Journalist statt Strafrichter – ein Verlust für die Berliner Justiz

Dr. Ulf Buermeyer, früher Richter am Landgericht für Strafsachen, ist auf eigenen Wunsch aus dem Justizdienst ausgeschieden.

Er möchte sich hauptberuflich seinem Podcast „Lage der Nation“ widmen. Damit verliert die Justiz einen engagierten Juristen und einen kritischen Kollegen mit weitem Blick über den Tellerrand. Wir haben mit ihm über die Hintergründe gesprochen.

Ulf, Du hast die Berliner Justiz zum 1. August 2024 auf eigenen Wunsch verlassen. Was sind die Gründe?

Ja, ich habe bei der Berliner Justizverwaltung beantragt, mich aus dem Dienst der Berliner Justiz zu entlassen. Seit dem 1. August bin ich also nicht mehr Richter des Landes Berlin sein, sondern Richter am Landgericht a.D. Das ist ein Abschied, der mir nicht leicht fällt, denn ich war stets sehr gerne Richter. Zugleich gibt mir dieser Schritt aber die Möglichkeit, mich in Zukunft voll meinem Herzensprojekt zu widmen: Gemeinsam mit meinem Freund und Kollegen Philip Banse möchte ich unseren Podcast „Lage der Nation“ moderieren und das dahinterstehende kleine Medien-Unternehmen weiterentwickeln. Außerdem bleibe ich Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Mit meinem Abschied aus der Justiz geht eine persönliche Entwicklung in die nächste Phase, die mit der Gründung der „Lage“ 2016 begann: Was Philip Banse und ich zunächst als Hobby gestartet haben, ist zu einer Firma gewachsen, die ein Dutzend Menschen beschäftigt. Rund eine Millionen Menschen hören regelmäßig die Lage der Nation, für viele ist unser Podcast aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Erst vor ein paar Wochen wurde die Lage der Nation mit dem Deutschen Podcast-Preis 2024 in der Kategorie „Beste Information“ ausgezeichnet. Für mich stand daher von vornherein fest, dass ich mich weiter für die „Lage“ engagieren möchte. Die Frage war nur, inwieweit das mit der Arbeit in der Justiz zu vereinbaren sein könnte, wenn meine Beurlaubung in diesem Sommer ausläuft.

Ich finde es schade, dich als eines der Aushängeschilder der Berliner Justiz zu verlieren. Hätte es eine Konstellation gegeben, dich im Richterdienst zu halten? Hattest Du daran überhaupt Interesse?

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass beide Aufgaben nicht zu vereinbaren sind. Die Menschen, über die ich als Strafrichter hätte urteilen müssen, erwarten völlig zu Recht, dass Richterinnen und Richter den Kopf frei haben und sich voll auf die Rechtsprechung konzentrieren. Das aber hätte ich nicht garantieren können, wenn ich zugleich Verantwortung für die „Lage der Nation“ und unsere Mitarbeiter:innen trage. Daher habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, meinen Abschied aus der Justiz zu nehmen.

Anders hätte es ausgesehen, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, meine derzeitige Beurlaubung eine Weile zu verlängern. Ich muss nicht unbedingt bis ins Rentenalter hinein podcasten ...

Gab es Gespräche, Deine Beurlaubung zu verlängern, um dich in der Justiz zu halten?

Natürlich, ich habe mein Amt ja nicht leichtfertig aufgegeben. Letztlich waren diese Gespräche aber nicht erfolgreich. Mich hat das verwundert, zumal offenbar bereits Proberichter jenseits der 50 eingestellt werden. Da hätte es aus meiner Sicht nicht ganz ferngelegen, einen erfahrenen Kollegen am Ende einer Beurlaubung wieder zu beschäftigen.

Du hast als Strafrichter gearbeitet, warst wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht, hast in der Senatsverwaltung an einem Gesetzentwurf mitgeschrieben und dich dann für die „Lage“ beurlauben lassen. Hast Du dabei das Interesse an der Justiz verloren?

