Absenkung der Einstellungsvoraussetzungen

Die erneute Absenkung der Voraussetzungen für die Einstellung als Staatsanwältin oder Staatsanwalt hat zu heftigen Diskussionen in der Justiz geführt.

Durch die vom Co-Vorsitzenden des DRB Berlin geäußerte Kritik am Vorgehen der Justizverwaltung fühlten sich einige Kolleginnen und Kollegen verletzt. Dies hat zu heftigen Reaktionen geführt. Wir haben das Thema im Vorstand intensiv diskutiert und das Für und Wider einer Absenkung zusammengetragen.

Ausgangslage

Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz hat erneut die Einstellungskriterien für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf Probe abgesenkt. Das geht aus Stellenanzeigen hervor, die seit August 2024 mindestens 6,5 Punkte im zweiten Staatsexamen und eine Gesamtnote von 14 Punkten in beiden Examina verlangen. Zuvor waren 7 Punkte bzw. insgesamt 15 Punkte erforderlich. Schon in den vergangenen Jahren hatte das Land Berlin die Einstellungskriterien abgesenkt: So waren 2018 noch 8 Punkte im zweiten Staatsexamen erforderlich. Die Einstellungsvoraussetzungen in den Richterdienst wurden nicht weiter abgesenkt.

Justizsenatorin Dr. Badenberg begründet den Schritt laut Presseberichten mit starkem Personalmangel bei gleichzeitig gestiegenem Bedarf an Staatsanwältinnen und Staatsanwälten. Anfang des Jahres 2024 waren nur 378 von 425 vorgesehenen Stellen besetzt. Es gebe schlicht zu wenig Bewerberinnen und Bewerber, so Dr. Badenberg, deshalb habe man sich entschieden, die Anforderungen herabzusetzen. Die Absenkung sei zunächst nur vorübergehend und solle evaluiert werden. Es werde aber auf fachspezifische Zusatzqualifikationen geachtet. Der CDU-Abgeordnete Sven Rissmann verweist außerdem auf die dreijährige Probezeit als Mechanismus, um sicherzustellen, “dass am Ende nur die Besten in den Dienst kommen."

Kritik und Gegenkritik

Der Vorsitzende des DRB Berlin Dr. Schifferdecker hat auf Anfrage von Journalistinnen deutliche Kritik an der Praxis des Landes Berlin geübt. In Interviews mit rbb24, der rbb-Abendschau und dem beckverlag hat er die Ansicht vertreten, dass mit der weiteren Absenkung der Noten für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der Qualitätsanspruch aufgegeben werde, den der Staat bei der Personalpolitik in der Justiz haben müsse. Den offensichtlichen Nachwuchsproblemen dürfe nicht allein durch eine Absenkung der Einstellungsvoraussetzungen begegnet werden, sondern es müsse die Attraktivität der Justiz wieder gesteigert werden – insbesondere durch eine bessere und halbwegs konkurrenzfähige Bezahlung. Dabei hat er das Missverhältnis zwischen steigenden Examensnoten und sinkenden Einstellungsvoraussetzungen bemängelt und die Herausforderungen einer Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft betont. Eine pointierte Formulierung hat Eingang in die Berichterstattung des rbb gefunden, was sowohl heftige Kritik („borniert“, „Selbstüberhöhung und Ahnungslosigkeit“, „verbaler Fehltritt“ eines „weißen Mannes“) als auch Zustimmung („endlich klare Worte“) hervorgerufen hat.

Argumente

Im Vorstand des DRB haben wir das Thema intensiv und kontrovers diskutiert. Ist es wichtiger, die leeren Schreibtische zu besetzen, damit die Arbeit erledigt wird? Oder schadet eine Absenkung der Anforderungen der Qualität und Effektivität der Arbeit und verhindert künftig eine bessere Bezahlung, weil offene Stellen nun besetzt werden können? Wie viel Bedeutung sollte den Examensnoten beigemessen werden?

