Interview mit der Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung Dr. Lena Kreck

Die Redaktion hat Dr. Lena Kreck um ein schriftliches Interview gebeten.

Frage: Wo sehen Sie die Hauptbaustellen im Bereich der Justiz?

Lena Kreck: Das Thema Digitalisierung ist mir ganz besonders wichtig. Dazu zählt auch die Verbesserung der Informationssicherheit in der Justiz, die – wie der Angriff mit einer Schadsoftware auf das Kammergericht gezeigt hat – leider sehr störanfällig ist. Wegen dieses weit mehr als ärgerlichen Vorfalls habe ich nach Übernahme des Amtes sofort kurzfristige, aber auch langfristige Maßnahmen ergriffen, um die Informationssicherheit an den Gerichten zu verbessern. Während der Pandemie haben Berlins Gerichte und Strafverfolgungsbehörden bereits große Fortschritte erzielt. Mobiles Arbeiten und Videokonferenz-Lösungen werden von vielen Richterinnen und Richtern geschätzt. Das wird mir bei meinen Antrittsbesuchen vor Ort immer wieder gesagt. Darüber hinaus bin ich entschlossen, überfällige Investitionen in den Liegenschaften der Berliner Justiz umzusetzen. Sehr wichtig ist mir außerdem, dass sich die Vielfalt, die Berlin prägt, auch noch stärker in der Justiz abbildet.

Was waren die ersten Justizprojekte, die Sie als Berliner Justizsenatorin angestoßen haben?

Neben dem bereits Genannten möchte ich wichtige Diskussionen wie die zur kindgerechten Justiz vorantreiben. Das Thema könnte im kommenden Jahr bei der Justizministerinnen- und Justizministerkonferenz (JuMiKo), die 2023 unter dem Vorsitz Berlins in der Hauptstadt stattfinden soll, einer der Schwerpunkte werden. Daneben geht es mir auch um die Stärkung des Resozialisierungsgedankens. Berlin hat hier während der Pandemie beispielsweise mit der Aussetzung von Ersatzfreiheitsstrafen bei geringeren Geldstrafen vorbildhaft gezeigt, wie es geht. Die anderen Bundesländer ziehen nun nach und diskutieren ebenfalls über die Vermeidung solcher Ersatzfreiheitsstrafen. In diesen Debatten profitiere ich enorm von meinen eigenen Erfahrungen aus der sozialen Arbeit.

Die Einführung der E-Akte gestaltet sich für Berlin teils sehr stockend. Können Sie die Einführung der elektronischen Akte beschleunigen?

Bei jeder Einführung neuer Technik gibt es Anlaufschwierigkeiten. Am Familiengericht des Amtsgerichtes Köpenick etwa wird bereits in einem Pilotprojekt die E-Akte eingesetzt, das heißt, in einigen
Bereichen der Gerichtsbarkeit wird bereits auf dieser Basis testweise gearbeitet. Perspektivisch wollen wir die E-Gerichtsakte zum 1. Januar 2026 flächendeckend in Berlin einführen. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben und das Ziel will ich einhalten. Damit das gelingt, müssen wir die IT-Steuerung in der Senatsverwaltung weiter stärken, um die technischen, organisatorischen, betrieblichen, aber vor allem auch strategischen Zusammenhänge zentral und zügig zu bearbeiten.

IT muss in der Justiz endlich Chefinnensache werden. Wie wollen Sie verhindern, dass Ihre Verwaltungsabteilungen sich zuerst nur mit sich selbst beschäftigen, anstatt die IT vor Ort voranzubringen?

Ich beschäftigte mich seit Amtsantritt mit diesen Fragen, es gab dazu zahlreiche Beratungsrunden. Welchen Stellenwert die Informationssicherheit unter mir als Senatorin hat, das zeigen auch die Aufwüchse der finanziellen Mittel für diesen Bereich im Doppelhaushalt des Landes Berlin: Im vergangenen Jahr waren dafür in meiner Verwaltung noch 18,3 Millionen Euro vorgesehen, in diesem Jahr gab es bereits einen Aufwuchs auf rund 22 Millionen Euro und im kommenden Jahr werden Finanzmittel in Höhe von fast 24 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das schlägt sich auch in sechs neuen Stellen wieder, die wir für die Informationssicherheit in der Senatsverwaltung selbst aufbauen wollen. Erste Umstrukturierungen in diesem Bereich habe ich unmittelbar vorgenommen. Wir sind bei dem Thema dran und müssen in die Vorhand kommen.

Werden Sie sich dafür einsetzen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter flächendeckend mit Dienstlaptops und VPN-Zugängen auszustatten?

Ja, sicher, das ist vielfach auch bereits umgesetzt. In der Corona-Pandemie haben die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden einen deutlichen Digitalisierungsschub erfahren. Den wollen wir mit der Einführung der E-Akte verstärken. Alle Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit dienstlichem Bedarf am Verwaltungsgericht oder den übrigen Gerichten sind entsprechend ausgerüstet worden. Sie haben sogenannte Bootsticks oder Laptops mit sicheren Zugängen, die über ein sogenanntes Virtuelles Privates Netzwerk hergestellt werden. Zuletzt lag der Schwerpunkt auf der Ausstattung des übrigen Personals unter anderem an der Sozialgerichtsbarkeit mit mobilen Endgeräten. Mit der sukzessiven Einführung der elektronischen Gerichtsverwaltungsakte dürften die Bedarfe weiter steigen. Finanziell ist der Bedarf dafür durch Mittel aus dem Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt sichergestellt. Auch entsprechende Ausstattungskonzepte liegen bereits vor.

