Mitbestimmungsrechte der Brandenburger Richterräte vor Gericht

Verwaltung legt Gesetz einschränkend aus.

Zum 1. Januar 2020 sind in Brandenburg wesentliche Änderungen des Richtergesetzes in Brandenburg (BbgRiG) in Kraft getreten. Mit der Neuregelung wurde die Mitwirkung des Richterrates abgeschafft und dafür im Gegenzug eine umfassende Mitbestimmung geschaffen.

Der Landesgesetzgeber hatte eine erhebliche Ausweitung der Mitbestimmungsregelungen beabsichtigt. Die Änderungen haben jedoch, wie sich schnell gezeigt hat, genau das Gegenteil bewirkt. Zudem haben sie zu einer Abkehr von Art. 4 Abs. 1 Satz 2 des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg geführt, der eine Vereinheitlichung der richterrechtlichen Vorschriften angemahnt hat.

§ 41 BbgRiG bestimmt seit dem Folgendes: „Der Richterrat bestimmt bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen mit, die die Richterinnen und Richter insgesamt oder im Einzelfall betreffen oder sich auf sie auswirken. Soweit Mitbestimmungsfälle über die beabsichtigten Maßnahmen hinaus schutzwürdige persönliche Interessen der Richterin oder des Richters berühren, ist die Mitbestimmung von der Zustimmung der betroffenen Person abhängig. In jedem Fall ist das den Vorsitz des Richterrats führende Mitglied von der beabsichtigten Maßnahme zu unterrichten. Die Mitbestimmung entfällt bei Organisationsentscheidungen der obersten Dienstbehörde, die auf deren verfassungsmäßigen Rechten beruhen. Die Zuständigkeit des Richterrats besteht nicht in Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Präsidialrats fallen.“ Eine weitere damit einhergehende Änderung betrifft das Einigungsstellenverfahren. In § 49 Abs. 3 BbgRiG ist nunmehr geregelt, dass der Beschluss der Einigungsstelle für die Beteiligten stets bindend ist, soweit er nicht nach § 50 BbgRiG ganz oder teilweise von der obersten Dienstbehörde aufgehoben wird.

Über die Auslegung der Neufassung besteht seitdem Streit. Die Ministerin der Justiz des Landes Brandenburg hat im April 2020 den Präsidentinnen und Präsidenten der Obergerichte und der Generalstaatsanwältin Anwendungshinweise zur Auslegung des § 41 Satz 1 BbgRiG gegeben, die möglicherweise das Gesetz und den weitreichenden gesetzgeberischen Willen unzulässig einschränken. Die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hat darauf dem dortigen Richterrat zum einen mitgeteilt, dass keine Beteiligung mehr bei Entscheidungen über Nebentätigkeiten, über Anträge auf Teilzeitbeschäftigungen oder Beurlaubungen sowie über die Rückkehr zur Vollbeschäftigung und über Angelegenheiten der Elternzeit erfolgen werde, und zum anderen den Antrag des Richterrats auf Auskunft über sämtliche seit dem 1. Januar 2020 abgeschlossene sowie über laufende Beurteilungsverfahren mangels Mitbestimmungsrecht abgelehnt. Daraufhin hat der Richterrat Klage bei dem Verwaltungsgericht Potsdam erhoben, die unter dem Aktenzeichen VG 1 K 2988/20 anhängig gewesen ist. Mit Urteil vom 23. Februar 2023, veröffentlicht bei juris, hat das Verwaltungsgericht der Klage insoweit stattgegeben, als es festgestellt hat, dass Entscheidungen über Nebentätigkeiten, über Anträge auf Teilzeitbeschäftigungen oder Beurlaubungen sowie über die Rückkehr zur Vollbeschäftigung und über Angelegenheiten der Elternzeit für die bei dem LSG Berlin-Brandenburg beschäftigten Richterinnen und Richter der Mitbestimmung gemäß § 41 Satz 1 BbgRiG unterliegen und die Nichtdurchführung des Mitbestimmungsverfahrens den klagenden Richterrat in seinen Rechten verletzt. Im Übrigen, soweit die Erstellung dienstlicher Beurteilungen betroffen war, ist die Klage abgewiesen worden.

