Fehlende Verfassungstreue der Schöffinnen und Schöffen als absoluter Revisionsgrund?

Die Verfassungstreue der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter hat einen hohen Stellenwert

 

Der Entwurf des Bundesministeriums der Justiz des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes vom 18. Januar 2023 sieht im Wesentlichen vor, dass in § 44a DRiG „Hindernisse für Berufungen als ehrenamtliche Richter“ der bisherigen Regelung ein neuer Absatz 1 vorangestellt wird, der wie folgt lauten soll:

In das Amt eines ehrenamtlichen Richters darf nicht berufen werden, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.

Nach der Entwurfsbegründung wird durch die Neuregelung die Pflicht der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zur Verfassungstreue explizit gesetzlich verankert, besser sichtbar gemacht und deren besondere Bedeutung hervorgehoben. Ferner werde über die bisherige Rechtslage hinaus ein zwingender Ausschlussgrund für die Berufung bei Zweifeln am Bestehen der Verfassungstreue geschaffen. Hierbei handele es sich nicht nur um eine deklaratorische Kodifizierung der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Regelung gehe in einem wesentlichen Punkt darüber hinaus. So heißt es in der Begründung des Referentenentwurfs wortwörtlich:

Im Falle einer Berufung einer ehrenamtlichen Richterin bzw. eines ehrenamtlichen Richters trotz Vorliegens des Ausschlussgrundes ist das jeweils entscheidende Gericht im konkreten Einzelverfahren fehlerhaft besetzt. Dies führt – im Gegensatz zur Sollvorschrift des § 44a Absatz 1 DRiG – zur Möglichkeit der Erhebung von Besetzungsrügen. Die fehlerhafte Besetzung eines Spruchkörpers stellt einen absoluten Revisionsgrund dar.

Die Verfassungstreue der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter hat einen hohen Stellenwert. Deren explizite gesetzliche Verankerung im Deutschen Richtergesetz ist daher zur Klarstellung ihrer Stellung und Normierung der bundesverfassungsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Mai 2008 - 2 BvR 337/08 -), nach der die Pflicht zur Verfassungstreue ehrenamtlicher Richterinnen und Richter auch nach jetziger Gesetzeslage besteht, zu begrüßen. Es ist aber der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes im Gesetzgebungsverfahren beizupflichten, dass die darüberhinausgehende und vom Referentenentwurf explizit hervorgehobene Wirkung als absoluter Revisionsgrund dem Grundsatz der Rechtssicherheit sowie demjenigen der Gleichstellung der Schöffen nicht zuträglich ist und aus diesen Gründen abzulehnen ist. Dabei ist bereits fraglich, ob die vom Referentenentwurf aufgeführte Wirkung tatsächlich Folge des Regelungsvorschlags ist.

Das Vertrauen in die Bestandskraft gerichtlicher Entscheidungen ist ein hohes Gut unseres Rechtsstaats. Die vorgeschlagene Regelung macht aber gerichtliche Entscheidungen angreifbar, die möglicherweise in der Sache rechtmäßig sind. Diese Unsicherheit wird dadurch verstärkt, dass bereits „Zweifel am Bestehen der Verfassungstreue“ der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter genügen sollen. Für eine Amtsenthebung bedarf es hingegen aus gutem Grund vor dem Hintergrund von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 97 Abs. 1 GG einer groben Verletzung der Amtspflicht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Mai 2008 - 2 BvR 337/08 - Rn. 24).

Die aktuelle Gesetzeslage bietet im Stadium des laufenden Gerichtsverfahrens bereits dadurch Schutz vor extremistischen Gesinnungen der ehrenamtlichen Richter, dass bei einer solchen Gesinnung in einer Stellungnahme oder gerichtlichen Entscheidung, der Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt oder wegen Rechtsbeugung verurteilt werden kann. Außerdem stehen der Ansicht des Referentenentwurfs im Sozialgerichtsgesetz und Arbeitsgerichtsgesetz bestehende Regelungen entgegen (§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGG und § 65, § 73 Abs. 2, § 79 Satz 2 ArbGG), wonach Umstände, die die Berufung eines ehrenamtlichen Richters ausschließen, beziehungsweise die Nichtdurchführung einer Amtsenthebung nicht als Verfahrensmängel gerügt werden können. Dabei ist die Regelung im Sozialgerichtsgesetz explizit zur Vermeidung von Besetzungsrügen geschaffen worden.

Es ergeben sich auch praktische Schwierigkeiten, die sich auf die Gleichstellung der ehrenamtlichen Richter auswirken. Zu der Frage, wie sich die oder der Vorsitzende vor jeder Sitzung von der Verfassungstreue der ehrenamtlichen Richter überzeugen soll, verhält sich die Begründung des Gesetzentwurfs nämlich nicht. Damit zusammenhängende ständige Nachforschungen des Vorsitzenden würde die gleichberechtigte Stellung der Schöffen als Richter und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Berufsrichtern schwächen. Dies gilt insbesondere, da die entsprechende Regelung für Berufsrichterinnen und -richter (§ 9 Nr. 2 DRiG) eben die von dem Referentenentwurf vorgesehene Wirkung einer fehlerhaften Besetzung nicht zur Folge hat. Diese unterschiedliche Behandlung erklärt der Gesetzentwurf nicht. Sie ist auch vor dem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass ehrenamtliche Richter ebenso wie Berufsrichterinnen und ‑richter bei Verstößen ihres Amtes zu entheben sind (§ 51 GVG).

Gleichzeitig bestünde die Gefahr, dass ein verfassungsfeindlicher ehrenamtlicher Richter mit der Neuregelung gezielt gerichtliche Entscheidungen dadurch angreifbar macht, dass er nachträglich seine Verfassungsfeindlichkeit offenbart.

Zielführender erscheint es demgegenüber Verfahren einzuführen, die die Treue des ehrenamtlichen Richters zur Verfassung vor seiner Auswahl intensiv überprüfen, wie dies auch derzeit für die Berufung ins Berufsrichteramt diskutiert wird.

 

Dr. Henrikje-Sophie Budde