Berlin gewinnt nur noch Nachwuchs, indem es trotz steigender Examensnoten die Einstellungsvoraussetzungen immer weiter absenkt. Wie wollen Sie die Berliner Justiz attraktiver machen und die Nachwuchsgewinnung sicherstellen?

Zunächst einmal: Die Nachfrage nach Richter*innenstellen in Berlin ist weiterhin sehr groß. Berlin ist ein Sehnsuchtsort und das Land Berlin ein attraktiver Arbeitgeber. Damit das in Zukunft so
bleibt, will ich das richterliche Dienstrecht modernisieren. Dazu zählt vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Außerdem sollen die Wünsche nach flexibleren Lebensplanungen und Entwicklungsmöglichkeiten besser berücksichtigt werden.

Wie viele neue Stellen wollen Sie in den nächsten fünf Jahren in der Berliner Justiz schaffen? Wo sehen Sie Bedarf?

Der vor der Sommerpause vom Abgeordnetenhaus beschlossene Doppelhaushalt 2022/2023 für die Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung ermöglicht einen weiteren Aufbau von 113 neuen Stellen im Geschäftsbereich. Besonders gestärkt werden die Bereiche Strafjustiz und Justizvollzug. Das ermöglicht beispielsweise mit Blick auf die laufenden sogenannten Encro-Chat-Verfahren eine noch bessere Bekämpfung der organisierten
Kriminalität in der Hauptstadt. Zudem werden durch den neuen Haushalt die finanziellen Mittel für die Stellen der Europäischen Staatsanwaltschaft geschaffen. Mit neuen Stellen sollen zudem die Gesundheitsvorsorge und die Resozialisierung in den Gefängnissen gestärkt werden. Die Situation im Justizvollzug hat die Justizverwaltung auf dem Schirm. Auch das Landgericht Berlin und die Familiengerichte werden künftig noch besser personell ausgestattet und aufgestellt. Mir liegt besonders am Herzen, dass das Versprechen des Rechtsstaates, für alle zugänglich zu sein, eingelöst wird. Wir wollen den Zugang zum Recht für alle weiter vereinfachen. Das ist auch die Stoßrichtung für die kommenden Haushaltsverhandlungen, die jetzt anlaufen.

An vielen Gerichten besteht ein Mangel an Wachtmeisterinnen und Wachtmeistern. Einlasskontrollen finden nicht immer statt, manche Wachtmeisterei ist ab dem frühen Nachmittag nicht mehr besetzt. Wie soll künftig die Sicherheit in den Gerichten dauerhaft gewährleistet werden?

Die Sicherheit an den Gerichten ist mir ein wichtiges Anliegen, das ich beobachte. Dabei haben wir auch die Corona-bedingten personellen Ausfälle im Blick. Auf die nächsten Corona-Wellen bereiten wir uns entsprechend vor. Mir liegt aber nicht nur die Gesundheit der rund 600 Beschäftigten in den Wachtmeistereien am Herzen; genauso ist es mir ein Anliegen, dass die Nachwuchsgewinnung optimiert wird. Dafür setze ich mich mit der Kampagne „Gemeinsam für den besten Nachwuchs bei der Berliner Justiz“ ein.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 festgestellt, dass die Besoldung der Berliner Kolleginnen und Kollegen bis 2015 verfassungswidrig war. In rechtswidriger Weise hat es das Land Berlin unterlassen, anhand der Vorgaben des BVerfG die Besoldungshöhe ab 2016 zu prüfen. Werden Sie sich für eine Besoldungsreparatur einsetzen, bevor es zu einer weiteren Verurteilung des Landes kommt?

Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind natürlich angemessen zu besolden. An dieser Stelle verfassungsgemäße Zustände herzustellen, hat in diesem Senat höchste Priorität. Finanzsenator Daniel Wesener beabsichtigt, zeitnah nach der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur A-Besoldung, die Besoldung aller Besoldungsgruppen, einschließlich der R-Besoldung, anzupassen. Ich kann Ihnen bereits jetzt zusichern, dass eine Erhöhung der richterlichen Besoldung um 2,8 Prozent zum 1. Dezember 2022 beabsichtigt ist.

Werden Sie sich dafür einsetzen, dass es angesichts der Preissteigerungen für die Beschäftigten einen Inflationsausgleich geben wird? Wird Ihr Einsatz auch den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Richterinnen und Richtern gelten?

Aus meiner Sicht muss es einen solchen Inflationsausgleich geben. Zu beachten ist allerdings, dass ich als Justizsenatorin natürlich nicht alleine bei diesem Thema handeln kann, sondern nur gemeinsam mit den anderen Senatorinnen und Senatoren.
Schlussendlich liegt eine solche Entscheidung, die den Haushalt betrifft, genau wie bei den sogenannten Corona-Sonderzahlungen beim Abgeordnetenhaus.

