Dolmetscher fordern Gesundheitsschutz im Gericht

 

Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer – Landesverband Berlin-Brandenburg (BDÜ) hat sich an die Gerichte gewandt, die häufig mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern zusammenarbeiten, und mit Lösungsvorschlägen um einen besseren Gesundheitsschutz gebeten. Einige Gerichte haben Ausgaben zum Schutz der Dolmetscher bereits abgelehnt und auf ein konsekutives Dolmetschen verwiesen. Wir haben beim BDÜ Landesverband nachgefragt. Svetlana Altuhova-Ossadnik stand uns Rede und Antwort.

Wie sehen die derzeit empfohlenen Sicherheitsvorkehrungen für Gerichtsdolmetscher in Berlin und Brandenburg aus?

Gerichtsdolmetscher arbeiten derzeit unter suboptimalen Bedingungen, die einen erfolgreichen Dolmetscheinsatz, der bei Gericht zum größten Teil simultan erfolgen sollte, eigentlich unmöglich machen. Für sie gelten nämlich die gleichen Empfehlungen wie für die gesamte Bevölkerung: Mundschutz und Sicherheitsabstand. Mancherorts werden zusätzlich Plexiglaswände als „Spuckschutz“ aufgestellt.

Sind diese Empfehlungen für Gerichtsdolmetscher wirklich sinnvoll?

Leider nicht. In Deutschland ist es üblich, dass der Dolmetscher unmittelbar neben dem fremdsprachigen Verfahrensbeteiligten sitzt und alles Gesprochene simultan für ihn flüstert. Wird der vorgeschriebene Mindestabstand von 1,5 bis 2 Metern eingehalten, kann kein Flüsterdolmetschen mehr erfolgen. Eine simultane Verdolmetschung belastet dann den Sitzungsbetrieb akustisch sehr, da der Dolmetscher gleichzeitig mit dem Sprecher vergleichsweise laut dolmetschen muss, um vom Empfänger der Verdolmetschung auf Distanz gehört zu werden.

Was halten Sie von dem Mundschutz, der während der Verdolmetschung getragen werden muss?

Jeder von uns erlebt es täglich selbst: Der Mundschutz erschwert die Atmung, dämpft die Stimme und verdeckt zudem das Gesicht bzw. die Mundpartie des Gegenübers. Letzteres ist für den Dolmetscher besonders problematisch, da eine freie Sicht auf das Gesicht des zu Verdolmetschenden für die kognitive Verarbeitung der Aussage unabdingbar ist. Plexiglaswände wiederum dämmen den Schall und erschweren die akustische Wahrnehmung, obgleich das Gesicht des Sprechers sichtbar bleibt.

Welche Lösungen bleiben in Zeiten von Kontaktbeschränkungen?

Für die Dauer der Einschränkungen stellt das Konsekutivdolmetschen eine Lösungsmöglichkeit dar. Hierbei erfolgt die Verdolmetschung im Anschluss an den jeweiligen Redebeitrag, wodurch eine angemessene Lautstärke und damit die Einhaltung des vorgeschriebenen Sicherheitsabstandes ermöglicht wird. Beim Konsekutivdolmetschen ist aber besonders wichtig, dass alle Prozessbeteiligten nach ihrem Redebeitrag eine [Sprech-]Pause für die Verdolmetschung einhalten und den Dolmetscher ausreden lassen, auch wenn sie die fremdsprachige Äußerung verstanden haben. Leider halten sich die Prozessparteien und selbst das Gericht nicht immer daran.

Eine konsekutive Verdolmetschung verdoppelt die Sitzungsdauer, gibt es Alternativen?

Das ist korrekt. Es müssen bei Zeugen die Fragen und Antworten der Vernehmung und bei Prozessparteien die komplette Kommunikation verdolmetscht werden. Eine zweite Lösung, die die Sitzungsdauer weniger stark verlängert und zudem die Arbeitsbedingungen des Dolmetschers verbessert, ist der Einsatz einer sogenannten Flüsteranlage, wie sie z. B. in Museen für Führungen genutzt wird. Der Fachbegriff lautet „Personenführungsanlage“, kurz PFA. Diese erlaubt es dem Dolmetscher, trotz gebotenem Sicherheitsabstand für den fremdsprachigen Prozessbeteiligten simultan zu flüstern. Nur die Aussage des fremdsprachigen Prozessbeteiligten wird für das Gericht und die Öffentlichkeit weiterhin konsekutiv verdolmetscht.

Inwiefern verbessert die Flüsteranlage die Arbeitsbedingungen des Dolmetschers?

Für den Dolmetscher bietet sie zusätzlich den Vorteil, sich bei schlechter Akustik von seinem Sitzplatz entfernen und für besseres Verständnis etwas näher an den Sprecher herantreten zu können, ohne die Verdolmetschung unterbrechen zu müssen. Im Vergleich zum Konsekutivdolmetschen schont die PFA zudem die Stimme des Dolmetschers. Bei mehreren fremdsprachigen Prozessbeteiligten kann ein Dolmetscher flüsternd simultan für mehrere Personen dolmetschen. Und auch bei mehreren Dolmetschern für verschiedene Sprachen ermöglicht die PFA, dass alle Dolmetscher gleichzeitig sprechen, ohne den Geräuschpegel im Saal signifikant zu erhöhen. Mit Hilfe einer PFA kann der Dolmetscher konzentrierter arbeiten, denn sie eliminiert Lärm als einen wesentlichen Stressfaktor.