Festzustellen ist, dass sich die Examensnoten seit Jahren stetig verbessern. Während im Jahr 2002 13,34 % der Geprüften ein Vollbefriedigend und 37,35 % ein Befriedigend erhielten, waren es zehn Jahre später 24,3 % bzw. 44,4 %. Im Jahr 2022 erhielten doppelt so viele Geprüfte ein Gut wie vor 20 Jahren, 22,4 % ein Vollbefriedigend und 49,30 % ein Befriedigend. Die Nichtbestehensquote sank von 21,56 % im Jahr 2002 auf 10,0 % im Jahr 2022. Damit erfüllen heute weit über 50 % der Absolventinnen und Absolventen die formalen Notenanforderungen für eine Einstellung in den höheren Justizdienst, was in starkem Kontrast zu der 10-%-Orientierung des BVerfG zur Bestenauslese steht (BVerfG, Urteil vom 5. Mai 2015 – 2 BvL 17/09, Rn. 152; deutlich auch BVerwG, Vorlagebeschluss vom 22. September 2017 – 2 C 56/16, 2 C 57/16, 2 C 58/16, Rn. 84: “Die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug genommene Größenordnung der besten 10 % der Absolventen ist nicht annähernd erreicht.”).

Gleichwohl senkt das Land Berlin die Einstellungsvoraussetzungen, da nicht mehr genügend Absolventinnen und Absolventen eine Tätigkeit in der Justiz – insbesondere bei der Staatsanwaltschaft – anstreben. Dies legt den Schluss nahe, dass eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst nicht mehr interessant genug und damit nicht mehr konkurrenzfähig ist. Einige führen dies darauf zurück, dass die Anwaltskanzleien mit ihren Lohnangeboten für Berufseinsteiger weit davongezogen sind. Andere sehen die Ursachen eher in unattraktiven Arbeitsbedingungen eines eingestaubten Arbeitgebers, etwa einer in die Jahre gekommenen IT- und Raumausstattung, aber auch in einem zu starren Dienstrecht und in einer nicht ausreichenden Unterstützung von neuen Kolleginnen und Kollegen.

Nach einhelliger Auffassung stiehlt sich der Dienstherr mit der Notenabsenkung aus der Verantwortung, mit insgesamt attraktiven Bedingungen für ausreichend Nachwuchskräfte interessant zu sein.

Für teils scharfe Kritik an dieser Absenkung sorgt die Befürchtung, rein statistisch würden langfristig die Qualität und Effektivität der Arbeit, die Aussicht auf bessere Arbeitsbedingungen und auf eine konkurrenzfähige Bezahlung sinken.  Hinzu komme, dass bei einer Absenkung der Noten das Gewicht potentiell eher diskriminierungsanfälliger Umstände für die Einstellungsentscheidung (nämlich der Eindruck in einem ca. einstündigen Auswahlgespräch) zunehmen könnte. Insofern bestand im Vorstand weitgehend Einigkeit, dass die vermeintlichen Qualitätssicherungen unrealistisch sind: In dem ca. einstündigen Auswahlgespräch dürfte keine wirkliche Möglichkeit bestehen, fachspezifische Kenntnisse belastbar abzuprüfen. Herangezogen werden könnten allenfalls etwaige Vorerfahrungen. Auch der Einwand, man habe ja immer noch die Probezeit, um auf die Qualität zu achten, ist wenig belastbar: So wurde im Vorstand darauf hingewiesen, dass eine rechtssichere Verweigerung der Übernahme in die Lebenszeiternennung selbst bei erheblichen Minderleistungen selten durchsetzbar ist. Zumal sich Berlin dies gar nicht leisten könnte, wenn sich substantielle Übernahmeverweigerungen herrumsprächen. Im Vorstand wurde auch betont, dass unabhängig vom Streit um Examensnoten jedenfalls anekdotische subjektive Einschätzungen wenig hilfreich seien: So könne es natürlich Absolventen mit „befriedigenden“ Examina geben, die dann in der Praxis wunderbare Arbeit machen. Aber was folge hieraus? Und v.a., müssten wir dann nicht genauso anekdotische Berichte gelten lassen, wonach eine Gut-Absolventin die besonders schwierigen Fälle viel besser in den Griff bekomme als eine andere Kollegin, oder jemand einen Befriedigend-Kollegen zu kennen meine, den er als schwach empfinde? Solche Diskussionen wurden als ziemlich subjektiv eingeordnet.