Beim Anteil von Frauen in Führungspositionen der Justiz (ab R3) steht die Berliner Justiz im Bundesvergleich zwar auf Platz 2, von einer geschlechtergleichen Verteilung ist das Land aber deutlich entfernt. Wie wollen Sie die Repräsentation von Frauen in Führungspositionen stärken, ohne die Männer zu benachteiligen?

Ich sehe derzeit keine Gefahr der Benachteiligung von Männern in diesen Führungspositionen. Bei den R2 beziehungsweise R3 liegt die Männeranteil ungefähr bei 60 Prozent, das Ziel der Gleichstellung ist damit noch nicht erreicht worden. Was unter anderem daran liegen könnte, dass Frauen bei den Auswahlverfahren strukturell benachteiligt werden. Wir wollen gezielt mit Fortbildungen weibliche Führungskräfte fördern, die in den vergangenen Jahren erzielten Fortschritte bei der Erhöhung der Frauenquoten bestärken uns darin. Aktuell werten wir auch die Praxis der Beförderungsverfahren aus, um einen besseren Überblick zu erhalten. Hierzu werden Beurteilungen nach den Kriterien des Gendernotenspiegels untersucht, erste vorläufige Ergebnisse liegen vor. Davon ausgehend werden wir schauen, inwiefern das Beförderungsverfahren und das Beurteilungswesen geändert werden kann und muss.

Sie haben bei Ihrem Amtseintritt den Blick auf die fehlende Diversität bei den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Richterinnen und Richtern gelenkt. Wie wollen Sie sich dafür einsetzen, dass die Lebensgeschichten der Kolleginnen und Kollegen die Verhältnisse in unserer Stadt abbilden?

Mehr Diversität ist für mich tatsächlich ein wichtiges Anliegen. Aus meiner Perspektive geht es nicht nur darum, dass alle Menschen den gleichen Zugang zu Berufen in der Justiz haben, sondern dass mehr Diversität die Justiz meines Erachtens außerordentlich stärken würde. Berlin kann sich angesichts der großen Vielfalt glücklich schätzen. Auch die Justiz sollte von den verschiedenen Erfahrungen und Lebensrealitäten noch stärker profitieren. In der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung gehen wir dieses strukturelle Problem, dessen Lösung Zeit braucht, mit der Schaffung einer neuen Abteilung Vielfalt in Justiz und Gesellschaft an. Diese Abteilung wird aktuell aufgebaut und personell ausgestattet, auch um die Vielfalt in
der Justiz insgesamt zu fördern.

Die Planungen zur Teilung des Landgerichts bewegt die Kolleginnen und Kollegen. Wann wird es Entscheidungen hierzu geben? Wird es weiterhin die Möglichkeit geben, zwischen der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit zu wechseln?

Der Plan ist die Teilung des Landgerichts zum 1. Januar 2024 vorzunehmen. Das dafür nötige Gesetzgebungsverfahren werde ich rechtzeitig einleiten. Zuvor werden wir selbstverständlich die Berufsverbände und die Beschäftigtenvertretungen einbinden. Auch nach der förmlichen Teilung des Landgerichts werden Wechsel zwischen Straf- und Zivilgerichtsbarkeit möglich sein, dann aber, wie bei einem Wechsel zwischen verschiedenen Gerichten im Wege der Abordnung oder der Versetzung.

Sie sind gegen die Ersatzfreiheitsstrafe und plädieren für eine Abarbeitung der Strafen. Wie stellen Sie sich eine Unterstützung der Menschen bei der Abarbeitung der Strafen konkret vor? Wie soll Berlin reagieren, wenn diese aus körperlichen/psychischen Gründen nicht arbeiten können?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit der Situation, dass Geldstrafen nicht bezahlt werden können, umzugehen. Ich nehme zur Kenntnis, dass auch der Bundesjustizminister jüngst einen Vorschlag unterbreitet hat, den Umrechnungsstab von 1:1 zu 1:2 zu
verändern, um die Ersatzfreiheitsstrafen zu halbieren. Ich habe mich grundsätzlich dafür ausgesprochen, das Fahren ohne Fahrschein (im innerstädtischen ÖPNV, nicht auf Langstrecken) zu entkriminalisieren, das für einen Großteil der Ersatzfreiheitsstrafen in Berlin ursächlich ist. Außerdem müssen neben dem Angebot „Arbeit statt Strafe“ weitere Optionen aufgezeigt werden, hier zählen unter anderem Ratenzahlungsvereinbarungen oder das
Unterbleiben der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch die Anordnung des Gerichts. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Ersatzfreiheitsstrafen die Falschen treffen, deshalb müssen die Angebote, die beim Thema „Arbeit statt Strafe“ offeriert werden, auch Menschen mit körperlichen und psychischen Einschränkungen besser gerecht werden.

Herzlichen Dank, dass Sie uns für das Interview zur
Verfügung standen – Die Redaktion des VOTUMS