Und der fremdsprachige Prozessbeteiligte trägt Kopfhörer?

Richtig. Der Empfänger der simultanen Verdolmetschung ist der fremdsprachige Verfahrensbeteiligte. Er trägt Kopfhörer und kann den Dolmetscher dadurch immer gut hören, auch wenn mehrere Dolmetscher gleichzeitig reden oder der Dolmetscher sich mehrere Meter entfernt befindet. Auf akustischen Missverständnissen basierende Rückfragen entfallen, was den Sitzungsbetrieb beschleunigt und langfristig zu Einsparungen beitragen kann. Durch den Einsatz einer PFA verbessern sich die Arbeitsbedingungen aller Verfahrensbeteiligten.

Auch sollte jeder Dolmetscher bereits mit der Ladung darüber informiert werden, ob er simultan mit PFA oder konsekutiv mit Sicherheitsabstand dolmetschen soll. Dies würde zudem die Geschäftsstellen entlasten, da sich Rückfragen zu den Sicherheitsvorkehrungen erübrigen.

Woher bekommen die Gerichte eine Flüsteranlage?

Kurzfristig könnten solche Anlagen im Wege der Amtshilfe von Museen ausgeliehen werden, die ohnehin noch nicht mit voller Auslastung öffnen dürfen.

Langfristig empfiehlt der BDÜ Landesverband Berlin-Brandenburg die Anschaffung bzw. Miete mehrerer Personenführungsanlagen, um allen Dolmetschern die Arbeit mit einer PFA zu ermöglichen, falls sie es wünschen. Anbieter von Konferenztechnik verkaufen und vermieten Personenführungsanlagen, die den höchsten technischen Standards entsprechen und, falls gewünscht, auch abhörsicher sind. Der BDÜ LV Berlin-Brandenburg steht den Gerichten gerne bei der Anschaffung, bei einem Testlauf oder bei Fragen zur Funktion von Personenführungsanlagen beratend zur Seite.

 

Was kostet eine einfache, aber geeignete Flüsteranlage?

Eine PFA, die ein Mikrofon, 10 Empfänger, 10 Kopfhörer sowie einen Ladekoffer umfasst, kostet mit Vorkonfigurierung ab 2.700 € zuzüglich Umsatzsteuer. Bei der Technik sind allerdings unzählige Kombinationen möglich. Beispielsweise gibt es ein gewöhnliches Handmikrofon, aber auch ein Headset, Kinnbügelhörer mit integriertem Empfänger oder separate Empfänger etc. Hier sind die Preise stark herstellerabhängig, und natürlich haben alle Modelle ihre Vor- und Nachteile in Bezug auf ihre Funktionalität, den Tragekomfort und, nicht zuletzt, die Reinigung.

Uns sind erste Entscheidungen von Gerichten bekannt, keine Flüsteranlagen zu beschaffen. Haben Sie dafür Verständnis?

Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn ich kenne die Gründe der Ablehnung nicht. Sollten sich diese Gerichte jedoch dagegen entschieden haben, ohne die Anlagen wenigstens in einem Testlauf auszuprobieren, dann fehlt uns in der Tat das Verständnis für diese Entscheidung. Denn Dolmetscher waren schon vor Corona über Stunden ohne Pausen und Technik im Einsatz. Nun verschlechtert sich wegen des Mundschutzes die Arbeitssituation durch dürftige Akustik, abgedeckte Gesichter und Frischluftmangel. Beim Konsekutivdolmetschen auf große Distanz wird die Stimme des Dolmetschers außerdem stärker belastet.

Es ist anzunehmen, dass die Kontaktbeschränkungen in unserem - auch beruflichen - Alltag noch lange eine Rolle spielen werden. Unabhängig von Corona steigt auch die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen stetig, Grippewellen grassieren jährlich – um zwei Beispiele zu nennen. Aus unserer Sicht ist es daher wünschenswert, dass die Gerichte den Arbeits- und Gesundheitsschutz ihrer Dolmetscher ernstnehmen. Schließlich sind beide Seiten auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen.

Rechnen Sie damit, dass ihre Kolleginnen oder Kollegen die Arbeit vor Gericht aus Gründen des Gesundheitsschutzes verweigern werden?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dolmetscher ihren Einsatz vor Gericht komplett verweigern werden. Allerdings ist denkbar, dass sie sich nicht darauf einlassen werden, mit Mundschutz auf mehrere Meter Entfernung simultan zu dolmetschen, nur um Zeit zu sparen. Die Stimme und das Gehör des Dolmetschers sind seine wichtigsten Werkzeuge, und heiser kann ein Dolmetscher nicht arbeiten. Auch kann er den Sprecher nicht hören, wenn er selber gleichzeitig laut sprechen muss. Solche Arbeitsbedingungen sind unzumutbar. Es wäre schön, wenn sich die Richterinnen und Richter bei den Gerichtsverwaltungen für die Belange der Gerichtsdolmetscher einsetzen würden.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Dr. Stefan Schifferdecker