Ein Mitbestimmungsrecht des Richterrats bei dienstlichen Beurteilungen hat das VG verneint, weil die Zuständigkeit des Richterrats nicht in Angelegenheiten in der Zuständigkeit des Präsidialrats nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m § 61 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz BbgRiG bestehe. Das VG hat daraus geschlussfolgert, die gesetzgeberische Entscheidung, den Präsidialrat an der personellen Maßnahme der Beförderung zu beteiligen, beinhalte den Willen, Vorfragen und Vorstufen der Beförderungsentscheidung von der Beteiligung der Richtervertretungen auszuschließen. Als weiteres Argument hat sich das VG auf die seit dem 17. Dezember 2023 geltenden Regelung in § 9 Abs. 3 Satz 2 BbgRiG (davor: § 9 Abs. 2 Satz 3 BbgRiG) gestützt.

Dagegen haben beide Beteiligten die zugelassene Berufung beim OVG Berlin-Brandenburg eingelegt. Zu einer endgültigen Klärung ist es noch nicht gekommen. In der mündlichen Verhandlung bei dem 4. Senat des OVG - OVG 4 B 4/23 - am 28. August 2024 ist es zu keiner das Verfahren endgültig abschließenden Entscheidung gekommen. Den mündlichen Ausführungen des Vorsitzenden ist zu entnehmen gewesen, dass der Senat die Auffassung des VG zu der Mitbestimmung bei Entscheidungen über Nebentätigkeiten, über Anträge auf Teilzeitbeschäftigungen oder Beurlaubungen sowie über die Rückkehr zur Vollbeschäftigung und über Angelegenheiten der Elternzeit teilt, nicht jedoch zu der klageabweisenden Entscheidung zur Mitbestimmung bei der Erstellung dienstlicher Beurteilungen. Der Vorsitzende hat klar geäußert, dass der Senat die dienstlichen Beurteilungen unter das Tatbestandsmerkmal der personellen Maßnahmen in § 41 Satz 1 BbgRiG subsumiert. Auch geht der Senat nicht davon aus, dass dieser Rechtsansicht der Aufgabenkreis des Präsidialrats und die Regelung in § 9 Abs. 3 Satz 2 BbgRiG entgegenstehen. Allerdings hält der Senat das Letztentscheidungsrecht der Einigungsstelle in § 49 BbgRiG in den streitbefangenen Mitbestimmungsfällen für nicht vereinbar mit der Brandenburger Landesverfassung. Er ist auch nicht der Auffassung, dass diese Frage erst bei der tatsächlichen Befassung der Einigungsstelle relevant wird. Der Senat hat deutlich gemacht, dass eine verfassungskonforme Auslegung der Norm nicht möglich ist und hat der Rechtsauffassung des Justizministeriums insofern eine klare Absage erteilt. Er hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und beschlossen, die Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg einzuholen, ob § 41 Satz 1 i.V.m. § 41 Satz 2 bis 5, §§ 46, 47, 49 und 50 BbgRiG mit Artikel 2 Abs. 2 und 4 der Verfassung des Landes Brandenburg vereinbar ist.

Derzeit ist nicht absehbar, wann das Verfassungsgericht entscheiden wird. Damit ist weiter unklar, welche Rechte die Brandenburger Richterräte im Einzelnen haben. Zugleich ist unklar, ob - soweit keine entsprechenden Dienstvereinbarungen abgeschlossen sind - die zwischen zeitlich durchgeführten personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen, die derzeit ohne Mitbestimmung vorgenommen werden, rechtmäßig sind. Der Richterrat des LSG daher bestrebt, weitere Dienstvereinbarungen zur Regelung in der Zwischenzeit zu schließen.

Richterrat des LSG Berlin-Brandenburg