Glosse: Ein Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband

All's well that ends well (Shakespeare)

Es kommt vor, dass Richter mit anderen Richtern sprechen – selbst wenn diese Aufgaben der Verwaltung wahrnehmen. Diese Aussprachen werden in der Regel nicht protokolliert, auch dann nicht, wenn sie ein Personalgespräch sind. Andererseits kann die Anfertigung eines Protokolls über wesentliche Gesprächsinhalte hilfreich sein, um Missverständnissen zwischen den Teilnehmern vorzubeugen und Erinnerungslücken auf beiden Seiten und damit Streit zu vermeiden. Es geht aber auch ganz anders:

Zu Beginn eines Gesprächs über den Entwurf einer dienstlichen Beurteilung wurde die Hinzuziehung eines Dritten auf Seiten der Verwaltung nach der Erinnerung des zu Beurteilenden damit erklärt, dieser sei zu „Protokollzwecken“ anwesend. Es gab keine Einwände. Der Dritte befüllte ein Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband. Nach dem Beurteilungsgespräch ging man auseinander. Als der Richter ins Grübeln kam, was wohl durch die Verwaltung über ihn so notiert worden war, bat er um Einsicht in das Notizbuch. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Warum? Nun, es handele sich um eine persönliche Unterlage des Dritten. Auf diese habe die Verwaltung leider keinen Zugriff und an ihr keinen dienstlichen Gebrauch. Oh. Der Antrag, das Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband dann eben unverzüglich in den dienstlichen Gebrauch zu überführen, wurde dahin beantwortet, dass es sich bereits im dienstlichen Gebrauch befinde. Nochmals: Oh.

Da es der Richter damit nicht bewenden lassen wollte, rief er die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit an. Diese beschied allerdings, der Einsichtsantrag sei nicht berechtigt. Handele es sich bei den Notizen um Gedächtnisstützen, die (noch) nicht für den Dienstbetrieb bestimmt gewesen seien. Nun ja. Diesem Bescheid lag eine Stellungnahme der Verwaltung zugrunde. In dieser wurde u.a. ausgeführt, es könne zwar geäußert worden sein, der Dritte solle zur Protokollierung hinzugezogen werden. Jedoch sei für jeden bereits bei „flüchtigem Blick“ erkennbar gewesen, dass auf der Vorderseite des Notizbuches mit dunkelblauem Ledereinband eine persönliche Namensgravur des Dritten eingeprägt gewesen sei. Aha. Und im Inneren hätten sich herausnehmbare und mit „karoartig angeordneten Punkten strukturierte Seiten“ befunden. Auf solche Seiten und in einem Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband fertige selbst die Berliner Verwaltung offensichtlich keine Protokolle. Ach so. Ebenso wenig könne die vorläufige Notierung in ein Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband zu einem Protokoll erstarken. Der Verwaltung seiendie ganz „persönlichen und unverbindlichen Aufzeichnungen“ des Dritten auch unbekannt. Man müsse aber annehmen, dass sich im Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband „allein durch die Handschrift und die stenographische Methodik persönliche Metadaten“ fänden. Klarpersonalien könnten sich dort, auch wenn man den Inhalt nicht kenne, aber nicht finden. Gäbe man dem Einsichtsantrag statt, könnte schließlich das Persönlichkeitsrecht des Dritten verletzt werden, da in Betracht komme, dass dieser Gefühle in dem Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband niedergelegt habe. Oh.

Das Schelmenstück hätte damit ein Ende haben können. So war es aber nicht. Der findige Richter stellte seinen Antrag nun auf Löschung der Daten um. Zur Begründung verwies er darauf, er hätte das Gespräch nicht geführt, wenn er gewusst hätte, dass sich Notizen über dieses später in einem Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband fänden. Aha. Dieser Antrag fand allerdings auch kein Gefallen. Die überraschende Antwort: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Notizen, die man nicht kenne und auf die man nicht zugreifen könne, künftig doch noch benötigt würden. Oh. Der Richter rief angesichts dieser überraschenden Bekundungen nun wieder die Landesdatenschutzbeauftragte an (so ist das im Wettkampf). Und siehe da: jetzt regte diese an, eine Löschung der Daten unter dem Gesichtspunkt der Datensparsamkeit zu prüfen. Um nichts falsch zu machen, fragte die nicht völlig ungeneigte Verwaltung vorsichthalber vorher beim Verwaltungsgericht an (dieses war mittlerweile mit der dienstlichen Beurteilung befasst), ob dieses das Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband beiziehen wolle (als weitere Beurteilungsgrundlage?). Das Verwaltungsgericht ließ indes wissen, es sei „schlecht vorstellbar“, dass man das persönliche Notizbuch mit dunkelblauem Ledereinband anfordere.

So wurde das Notizbuch mit dem dunkelblauen Ledereinband durch die Verwaltung im Beisein des Beurteilten am 18. November 2019 um 15 Uhr amtlich vernichtet. Na hoffentlich wurde darüber ein Protokoll geführt – auf dienstlichen Unterlagen.

 

All's well that ends well (Shakespeare).

Der Vorstand des DRB Berlin