Externes Weisungsrecht abschaffen!

Nicht die Weisungsgebundenheit als solche ist das Problem, sondern wer weisungsberechtigt ist.

 

Seit Inkrafttreten des GVG im Jahr 1879 heißt es im Gesetz: „Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.“ Damit stellt § 146 GVG (ursprünglich: § 147 Abs. 1 GVG a.F.) klar, dass auch für Staatsanwälte der beamtenrechtliche Grundsatz der Weisungsgebundenheit (jetzt: § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) gilt.

Allerdings ist weniger die Weisungsgebundenheit als solche das Problem, sondern wer weisungsberechtigt ist. § 147 Nr. 2 GVG sieht nämlich vor, dass der Landesjustizverwaltung gegenüber allen staatsanwaltschaftlichen Beamten des entsprechenden Landes das Recht der Aufsicht und Leitung zusteht. Weisungsbefugt sind also nicht nur die im Dienst der Staatsanwaltschaft oder der übergeordneten Generalstaatsanwaltschaft stehenden Vorgesetzten – ihrerseits Staatsanwälte –, sondern die Ministerien bzw. in Berlin die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Weil die Landesjustizverwaltung außerhalb der Staatsanwaltschaft steht, spricht man vom externen Weisungsrecht.

Der Europäische Gerichtshof hat nun mit Urteil vom 27. Mai 2019 in den Rechtssachen C-508/18 und C-82/19 PPU den deutschen Staatsanwaltschaften aufgrund des bestehenden externen Weisungsrechts die Befugnis abgesprochen, die zur Auslieferung von Beschuldigten und Verurteilten aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erforderlichen Europäischen Haftbefehle auszustellen:

Der Begriff „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass darunter nicht die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaats fallen, die der Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu werden.

Der Europäische Haftbefehl, dem ein von einem nationalen Gericht ausgestellter Haftbefehl oder sogar ein Strafurteil zugrunde liegt, ist nichts anderes als ein formalisiertes Rechtshilfeersuchen um Fahndung, Festnahme und Auslieferung. Dem EuGH ließe sich also entgegnen, die Entscheidung, diese strafprozessualen Maßnahmen (auch) im Ausland zu veranlassen, sei nicht so wesentlich, dass sie einem weisungsunabhängigen Amtsträger vorbehalten bleiben müsse. An der vom EuGH vorgenommenen Auslegung und der – zutreffenden – Einstufung der deutschen Staatsanwaltschaften als weisungsabhängig führt aber bis auf weiteres kein Weg vorbei.

Nach dem geltenden deutschen Recht können Europäische Haftbefehle daher nur noch durch Gerichte ausgestellt werden. Das betrifft nicht lediglich die künftig auszustellenden, sondern auch die durch Staatsanwaltschaften bereits ausgestellten und nun durch solche der Gerichte zu ersetzenden Europäischen Haftbefehle. Die damit verbundene zusätzliche Belastung der Gerichte – insbesondere der Ermittlungsrichter – schwächt die Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland.

Erforderlich ist jetzt eine Gesetzesänderung, durch die die Beamten der Staatsanwaltschaften den vom EuGH bemängelten „unmittelbaren und mittelbaren Anordnungen und Einzelweisungen der Exekutive“ entzogen werden – also das externe Weisungsrecht der übergeordneten Justizverwaltungen abgeschafft wird.

Der Deutsche Richterbund – Bund der Richter und Staatsanwälte – Landesverband Berlin e.V. hat daher mit Schreiben an den Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung vom 28. Mai 2018 den Berliner Senat aufgefordert, umgehend einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des in den §§ 146, 147 Nr. 1 und 2 GVG verankerten externen Weisungsrechts der Justizverwaltungen gegenüber den Beamten der Staatsanwaltschaften in den Bundesrat einzubringen.

Das seit langem in der Kritik stehende externe Weisungsrecht ist lediglich eine einfachrechtliche Regelung und verfassungsrechtlich nicht geboten. § 35 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG sieht ausdrücklich vor, dass Beamte den Anordnungen ihrer Vorgesetzten dann nicht Folge zu leisten haben, wenn sie „nach besonderen gesetzlichen Vorschriften an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind“. Ein Beispiel für eine solche Sonderregelung ist § 157 Abs. 4 Satz 2 GWB, der den Mitgliedern der Vergabekammern beim Bundeskartellamt sachliche und persönliche Unabhängigkeit garantiert. Beamte können also durchaus der Weisungsbefugnis ihrer Vorgesetzten entzogen werden – auch Staatsanwälte!

 

Dr. Udo Weiß