Nein. Mir ist es wichtig, deutlich zu machen, dass dies keine Entscheidung gegen die Justiz ist. Unser Rechtsstaat ist eine großartige Errungenschaft, und ich kann junge Menschen nur ermuntern, sich für die Arbeit in der Justiz zu entscheiden. Mein Entschluss ist vielmehr eine Entscheidung, wo ich meine Kraft in den nächsten Jahren einsetzen möchte. An dieser Stelle habe ich mich für das Engagement für einen zeitgemäßen politischen Journalismus entschieden, der sich unparteiisch, aber mit klarer Haltung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzt. Ich war immer gerne Richter und hätte auch gerne wieder in Moabit gearbeitet. Doch ich glaube, dass ich der aktuellen politischen und sozialen Situation in Deutschland bei der „Lage der Nation“ mehr für unser Land und unsere Gesellschaft bewegen kann.

Du beschäftigst Dich intensiv mit unserem Rechtsstaat. Was muss sich Deiner Ansicht nach speziell in der Berliner Justiz verändern?

Ich glaube, die Menschen, die in der Justiz Verantwortung für das Personal tragen, sollten sich des besonderen Trumpfs bewusster werden, den gerade die Justiz beim immer härteren Wettbewerb um die besten Köpfe eigentlich ausspielen könnte: die Flexibilität der Arbeitszeit. Die Justiz wird realistischerweise stets viel schlechter bezahlen, als es der freien Wirtschaft möglich ist. In Kanzleien und Unternehmen ist dafür die Work-Life-Balance oft nicht sehr attraktiv. Darin liegt eine große Chance für die Justiz.

Die Justiz sollte viel klarer kommunizieren: Wir freuen uns, dass Sie da sind! (Fast) egal, wann und mit wie viel Prozenten - wir unterstützen Sie bei Ihrer persönlichen Lebensplanung. Das schafft so kaum ein Unternehmen, aber auch die Justiz tut sich überraschend schwer. Hätte ich in der Senatsverwaltung etwas zu entscheiden, so würde ich mich für eine maximale Flexibilität der Arbeitszeit einsetzen. Denn mal ehrlich - wenn man will, geht das in der Justiz so gut wie sonst kaum irgendwo, einfach weil wir ja ein Pensensystem haben und es ohnehin ein ausgefeiltes Vertretungssystem gibt.

Aber auch der Gesetzgeber muss hier umdenken. Warum eigentlich ist eine Beurlaubung nur bis 50% möglich? Wer in der Verwaltung tätig ist, widmet sich meist auch nur zu 10% der Rechtsprechung. Offenbar sind Pensen unter 50% also durchaus möglich. Die 50%-Grenze gehört für mich zu den verkrusteten Strukturen, die es der Justiz immer schwerer machen werden, schlaue Menschen zu gewinnen und zu halten. Ich hätte mir beispielsweise einen Einstieg mit 25% gut vorstellen können - aber 50% sind neben der Lage der Nation einfach nicht zu verantworten.

Schließlich sollte die Justiz viel offener werden für Quereinsteigende. In den USA ist es völlig selbstverständlich, dass Menschen nach zwei, drei erfolgreichen Jahrzehnten in Unternehmen und Kanzleien in die Justiz eintreten. Warum ist das eigentlich bei uns kaum möglich? Ich denke, die reiche Lebenserfahrung von Menschen 50+ würde auch der Justiz in Deutschland sehr gut tun. Zugleich haben viele in dieser Zielgruppe finanziell ihr "Schäfchen im Trockenen", sodass die unangemessene Besoldung weit weniger schmerzt, als wenn man sich mit 30 erst noch alles selbst aufbauen muss.

Lieber Ulf, ich wünsche Dir für Deine Pläne und die "Lage" alles Gute. Herzlichen Dank für die gemeinsamen Projekte im Deutschen Richterbund, Deine IT-Lösungen für uns – und die offenen Worte heute.

Das Interview führte Dr. Stefan Schifferdecker