E-Akte in der ordentlichen Gerichtsbarkeit – ausreichende Mitbestimmung?

Nach der Zivilprozessordnung ist zwingend vorgegeben, dass zum 01.01.2026 die Verfahren mittels elektronischer Akten zu führen sind. Für diese gesetzliche Grundsatzentscheidung bestand kein Mitbestimmungsrecht eines Personalvertretungsgremiums. Eine Mitbestimmung auslösend waren erst die Umsetzungsakte zur Realisierung dieser gesetzlichen Vorgabe. § 41 Absatz 2 Nr.2 und 3 Richtergesetz Bln (RiG) sieht nämlich eine Mitbestimmung u.a. für die Einführung/Änderung technischer Einrichtungen vor, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Richterschaft zu überwachen, bzw. die Einführung grundlegend neuer Arbeitsabläufe auch im Rahmen der IT.

Nachdem bereits vor etlichen Jahren der Einführung einer elektronischen Akte beim Amtsgericht Köpenick seitens der Gremien zugestimmt worden war – realisiert erhebliche Zeit später zum 01.11.2022 -, wurde in 4 Pilotkammern des Landgerichts Berlin zum 01.12.2022 begonnen, eine führende eAkte zu pilotieren. Zuvor hatte der Präsident des Kammergerichts ein Mitbestimmungsverfahren durchgeführt. Zu den näheren Umständen wie und warum es zu keiner Zustimmungsverweigerung durch den damaligen GRRoG kam, darf ich wegen § 8 Abs.1 RiG nicht weiter ausführen. Bereits zum 01.03.2023, ohne dass ansatzweise eine lege artis erfolgte Evaluierung des Probebetriebs beim Landgericht erfolgt war, beteiligte der Präsident des Kammergerichts  „Zur Aufnahme des regulären Echtbetriebs der elektronischen Gerichtsakte in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Berlin im Kontext des Fachverfahrens forumSTAR – mit Ausnahme des Strafbereichs“. Damit wurde gegen § 9 Absatz 3 der Rahmendienstvereinbarung zum elektronischen Rechtsverkehr und zur elektronischen Aktenführung in den Berliner Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Amtsanwaltschaft vom 24.04.2018 (RDV eAkte) verstoßen. Da heißt es: „Im Rahmen des Probe-Echtbetriebs sind unter anderem die technischen, fachlichen und ergonomischen Anforderungen im Nutzungskontext des Verfahrens zu evaluieren sowie Maßnahmen zur Beseitigung von Fehlern und ergonomischen Mängeln durchzuführen, um die Gebrauchstauglichkeit inklusive der Barrierefreiheit des Verfahrens zu erhöhen. Es ist eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen.“

Der GRRoG verweigerte seine Zustimmung. Gemäß § 43 Nr.2 RiG obliegt es ihm, darauf hinzuwirken, dass etwa Gesetze und Dienstvereinbarungen, die den Schutz der Richterschaft dienen sollen, eingehalten werden. Damit hat er einen ganz anderen Ansatzpunkt als etwa die Spruchrichterin oder der Spruchrichter, der nur darauf schaut, ob er mit dem Produkt „eAkte“ besser seine bzw. ihre Aufgabe erledigt. Die Einführung der führenden eAkte verstößt gegen eine Vielzahl von derartigen Vorgaben. Hier seien lediglich folgende Punkte angesprochen, zu denen keine vertieften Kenntnisse von Notfallkonzepten, BSI-Standards usw. erforderlich sind.

- Wie erwähnt ist gegen die RDV eAkte verstoßen.

- Der Betrieb einer führenden eAkte ist in Berlin verfassungswidrig. Es verstößt bei uns gegen das verfassungsrechtliche Gebot der organisatorischen Selbständigkeit der Gerichte (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 92, 97 GG), da in Berlin die Daten an ein nicht der Fachaufsicht der Justizverwaltung unterstehendes IT-Dienstleistungszentrum ausgelagert sind und dort administriert werden. Auch ist die Unabhängigkeit der Richterschaft verletzt, weil es keine mit Richtern und Richterinnen besetzte IT-Kontrollkommission gibt. Das entspricht der einhelligen Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt, 20. April 2010, DGH 4/08, bestätigt durch  BGH, Urteil vom 6. Oktober 2011 – RiZ (R) 7/10 –, juris, seinerseits bestätigt durch  BVerfG, 17.01.2013 - 2 BvR 2576/11).

- §§ 2 Abs.1 Nr.3, 3 Abs.1 Satz 1 Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung - BITV 2.0, juris, schreibt vor, dass die eAktenführung barrierefrei zu sein hat. Das ist bei der damals zum Einsatz kommenden Version von eIP nicht der Fall gewesen. Auch heute noch ist keine Version in Berlin im Einsatz, die als barrierefrei zertifizierbar ist.

Daraufhin leitete der Präsident des Kammergerichts ein Einigungsstellenverfahren nach § 47 RiG ein. Das Ergebnis dieses Verfahrens wird von der Verwaltung und dem GRRoG unterschiedlich interpretiert. Im Ergebnis meinte der Präsident des Kammergerichts, er könne nunmehr ohne jegliche weitere Mitbestimmungspflicht als Minus zur Einführung des Echtbetriebs flächendeckend einen Probebetrieb einer führenden eAkte einführen – faktisch ein Etikettenschwindel. So wurde im September 2023 flächendeckend beim Landgericht zivil, im Dezember 2023 beim KG zivil und wird jetzt nach und nach bei den verbliebenen zivilen Amtsgerichten die führende eAkte im Pilotbetrieb ausgerollt. Der GRRoG hatte beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht. Er konnte die o.g. Rechtsverstöße in dem Verfahren nicht geltend machen. Das könnte nur jede/jeder betroffene Spruchrichter/-in. Denn der GRRoG kann wie jeder Rechtsträger nur eine Verletzung in eigenen Rechten rügen. Das war die nicht weiter erfolgte Beteiligung zum Pilotbetrieb. Vor diesem Hintergrund bestand auch keine Möglichkeit der Erwirkung einer einstweiligen Entscheidung. Diese wäre vor der bloßen Rüge der Verletzung der Beteiligungsrechte eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Das Verfahren ist inzwischen durch Vergleich beendet. Nähere Erklärungen dazu vermag ich vor dem Hintergrund des § 8 Abs.1 RiG nicht abzugeben.

Insgesamt zeigt dieses Verfahren explizit, dass die personalvertretungsrechtlichen Bestimmungen ungeeignet sind für die Einführung von neuer IT. Leider darf ich hier vor dem Hintergrund von § 8 Abs.1 RiG nicht näher ausführen, inwieweit und von wem verwaltungsseitig die o.g. genannten rechtlichen Verstöße offen eingeräumt werden. M.E. zählt mehr das Einführen der IT um jeden Preis, als ein qualitativer Fortschritt, der zugleich die Datenhoheit der Justiz, die Einhaltung der sicherheitsrelevanten Vorschriften, die Barrierefreiheit und den Datenschutz gewährleistet.

VRiLG Dr. Gregor Schikora