Am 27. November 2019 war es wieder soweit: Die Richtervertretungen, d.h. die Mitglieder der örtlichen Richterräte und des Gesamtrichterrats sowie die (zu wählenden) Mitglieder des Präsidialrats, wurden nach Ablauf von vier Jahren neu gewählt.
Nach § 27 Abs. 1 Richtergesetz Berlin (RiG Bln) ist die Mitgliedschaft in der Richtervertretung ein Ehrenamt; gemäß Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift sind die Mitglieder von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben in der Richtervertretung erforderlich ist. Eine nähere Regelung zum Ob und Wie einer Freistellung existiert in Berlin jedoch nicht.
Im Rahmen der Neufassung des ab dem 23. Juni 2011 geltenden RiG Bln hatte sich der Hauptrichter- und Hauptstaatsanwaltsrat (HRSR) bezüglich der Freistellung von Richterräten für im Gesetz bestimmte Quoten ausgesprochen. Hintergrund war, dass es seinerzeit Probleme gab, beantragte Freistellungen in der Praxis durchzusetzen. Mit seinem Anliegen konnte der HRSR damals nicht durchdringen. Aus eigenem Erleben kann berichtet werden, dass in der vorangegangenen Wahlperiode für die Ausübung der Tätigkeit im Präsidialrat bei dem Kammergericht keine Entlastung erfolgte, während für die Tätigkeit im Gesamtrichterrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf einen entsprechenden Beschluss des Gremiums antragsgemäß eine Freistellung in Höhe eines Arbeitskraftanteils von 10 % gewährt wurde.
Wir brauchen gesetzlich geregelte Freistellungsquoten für die ehrenamtliche Tätigkeit der Richterräte. Das Personalvertretungsgesetz Berlin ist dafür Vorbild.
Die Zuständigkeit der Richterräte ist mannigfaltig. Der örtliche Richterrat ist zu beteiligen, wenn die Angelegenheiten die richterlichen Beschäftigten des Gerichts betreffen, für das der Richterrat gebildet ist, während der Gesamtrichterrat zuständig ist für Angelegenheiten, die über den Aufgabenbereich des örtlichen Richterrats hinausgehen und jenem durch das Richtergesetz zugewiesen werden (§ 39 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 RiG Bln). In § 41 RiG Bln sind Angelegenheiten geregelt, die der Mitbestimmung des Richterrats unterliegen; gemäß § 46 Abs. 1 RiG Bln kann eine der Mitbestimmung unterliegende Maßnahme nur mit Zustimmung des Richterrats getroffen werden, soweit das Richtergesetz nichts anderes bestimmt. Der Mitbestimmung unterfallen zum Beispiel Regelungen der Ordnung im Gericht und des Verhaltens der Richterinnen und Richter (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 RiG Bln) oder allgemeine Regelungen über die Gestaltung der Arbeitsplätze (§ 41 Abs. 1 Nr. 4 RiG Bln). Weiterhin sieht das Richtergesetz Berlin Mitwirkungstatbestände in § 42 vor. Beispielsweise wirkt der Richterrat bei der Auflösung, Einschränkung, Verlegung oder Zusammenlegung von Gerichten oder wesentlichen Teilen von ihnen mit (§ 42 Abs. 1 Nr. 1 RiG Bln), außerdem bei der Planung von Neu-, Um- und Erweiterungsbauten von Dienstgebäuden (§ 42 Abs. 1 Nr. 2 RiG Bln). Auf Antrag der betroffenen Kolleginnen und Kollegen kann der Richterrat z.B. auch bei der Versagung oder dem Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung sowie der Untersagung einer Nebentätigkeit (§ 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 RiG Bln) mitwirken. Gleiches gilt bei der Ablehnung von Anträgen auf Teilzeitbeschäftigung oder Beurlaubung nach §§ 4 f. RiG Bln, dem Widerruf der Bewilligung oder der Versagung der Umfangsänderung einer Teilzeitbeschäftigung und der Versagung der Rückkehr zur Vollzeitbeschäftigung. Darüber hinaus steht dem Richterrat ein Initiativrecht zu (§ 43 RiG Bln). Danach gehört es zu seinen Aufgaben, Maßnahmen zu beantragen, die dem Gericht sowie seinen Beschäftigten dienen (Nr. 1), auf die Durchführung von Rechtsvorschriften, Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen hinzuwirken, die zugunsten der Richterinnen und Richter gelten (Nr. 2), durch Verhandlung mit dem Gerichtsvorstand auf die Erledigung von berechtigten Beschwerden und die Berücksichtigung von Anregungen hinzuwirken, die seitens der Richterinnen und Richter an den Richterrat herangetragen werden (Nr. 3), Maßnahmen zur Eingliederung und beruflichen Entwicklung von schwerbehinderten Richterinnen und Richtern zu beantragen (Nr. 4) und die Zusammenarbeit von richterlichem und nichtrichterlichem Personal zu fördern (Nr. 5).
