digitale richterschaft

Das Kooperationsprojekt aus Nordrhein-Westfalen möchte Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aller Gerichtsbarkeiten und Bundesländer zusammenbringen, um über das Justizthema der kommenden Jahrzehnte zu sprechen: Digitalisierung

Der Justiz steht insbesondere mit der Einführung der elektronischen Akte mehr als nur ein Medienwechsel bevor. Mit dem Verschwinden des zentralen Arbeitsmediums der Justiz – der Papierakte – wird es zu einem Bruch mit tradierten gerichtsinternen Arbeitsabläufen und über Jahrzehnte eingeschliffenen Arbeitsroutinen von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten kommen. Während die Landesjustizverwaltungen diese Änderungen (hoffentlich) vorbereiten und sich im Rahmen mehr oder minder formalisierter Foren (etwa im E-Justice-Rat) austauschen, fehlte es bislang an einer Plattform, auf der sich die im Arbeitsalltag von den anstehenden Änderungen unmittelbar Betroffenen - Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte - austauschen und den (sicher gewinnbringenden) Blick über den Tellerrand des eigenen Bundeslandes oder der eigenen Gerichtsbarkeit wagen können. 

Diese Lücke zu füllen ist Ziel der „digitalen richterschaft“, die kürzlich von den Kölner Richtern Dr. Christian Schlicht und Dr. Simon J. Heetkamp gegründet wurde. Damit wollen sie der Justiz geben, was für Anwaltschaft und Wirtschaft schon länger zum Standard gehört: Ein Forum für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zum Austausch über Digitalthemen und Innovationsprozesse, um einen (maßgeblich justizinternen) Austausch innerhalb des digitalaffinen Kollegenkreises über die neuesten Technologieentwicklungen in der Justiz zu ermöglichen. Die Plattform strebt eine bundesweite Vernetzung technikaffiner Richterinnen und Richter aller Gerichtsbarkeiten sowie von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten an. Auch wer gerichtsintern mit IT-Verwaltungsaufgaben betraut oder zur Arbeit an IT-Themen an eine Landesjustizverwaltung abgeordnet ist, wird herzlich zum Mitmachen eingeladen. Ergänzend zum kollegialen Austausch soll perspektivisch ein reger Austausch mit dem Notariat, der Anwaltschaft, der freien Wirtschaft sowie Wissenschaft und Forschung geschaffen werden. 

Ganz konkret bietet die digitale richterschaft derzeit eine Mailingliste für Interessierte an, die bereits über 100 Anmeldungen verzeichnet. Die Mailingliste gibt allen Beteiligten die Möglichkeit, auf (eigene) Veröffentlichungen, Veranstaltungen und Vorträge hinzuweisen, Fragen zu stellen, Themen für den künftigen Austausch vorzuschlagen und vieles mehr. Man erfährt hier beispielsweise von spannenden Digitalprojekten in der Justiz (kennen Sie „Frauke“ - den „Frankfurter Urteils-Konfigurator Elektronisch“, der auf Basis Künstlicher Intelligenz Textbausteine für Urteile vorschlägt?). Interessierte können sich unter kontakt@digitale-richterschaft.de auf die Liste setzen lassen. 

Herzstück der digitalen richterschaft sind monatliche Vorträge, die aus einem kurzen Impulsreferat und einer sich anschließenden fachlichen Diskussion bestehen. Die erste Online-Vortragsveranstaltung fand schon Anfang Mai statt. Die Kollegin Janine Krzizok vom Amtsgericht Erding referierte zum Thema „Herausforderungen von Masseverfahren in der gerichtlichen Praxis“. Anschließend folgte ein reger Austausch zu (digitalen) Verbesserungsmöglichkeiten, um die gerichtliche Tätigkeit besser auf Massenverfahren vorzubereiten. Als weitere Online-Vorträge stehen fest:  

  •   „Einsatz von Virtual Reality-Technologie im Zivilverfahren“ (RiLG Dr. Simon J. Heetkamp, 9. Juni 2022) 
  •   „Die Digitalisierung der Gerichtsöffentlichkeit“ (Akademische Rätin Dr. Anna Bernzen, 6. Juli 2022) 
  •   „Die Einführung des digitalen Urkundenarchivs“ (Notar a.D. Dr. Sebastian Löffler, Sommer 2022) 
  •   „Digitale Justiz – Wohin wollen wir?“ (VPräsOLG Peter Lichtenberg, 1. September 2022) 

Weitere monatliche Vorträge sind in Planung. Auch hier ermutigen die Gründer jede/n zum Mitmachen: Haben Sie ein interessantes Problem oder Thema im Bereich Digitalisierung, das Sie gerne vorstellen und diskutieren möchten? Kennen Sie vielleicht eine Kollegin oder einen Kollegen, die oder der spannendes zu berichten hat? Dann melden Sie sich gerne per Mail unter kontakt@digitale-richterschaft.de  

Mehr Informationen zur digitalen richterschaft – beispielsweise zu(r Teilnahme an) Vorträgen – erhalten Sie auch unter www.digitale-richterschaft.de

Es wird spannend zu sehen, in welche Richtung sich das Projekt digitale richterschaft zukünftig entwickelt. In jedem Fall ist es willkommen, da ein „Grassroots-Forum“ für den ehrlichen Austausch über Digitalisierungsfragen durch die Betroffenen bislang fehlt, obwohl schon die Erfahrungen von Richterinnen, Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten mit der Vielzahl an Fachverfahren – forumSTAR, AuLAK, AUREG/AuRegis, AUMAV, GO§A, TRIJUS, EUREKA, VIS, MESTA – für immerwährenden Diskussionsstoff unter den Anwendern sorgen könnte. 

 

Dr. Teoman Hagemeyer-Witzleb

Der Artikel beruht auf einem unter anderem an die Landesverbände des DRB verschickten Entwurf der Gründer der digitalen richterschaft und einem Gespräch des Autors mit Dr. Heetkamp.