Dolmetschen im Gerichtsverfahren – ein Interview

Dolmetscher und Übersetzer unterstützen die Arbeit der Gerichte. Aber was steckt dahinter, welche Probleme und Missverständnisse bestehen? Wir haben den Landesverband Berlin-Brandenburg des Bundes der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) um ein Interview gebeten. Die Rechtsübersetzerin Frau ref. iur. Christin Dallmann sowie die Diplom-Übersetzerin und staatlich geprüfte Dolmetscherin Frau Svetlana Altuhova-Ossadnik haben uns interessante Einblicke gegeben.
 

VOTUM: Wer oder was ist der BDÜ Landesverband Berlin-Brandenburg e. V.?

Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer ist mit bundesweit über 8.000 Mitgliedern der größte deutsche Berufsverband für Dolmetscher und Übersetzer. Unser Landesverband ist Teil dieser Berufsorganisation und auf die Region Berlin-Brandenburg konzentriert. Hier zählen wir allein knapp über 1.000 Mitglieder, von denen ungefähr die Hälfte allgemein beeidigt bzw. ermächtigt ist.

 

VOTUM: Was sind Ihre wichtigsten Anliegen gegenüber den Gerichten oder der Staatsanwaltschaft?

Wir werben für mehr Verständnis für die Arbeit des Dolmetschers. Auch wenn viele Ihrer Kollegen Rücksicht nehmen, gehen die Belange des Dolmetschers in der Hektik der Vernehmung manchmal unter.

Wir bitten um ausreichend Erholungspausen für den Dolmetscher in längeren Sitzungen. Dolmet-schen ist eine sehr fordernde Tätigkeit, die höchste Konzentration verlangt. Während beim Simultandolmetschen der Dolmetscher das Gesagte gleichzeitig hören, verstehen, in eine andere Sprache übertragen und wiedergeben muss, wird beim Konsekutivdolmetschen das Kurzzeitgedächtnis stark gefordert. Um über einen längeren Zeitraum eine qualitativ hochwertige Verdolmetschung gewährleisten zu können, benötigt das Gehirn dringend Pausen. Überarbeitung führt zu Konzentrationsmangel, und darunter leidet nicht nur die Qualität der Verdolmetschung, sondern langfristig auch die Gesundheit des Dolmetschers. Bei Konferenzen arbeiten Dolmetscher deswegen immer mindestens in Zweier-Teams, um sich alle 20 Minuten abwechseln zu können und damit ausreichend Erholungspausen zu schaffen. Bei längeren Verhandlungen sollte darüber nachgedacht werden, Dolmetscher-Teams zu bestellen. Dies ist in anderen Bundesländern bereits Standard.

Weiterhin ist nur fair, den Dolmetscher schon bei der Ladung über die Einsatzdauer sowie geplante Pausen zu informieren. Nur so kann er seinen Arbeitstag planen und Anschlusstermine annehmen bzw. absagen. Besonders ärgerlich – und unserer Ansicht nach unsinnig – ist die Diskussion, ob ein erfolgtes simultanes Dolmetschen auch zu vergüten ist.

 

VOTUM: Das JVEG unterscheidet zwischen Konsekutiv und Simultandolmetschen. Was ist der Unterschied?

Beim Konsekutivdolmetschen dolmetscht der Dolmetscher zeitversetzt, also immer nach dem jeweiligen Redebeitrag. Es handelt sich dabei nicht um eine Zusammenfassung des Gesagten, sondern der Dolmetscher wiederholt alle geäußerten Sinneinheiten in der jeweils anderen Sprache. Er arbeitet dabei mit seinem Kurzzeitgedächtnis sowie mit einer speziellen Notiztechnik, um sämtliche Aussagen und Daten/Zahlen zu erfassen.

Beim Simultandolmetschen wird der Redebeitrag gleichzeitig verdolmetscht, d.h. der Dolmetscher beginnt mit der Verdolmetschung während der Sprecher noch redet. Wegen fehlender Technik in den meisten Gerichtssälen flüstert der Dolmetscher hierbei in das Ohr des Empfängers. Dadurch kann die Verhandlung dann in Normalzeit ablaufen, da keine Pausen für die Verdolmetschung entstehen.

 

VOTUM: Wenn der Dolmetscher erst zu sprechen beginnt, nachdem der Wortbeitrag geendet hat, entsteht durch die Verdolmetschung also jeweils eine Pause.

Das ist richtig. Alle Verfahrensbeteiligten müssen warten. Die Verdolmetschung, also die jeweilige Redezeit des Dolmetschers, ist genauso lang wie der ausgangssprachliche Redebeitrag. Das bedeutet dann auch, dass sich die Sitzungszeit bei einer konsekutiven Verdolmetschung verdoppelt.