Den Sorgen vor Qualitätseinbußen wird entgegengehalten, dass es Aufgabe des DRB Berlin sei, Gewerkschaft für alle Kolleginnen und Kollegen zu sein, und dass eine Überbetonung der Noten sowohl verdiente wie auch neue Kolleginnen und Kollegen herabwürdige, die ihren Dienst ohne vollbefriedigend angetreten haben und seither hervorragende Arbeit leisten. Dabei wird auch zu bedenken gegeben, wie wichtig es sei, dass der Rechtsstaat zügig arbeite, wofür eine ausreichende Anzahl an Kolleginnen und Kollegen unerlässlich sei. Was helfe ein hoch gehaltener Qualitätsanspruch, wenn die Verbliebenen in Arbeit versinken?

Der Dienstherr selbst scheint jedenfalls durchaus zu befürchten, dass mit einer Absenkung der Notenanforderungen eine Qualitätseinbuße einhergehen könnte. Andernfalls hätte er sich wohl kaum dazu entschieden, die Notenabsenkung nur bei Stellenausschreibungen für potentielle Staatsanwältinnen und Staatsanwälte vorzunehmen. Auch die damit zum Ausdruck kommende andere Bewertung der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit sehen wir kritisch.

Außer Frage steht, dass der Einsatz für Qualität in der Justiz weder die Leistungen der dienstälteren noch der neuen Kolleginnen und Kollegen mit befriedigenden Examina herabwürdigen soll und darf. Wir sind uns zudem einig, dass die Arbeit der prüfenden Kolleginnen und Kollegen nicht pauschal in Abrede gestellt werden darf. Die Vielzahl der für die Examina vergebenen Noten sichert nach unserer Auffassung statistisch einen validen Maßstab für den Vergleich der geprüften Personen. Wir sind überzeugt, dass sich die prüfenden Kolleginnen und Kollegen bemühen, ein Höchstmaß an Objektivität an den Tag zu legen und dass bereits erfolgte Veränderungen Ungerechtigkeiten in der Notenbewertung abgemildert haben.

Ausblick

Im wichtigen Streit mit dem Land Berlin wollen wir weiterhin sicht- und hörbar sein, jedoch künftig noch mehr Sorgfalt darauf verwenden, die Kolleginnen und Kollegen im gemeinsamen Einsatz für eine bessere Justiz nicht durch überspitzte Formulierungen zu spalten.

Letztlich sollten wir hier wohl darauf achten, uns nicht an Nebenschauplätzen zu verlieren: Wenn die Einstellungsnoten gesenkt werden, sollte nicht im Vordergrund stehen, ob auch Bewerberinnen und Bewerber mit einem “befriedigend” noch gute Richterinnen und Richter sein können. Vielmehr sollten wir herausstellen, dass politische Rechtfertigungsversuche, man wolle die “Besten” eben auch in den unteren Notengruppen suchen, schlicht vorgeschoben sind. Der Besoldungsgesetzgeber sollte sich die Blöße geben: Er senkt die Anforderungen nicht, weil er neue Wege gefunden hat, die “Besten” anderweitig zu finden. Er senkt die Anforderungen, weil seine Bedingungen eben nicht mehr hinreichend attraktiv sind.  Entsprechend muss der Rechtfertigungsdruck zurück zur Politik gespielt werden: Wenn es dort heißt, das Absenken der Noten sei “notwendig”, um “dringend” Stellen zu besetzen, dann müssen wir die Diskussion dorthin zurücktragen, weshalb denn dies “notwendig” sein soll, und nicht vielmehr ein Drehen an der anderen Stellschraube: Nämlich u.a. endlich eine attraktive, mindestens aber angemessene oder vielleicht auch nur verfassungsmäßig gerade noch zulässige Besoldung herbeizuführen.

Die Diskussion um die Einstellungsnoten wird uns wohl weiter beschäftigen. Welche Position der DRB Berlin einnehmen sollte, möchten wir gern mit Ihnen gemeinsam diskutieren. Der Vorstand freut sich deshalb auf Rückmeldungen der Mitglieder.

Dr. Daniel Holznagel, Anna Radke, Dr. Stefan Schifferdecker