Wechsel in die Teilzeit entwertet Urlaubsanspruch – Verwaltungspraxis verstößt gegen europäisches Recht

 

Wechsel von der Voll- in die Teilzeit und retour sowie Anpassungen des Umfangs der Teilzeitbeschäftigung sind auch im Berliner Justizdienst häufig. Ein klassischer Fall ist der Wechsel in die Teilzeit aus Anlass der Gründung einer Familie. Oftmals besteht in diesen Fällen noch ein Resturlaubsanspruch aus der Zeit der Vollzeitbeschäftigung. Wenn nun der alte Urlaub erst nach Reduzierung der Arbeitszeit genommen wird, stellt sich die Frage, in welcher Höhe Bezüge während des Erholungsurlaubs gezahlt werden müssen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH darf die Verringerung des Beschäftigungsumfangs nicht dazu führen, dass der von einem Arbeitnehmer vor der Verringerung erworbene und nach der Verringerung angetretene Jahresurlaub mit einem reduzierten Urlaubsentgelt vergütet wird (EuGH, Urt. v. 22.4.2010 - C-486/08 - NZA 2010, 557). Das BAG hat angesichts dieser Vorgaben im Jahr 2018 für den Bereich der angestellten Landesbeschäftigten Regelungen des TV-L für nichtig erklärt. Danach sind Regelung wegen der mittelbaren Benachteiligung von Teilzeitkräften unwirksam, soweit sie das Urlaubsentgelt eines Arbeitnehmers, der nach der Verringerung seiner wöchentlichen Regelarbeitszeit seinen Urlaub antritt, nach dem Teilzeit-Entgeltausfall bemaßen, obwohl der Urlaub aus der Zeit vor der Arbeitszeitreduzierung stammte (BAG, Urt. v. 20.3.2018 – 9 AZR 486/17, NZA 2018, 851).

Streitig ist die Anwendung dieser arbeitnehmerfreundlichen Grundsätze auf Richter und Staatsanwälte. Beamten steht nach § 44 BeamtStG jährlicher Erholungsurlaub unter „Fortgewährung der Bezüge“ zu. Im Berliner Landesrecht findet sich in der Erholungsurlaubsverordnung (EUrlVO) ebenfalls die Regelung, dass die Landesbeamten in jedem Urlaubsjahr Erholungsurlaub unter „Fortzahlung der Bezüge“ erhalten (§ 1 Abs. 1 EUrlVO). Diese Normen gelten über § 10 S. 1 Berliner Richtergesetz (RiG-Bln), § 13 EUrlVO entsprechend auch für die Richter des Landes Berlin. Es entspricht der Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn, die Bezüge während des Erholungsurlaubs ohne Abzüge fortzuzahlen. Die Verwaltungspraxis im Land Berlin geht aber bislang davon aus, dass diejenigen Bezüge fortzuzahlen sind, die im Zeitpunkt der Gewährung des Urlaubs geschuldet werden. Wird also der noch in Vollzeit entstandene Urlaub erst im Folgejahr, in dem bereits Teilzeit vereinbart ist, genommen, werden in Berlin nur die reduzierten Bezüge gezahlt. Der erarbeitete Urlaubsanspruch wird durch den Wechsel in die Teilzeit entwertet.

Das VG Magdeburg hat dieser Praxis – bei mit Berliner Verhältnissen vergleichbarer Rechtslage – für Sachsen-Anhalt eine Absage erteilt (VG Magdeburg Urt. v. 7.2.2022 – 5 A 357/20 MD, BeckRS 2022, 8623). Zwar werde gemäß § 6 Abs. 1 LBesG LSA bei Teilzeitbeschäftigung die Besoldung im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt, soweit durch Gesetz nichts Anderes bestimmt sei, dies gelte bei europarechtskonformer Auslegung des § 44 BeamtStG jedoch nicht für den noch in Vollzeitbeschäftigung erworbenen Anspruch auf Erholungsurlaub, auch wenn dieser erst während einer anschließenden Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommen werde. Maßgeblicher europarechtlicher Prüfungsmaßstab für die Auslegung des § 44 BeamtStG sei die RL 97/81. Diese sei sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht anwendbar (zur Anwendbarkeit der RL 97/81 auf Beamte: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2. Dezember 2020 - OVG 4 B 7.18 -, juris Rn. 32 m.w.N.–––––). Nach der oben zitierten Rechtsprechung des EuGH sei § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung entgegenstehe, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann (EuGH, Urt. v. 22. April 2010 - C-486/08 -, juris Rn. 35). Denn der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub sei als ein Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, von dem nicht abgewichen werden dürfe. Hieraus folge, dass dieser Grundsatz des Sozialrechts der Union nicht restriktiv ausgelegt werden dürfe. Der Wortlaut des § 44 BeamtStG lasse eine europarechtskonforme Auslegung dahingehend zu, dass für einen Anspruch auf Erholungsurlaub, der während einer Vollzeitbeschäftigung erworben und später in einer Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommen werde, sich die Pflicht zur Fortgewährung der Bezüge auf diejenigen Bezüge beziehe, die im Entstehungsjahr des Urlaubsanspruches maßgeblich waren, jedenfalls sofern der Erholungsurlaub vor der Teilzeitbeschäftigung nicht in Anspruch genommen werden konnte. Diese europarechtskonforme Auslegung widerspreche auch nicht der Systematik der Vergütung im Beamtenrecht. Denn der Anspruch ergebe sich unmittelbar aus den besoldungs- und beamtenrechtlichen Vorschriften. Im Ergebnis vereinheitlicht das VG Magdeburg damit die Rechtslage bei den Beamten mit derjenigen bei sonstigen Arbeitnehmern.

Nach uns vorliegenden Informationen aus dem Kreis unserer Mitglieder vertritt die für alle Personalfragen zuständige Berliner Finanzverwaltung in Kenntnis der Magdeburger Entscheidung weiterhin eine andere Rechtsauffassung und hält eine europarechtskonforme Auslegung des Anspruchs auf Urlaubsbezüge für nicht geboten oder nicht möglich. Welche genauen Erwägungen hier leitend sind, ist uns derzeit noch nicht bekannt. Wir haben die Finanzverwaltung hierzu um eine Stellungnahme gebeten und setzen uns für eine europarechtskonforme Anwendung des Rechts auch in Berlin ein. Jedenfalls ist es mehr als misslich, dass das Land Berlin die Betroffenen Kolleginnen und Kollegen entweder in den Verzicht auf Alimentationsteile oder in eine Klage drängt. Bis zur abschließenden Klärung der Rechtslage kann praktisch nur geraten werden, soweit möglich vor Wechsel in die Teilzeit noch nicht verbrauchten Alturlaub zu nehmen, um noch in den Genuss der ungeschmälerten Alimentation zu kommen.

Dr. Patrick Bömeke