 

VOTUM: Gibt es weitere Gründe dafür, simultanes Dolmetschen im Justizalltag vorzuziehen?

Zunächst müssen die Verfahrensbeteiligten beim Konsekutivdolmetschen nach ihrem Redebeitrag zwangsweise eine Pause für die Verdolmetschung einlegen. Dies stört den natürlichen Ablauf der Verhandlung, auch verzögern sich wichtige emotionale Reaktionen auf die Redebeiträge.

Es gibt auch noch andere Gründe, weshalb eine konsekutive Verdolmetschung häufig nicht funktioniert. Zum Beispiel kommt es vor, dass die ausländischen Verfahrensbeteiligten die Verdolmetschung nicht abwarten, sondern beginnen, dem Gericht auf rudimentärem Deutsch zu antworten, ohne den Vortrag des Gerichts korrekt verstanden zu haben. In diesem Fall geht die Verdolmetschung unter, und das Ziel einer reibungslosen Kommunikation, für die der Dolmetscher bestellt wurde, scheitert. Eine simultane Verdolmetschung hingegen ermöglicht einen ungehinderten Verhandlungsablauf ohne Unterbrechungen.

 

VOTUM: Der Eindruck, die Justiz könnte Geld sparen, wenn es die konsekutive Verdolmetschung anordnet, ist aber völlig falsch, oder?

Ja. Hier liegt ein klassisches Missverständnis vor. Die Kosten für das Gericht sind beim Konsekutivdolmetschen höher, da sich die Verhandlungszeit verdoppelt. Bei einer Sitzung von 60 Minuten Dauer fallen für konsekutives Dolmetschen zwei Stunden zu je 70 Euro, für die simultane Verdolmetschung jedoch nur eine Stunde zu 75 Euro an. Würden unsere Kolleginnen und Kollegen konsequent nur konsekutiv Dolmetschen, wenn es angeordnet wird, würde die ein oder andere Vernehmung deutlich länger dauern. Der nachfolgende Abrechnungsstreit um 5 Euro pro Stunde ärgert dann sehr.

Wir bitten daher, in den Verhandlungen und Vernehmungen die konkrete Art des Dolmetschens zu klären und die entsprechende Anordnung im Protokoll auch zu dokumentieren. Das erspart unseren Kollegen die späteren Streitigkeiten, von denen die Richter und Staatsanwälte wohl nichts mitbekommen.


VOTUM: Gibt es auch Fälle, in denen eine konsekutive Verdolmetschung sinnvoll ist?

Der BDÜ Landesverband Berlin-Brandenburg e. V. empfiehlt den Gerichten, die Auswahl der Dolmetschart dem Dolmetscher zu überlassen. Tatsächlich gibt es bestimmte Situationen, in denen eine konsekutive Verdolmetschung sinnvoll ist.

Nehmen wir als Beispiel die Äußerungen des ausländischen Verfahrensbeteiligten: Zum einen muss hier das Öffentlichkeitsprinzip gewahrt werden, zum anderen ermöglicht mitunter die Akustik aufgrund des Sitzplatzes des Dolmetschers kein simultanes Flüsterdolmetschen für das Gericht. Eine schlechte Akustik im Gerichtssaal kann dazu führen, dass nur konsekutives Dolmetschen effizient ist, da der Dolmetscher während seiner Verdolmetschung die Redebeiträge der anderen Verfahrensbeteiligten nicht hören kann.


VOTUM: Eine andere Frage: Manchmal ruft ein geladener Dolmetscher in der Geschäftsstelle an und bittet um Akteneinsicht. Was halten Sie davon?

Dies ist in der Regel ein Zeichen für die gute und gewissenhafte Arbeitsweise des Dolmetschers. Denn der Glaube, ein Dolmetscher müsse sich nicht vorbereiten, sondern „nur dolmetschen“, ist ein weiteres klassisches Missverständnis. Während sämtliche Verfahrensbeteiligte auf die Verhandlung vorbereitet sind, erhält nur der Dolmetscher, der schließlich für die reibungslose Kommunikation verantwortlich zeichnet, keinerlei Hintergrundinformationen zum Verfahren. Ein guter Dolmetscher will und muss sich auf seinen Einsatz vorbereiten, denn nur so kann eine gute, effiziente, sinnvolle Verdolmetschung gewährleistet werden.