Konkrete Angelegenheiten, an denen der Richterrat, sei es der jeweils örtliche oder der Gesamtrichterrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit, in jüngerer Zeit beteiligt waren, sind unter anderem die Prüfung der Einführung des IT-Fachverfahrens ForumStar, die Pilotierung der elektronischen Verfahrensakte im Amtsgericht Neukölln, der Releasewechsel zu Windows 10, die Auswirkungen der Fixierungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die zum Teil inakzeptable Raum- und Saalsituation in einigen Gerichten, die (positive) Berücksichtigungsfähigkeit einer Teilnahme an Intervision und Supervision in dienstlichen Beurteilungen, die Vergabe der Höchstnote auch an R 1- und R 2- besoldete Richterinnen und Richter sowie der Sicherheitsvorfall im Kammergericht am 25. September 2019 und seine weitreichenden Folgen.
Der Umfang und die Intensität des Engagements der Mitglieder des Richterrats hängen naturgemäß davon ab, inwieweit die spruchrichterlichen Dienstgeschäfte eine Wahrnehmung des Ehrenamts zulassen. Aber nicht nur die Erfüllung der Aufgaben (einschließlich Vor- und Nachbereitung) beanspruchen spürbar Zeit und Kraft, sondern auch die Kontrolle der Verwaltung, dass diese die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Richterrats wahrt. Im Votum, Ausgabe 3/2019, wurde insoweit berichtet, dass der HRSR vor dem Verwaltungsgericht Berlin - VG 7 K 283.18 - geltend gemacht hat, sein Mitbestimmungsrecht sei verletzt worden, indem durch den Erlass der sogenannten „Orientierungshilfe“ im Jahr 2017 die bereits bestehenden Beurteilungsrichtlinien ergänzt bzw. geändert worden seien, ohne den HRSR gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 5 RiG Bln zu beteiligen. Der jeweils zuständige Richterrat kann mit der Gerichtsverwaltung, die sich jedenfalls im Kammergericht und Landgericht Berlin in den vergangenen Jahren stetig personell vergrößert hat, nur dann auf Augenhöhe kommunizieren und die Interessen der Richterschaft sachgerecht vertreten, wenn die notwendigen Rahmenbedingungen für die Aufgabenerfüllung vorhanden sind.
Anknüpfend an das Anliegen des HRSR aus dem Jahr 2011 wäre es begrüßenswert, wenn sich der Berliner Gesetzgeber dazu entschlösse, Freistellungsquoten für die ehrenamtliche Tätigkeit im Richtergesetz aufzunehmen, um den Mitgliedern des Richterrates eine gefestigte Rechtsposition zu verschaffen und sie unabhängig vom Goodwill Dritter zu machen. Dass dies möglich ist, beweist das Personalvertretungsgesetz Berlin (PersVG Bln). Auch die Mitglieder des Personalrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt (§ 42 Abs. 1 PersVG Bln). Gleichwohl werden deren Freistellungen in § 43 PersVG Bln näher ausgestaltet.
Die Ungleichbehandlung der Richtervertretungen ist nicht erklärlich.
Doerthe Fleischer in Kooperation mit Dr. Gregor Schikora