. Sehr aufschlussreich ist auch die nach „Produkten“ geordnete Aufstellung der Kosten. Die höchsten Kosten (jährlich 80 bis 90 Mio. Euro) entfallen seit Jahren auf das Produkt „Betreuung und Pflegschaft AG“, gefolgt von den Produkten „Geschlossener Vollzug“, „Familiensachen AG“ und „Ermittlungsverfahren Erwachsene StA und AA“. Die Kosten für die Fortbildung der Richter und Staatsanwälte bewegen sich übrigens in derselben Größenordnung wie die Kosten amtsgerichtlicher Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Jugendliche – etwa 1 % des teuersten Produkts. Überraschend: Die Justiz investiert nicht nur in die Anlagegruppen „Büromaschinen“, „Postbearbeitungsmaschinen“ und „Raumausstattungen“, sondern auch in „Straßeneinrichtungen und -möbel“ sowie „konventionelle Musikinstrumente“.

 

„Alt-“ Verfahren der Berliner Gerichte

Auf die Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) zu der Anzahl der bei den Berliner Gerichten derzeit anhängigen Verfahren, geordnet nach der im Aktenzeichen enthaltenen Jahreszahl (gemeint: …/18, …/19 usw.), ist auf der Drucksache 18/20244 ein umfangreiches Zahlenwerk zusammengetragen worden. Das Aktenzeichen lässt zwar in der Regel das „Alter“ eines Verfahrens erahnen, allerdings wäre der Schluss auf die Bearbeitungsdauer bei Gericht verfehlt. So wird bei Zurückverweisung durch ein Rechtsmittelgericht oder Wiederaufnahme eines zwischenzeitlich eingestellten Verfahrens kein neues Aktenzeichen vergeben. Bei der Deutung der Zahlen ist also Vorsicht geboten.

Beim Sozialgericht trugen die zwei „ältesten“ der am 31. Mai 2019 anhängigen Verfahren 2010er-Aktenzeichen. Aus den Jahren 2011 bis 2014 stammten noch 4, 17, 54 bzw. 268 Verfahren. Demgegenüber entfielen auf die Folgejahre jeweils mehr als 1.000 Verfahren, auf das Jahr 2018 immerhin 12.504 Verfahren.

Beim Verwaltungsgericht waren zum selben Stichtag die vier „ältesten“ Verfahren mit einem Aktenzeichen von 2012 versehen, aus den Jahren 2013 bis 2015 stammten jeweils weniger als 100 Restverfahren, aus 2016 knapp 1.500 Verfahren. Die Anzahl der am 31. Mai 2019 noch anhängig gewesenen Verfahren aus den Jahren 2017, 2018 und 2019 ist mit jeweils um die 6.000 ähnlich hoch gewesen. Überraschenderweise hatte das Oberverwaltungsgericht Ende Mai dieses Jahres sogar mehr offene 2012er-Verfahren als das Verwaltungsgericht, obwohl die Verfahrenszahlen insgesamt natürlich deutlich geringer waren; ein deutliches Ansteigen der Aktenzeichen ab 2015 war jedoch auch beim Oberverwaltungsgericht festzustellen (aus 2019: 796 Verfahren).

Die Zahlen für die Ordentliche Gerichtsbarkeit reichen bis zu Aktenzeichen aus dem Jahr 2000 zurück – die Anfrage des Abgeordneten war auf diesen Zeitraum begrenzt. Sie sind bei den Amtsgerichten nach den Bereichen Zivilprozess-, Zwangsvollstreckungs-, Insolvenz-, Familien- und Betreuungssachen sowie – das Amtsgericht Tiergarten betreffend – Strafverfahren gegliedert. Dass Betreuungsverfahren über Jahrzehnte laufen können und Insolvenzverfahren Jahre in Anspruch nehmen, ist kein Geheimnis. Die vereinzelt bei den Amtsgerichten anhängigen Zivilprozesse aus den „Nullerjahren“ sind aber erstaunlich. Die zahlreichen Zivilprozesse beim Landgericht mit Aktenzeichen aus dem letzten Jahrzehnt dürften wohl auf Rechtsmittel zurückzuführen sein. Und die mehreren Hundert (!) beim Amtsgericht Tiergarten noch anhängigen Strafverfahren aus den Jahren bis 2009 sind wahrscheinlich wegen unbekannten Aufenthalts vorläufig eingestellt. Das Landgericht hat nur noch sieben Strafverfahren mit solchen Aktenzeichen.

Dr. Udo Weiß