 

VOTUM: Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Gern. Nehmen wir den Kontext – eine Art heiliger Gral in unserem Beruf. Fehlender Kontext führt unweigerlich zu Verständigungsproblemen. Gerade weil in anderen Sprachen Dinge konkreter oder weniger konkret dargestellt werden. Spricht der englischsprachige Zeuge zum Beispiel von einem „friend“, kann der Dolmetscher ohne Vorbereitung nicht entscheiden, ob ein Freund oder eine Freundin gemeint ist. Auch Fachtermini, Daten, Namen etc. müssen korrekt verdolmetscht werden, denn der Dolmetscher soll den ausländischen Verfahrensbeteiligten in die Rolle eines Deutsch-Muttersprachlers versetzen. Oft sprechen Richter zum Beispiel ausländische Namen falsch aus. Wenn der Dolmetscher selbst den Namen nicht in der Akte nachlesen durfte, wird er selbst – obwohl er der Fremdsprache mächtig ist – den Namen falsch verstehen und aussprechen, wodurch Missverständnisse bei der Verdolmetschung entstehen können. Im Zweifelsfall müsste der Dolmetscher den Vorsitzenden unterbrechen, um die Schreibweise des Namens zu erfragen.

Ganz zwingend wird die Vorbereitung, wenn Gutachten aus anderen Fachrichtungen verlesen werden sollen, also zum Beispiel psychiatrische, rechtsmedizinische oder ballistische Gutachten. Denn professionelle Gerichtsdolmetscher sind in der juristischen Terminologie gut bewandert, können aber in der Regel Fachtermini aus den genannten Fachgebieten nicht aus dem Ärmel schütteln. Auch wenn es in einem Verfahren um edle Speisepilze, Spielhallengesetze, verpfuschte Hyaloronunterspritzungen oder Edelsteine geht – der Dolmetscher sollte die Möglichkeit bekommen, sich auf solche exotischen Themen vorzubereiten. Bestimmte Themen übersteigen einfach das Allgemeinwissen und bedürfen guter Vorbereitung.

 

VOTUM: Wie steht es mit der Beeinflussung von Dolmetschern durch Verfahrensbeteiligte?

Ein ganz wichtiges Thema für uns: die Sicherheit bzw. der Schutz des Dolmetschers im Strafverfahren! Schon bei der polizeilichen Vernehmung setzt der Dolmetscher seinen Stempel unter das Vernehmungsprotokoll und taucht somit bei jeder Heranziehung in der Akte mit seinem vollen Namen und ggf. Adresse und Telefonnummer auf. Besonders bedenklich ist das bei größeren Strafsachen. Es existieren bereits Fälle, in denen Dolmetscher von Sympathisanten des Beschuldigten oder Angeklagten bedrängt wurden. Hier ist zukünftig eine praktikable Lösung zur Anonymisierung des beauftragten Dolmetschers in der Akte zwingend erforderlich, um insbesondere nach Herausgabe der Akte zur Akteneinsicht Versuchen der Einflussnahme auf den Dolmetscher vorzubeugen.

Im Hinblick auf die ab dem Jahr 2020 verbindliche audiovisuelle Aufzeichnung von Vernehmungssituationen in der neuen Fassung des § 136 Abs. 4 StPO ist dieses Thema besonders aktuell. Insbesondere bei organisierter Kriminalität setzt die Aufzeichnung der gesamten Vernehmungssituation mit Bild und Ton den Dolmetscher spätestens nach Akteneinsicht unnötiger Aufmerksamkeit aus. Hier sieht der BDÜ Landesverband Berlin-Brandenburg e. V. dringenden Handlungsbedarf, um den Dolmetscher zu schützen.

 

VOTUM: Welche Probleme sehen Sie, wenn die Gerichte und Staatsanwaltschaften die Bedürfnisse der Dolmetscher und Ihre Empfehlungen nicht beachten?

Nun, bereits jetzt vermeiden es immer mehr gut ausgebildete Kollegen, für die Gerichte oder die Staatsanwaltschaft zu arbeiten, weil die Arbeitsbedingungen zu schlecht sind. Sie arbeiten für die Wirtschaft und die Wissenschaft. Dies führt dazu, dass die Justiz weniger effektiv und kostensparend arbeiten kann. Schließlich verursachen unprofessionelle Sprachmittler häufig Kommunikationshindernisse, anstatt die reibungslose, authentische Kommunikation zu gewährleisten.

 

VOTUM: Ein letzter Tipp für Staatsanwälte und Richter?

Überlegen Sie, was Sie von einem guten Dolmetscher erwarten, und besprechen Sie Anliegen und Probleme mit ihm auf Augenhöhe. Vertrauen Sie seinem Urteil, wenn es um die Verdolmetschung geht, denn er hat in der Regel viel Erfahrung, wie seine Arbeit am besten für alle Beteiligten abzulaufen hat. Und: Professionelle Dolmetscher und Übersetzer finden Sie auf unserer Webseite unter https://bb-suche.bdue.de.

 

VOTUM: Herzlichen Dank für Ihre Zeit und die offenen Worte!

 

Das Interview führte Dr. Stefan Schifferdecker