Coaching-Kultur: Verwandeln sich gecoachte Richter in „Schmalspur-Persönlichkeiten“?

 

Eine Entgegnung auf die Glosse von Claudia Voigt in Spiegel-Online – zugleich eine Werbung für das Coaching-Angebot in der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Das „Grippe-Virus“ hat die Berliner Justiz erfasst. So jedenfalls würde wohl die Journalistin Claudia Voigt die aktuellen Entwicklungen des Coachings in der Berliner Justiz bewerten. In ihrer Glosse für Spiegel Online vom 21. April 2019 wirft sie einen kritischen Blick auf die Coaching-Kultur und die von ihr wahrgenommenen Folgen eines Coachings auf die gecoachten Personen. Welche sind die von ihr wahrgenommenen Folgen? Sie stellt vor allem Veränderungen in der Kommunikation fest, sieht Coaching reduziert als „Wackeldackel-“ und „Stimmlagen-“Training, mit dem Ziel der Manipulation des Gegenübers, insbesondere beim Umgang mit schwierigen Persönlichkeiten.

Was aber spricht eigentlich grundsätzlich dagegen, die Kommunikation zu verbessern, sich Rüstzeug für herausfordernde Situationen und den Umgang mit schwierigen Personen zu verschaffen? Aus der Perspektive eines Richters gar nichts, im Gegenteil: Kommunikation, herausfordernde Situationen und Umgang mit schwierigen Personen sind unser aller Alltagsgeschäft. Zu Recht setzt das Coaching genau hier an und wirkt unterstützend bei der Selbstreflexion, der Verbesserung kommunikativer Kompetenzen oder der Konfliktlösungskompetenzen. Zu Recht wird es daher bereits in vielen Berufszweigen als Instrument der Qualitätssteigerung und -sicherung genutzt. Weshalb sollte sich die Justiz diese Vorteile des Coachings nicht zunutze machen?

Natürlich spräche etwas gegen Coaching, wenn die Vorwürfe von Frau Voigt zuträfen, dass gecoachte Personen dazu dressiert würden, sich undifferenziert und nach einem bestimmten Schema zu verhalten, und nicht mehr als Person zu erkennen wären. Zugegeben, der Coaching-Begriff ist ungeschützt, so dass sich hier auch ein Betätigungsfeld für „Schmalspur-Coaches“ eröffnet. Nichts von alledem aber ist bei einem professionellen Coaching tatsächlich der Fall. Hier geht es vielmehr darum, ungesunde Bewältigungsstrategien aufzudecken, schlechte Kommunikation, die von negativen Unterstellungen getragen ist, zu entlarven und stattdessen eine gute, vor allem transparente, bewusste und egalitäre Form des Austauschs zu üben. Auf diese Weise wird Persönlichkeit nicht eingeschränkt, sondern wird ganz im Gegenteil durch Selbstreflexion in ihrer Entfaltung gestärkt und bereichert.

Vielfach bestehen Missverständnisse und Vorbehalte gegen Coaching, das bisweilen als psychologisierend oder sogar esoterisch wahrgenommen wird. Es handelt sich hierbei aber keinesfalls um eine Form von Esoterik oder Psychotherapie, wenn es auch Methodenüberschneidungen zur therapeutischen Arbeit gibt. Eine Person, die ein Coaching in Anspruch nimmt, ist nicht psychisch krank, sondern so klug, eine Möglichkeit der Selbstreflexion und Weiterentwicklung für sich in Anspruch zu nehmen. Ein professionelles Coaching beruht auf wissenschaftlich fundierten Methoden der Personalentwicklung. Was genau Gegenstand eines Coachings ist, wird zu dessen Beginn zwischen den beteiligten Personen festgelegt. Ein Coaching kann z.B. sinnvoll sein, um beruflicher Überforderung und einem Übermaß an Stress entgegenzuwirken, konkrete Konflikte, die in einer Kammer oder einem Senat bestehen, aber auch immer wieder in Verhandlungssituationen entstehen, zu bewältigen oder als defizitär empfundene Kommunikationsstrategien systematisch zu verbessern.

Als Richter kann man das alles höchst wahrscheinlich nicht mit den von Frau Voigt vorgeschlagenen Tricks – im Geiste bis drei zählen, wenn der andere einem gerade völlig irre erscheint, oder sich eine geistig verwirrte Urgroßoma vorstellen, die Blätterteigpasteten mit Eierlikör serviert – erreichen. Mit solchen Mitteln lässt sich das schon gar nicht in einem Arbeitsumfeld erreichen, in dem man als Einzelrichter so gut wie nie Feedback für sein Tun erhält. Für eine persönliche Entwicklung ist ein Gegenüber hilfreich, dem ein Blick von außen erlaubt ist, das Rückmeldungen und Anregungen gibt. Dies stärkt Richter in ihrer Unabhängigkeit und wirkt zugleich den Nachteilen der mit dem Richterstatus häufig verbundenen beruflichen Vereinzelung entgegen.

Letztlich muss auch Frau Voigt einräumen, dass die Tätigkeit eines Coaches deutlich komplexer als von ihr befürchtet ist. Schade, dass dasselbe nicht für ihre Glosse gilt, die sich so bloß als ein Stück „Schmalspur-Journalismus“ erweist.

Auch Richterinnen und Richter der Berliner Justiz können bereits von einem professionellen Coaching profitieren: Das Coaching-Angebot besteht für die gesamte Ordentliche Gerichtsbarkeit. Ansprechpartner hierfür sind VRi'inKG Regine Grieß und – in deren Vertretung – VRiKG Dr. Ulrich Wimmer. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist soeben ein Pilotprojekt zum Coaching gestartet. Ansprechpartner für das Oberverwaltungsgericht sind VRiOVG Roger Fieting und VRiOVG Dr. Ulrich Marenbach, für das Verwaltungsgericht die Ri'inVG Antonia Kästle und VRi'inVG Dr. Kerstin Winkelmann.

 

Dr. Gabriele Schumann