Die Aktionen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten beschäftigen die Justiz
Die Aktionen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten beschäftigen die Justiz
Die Aktionen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten beschäftigen die Justiz. In den letzten Wochen war auch der DRB Berlin ein gesuchter Gesprächspartner, insbesondere nachdem einige Politiker die Justiz dafür verantwortlich gemacht haben, dass sich Aktionen wiederholen. Sie sahen eine fehlende Abschreckung und zu langsame Verfahren. Ich habe mit Interviews in der rbb-Abendschau, dem rbb-Inforadio und der Berliner Zeitung sachliche Informationen zu den rechtlichen Hintergründen und zu unserer Arbeit gegeben. Dies konnte ich nur, weil ich kurzfristig von verschiedenen Kolleginnen und Kollegen über die Arbeit der Justiz vor Ort unterrichtet und zu den aktuellen Rechtsfragen beraten wurde. Dafür danke ich an dieser Stelle. Aus diesem Kreis habe ich den nachfolgenden anschaulichen Einblick in die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen vom Amtsgericht Tiergarten erhalten. Viel Freude bei Lesen.
Dr. Stefan Schifferdecker.
Christine sitzt aufmerksam auf dem schwarzen Holzstuhl. „Darüber muss ich nachdenken“, sagt sie dem Ermittlungsrichter. „Tun Sie das“, gibt der zurück und lehnt sich zu seiner Protokollkraft, während Christine die Hände verschränkt und grübelnd auf den aschgrauen Tisch vor ihr blickt. Die beiden Polizeibeamten, die sie vorgeführt haben, stehen ruhig hinter ihr und blicken unbeteiligt in den Raum. Minuten vergehen, unterbrochen nur vom geflüsterten Wortwechsel zwischen dem Richter und seiner Kollegin, die in ihrer Word-Vorlage das Protokoll vorbereitet.
Schließlich hebt Christine den Kopf. Sie hat sich entschieden: „Nein, ich sage nichts dazu, ob ich es nochmal mache.“ Der Richter blickt auf, mustert sie und nickt langsam. „Dann treffe ich jetzt folgende Entscheidung“, sagt er. „Sie bleiben bis morgen 19.00 Uhr im Polizeigewahrsam.“ Die Begründung verfolgt die junge Frau nur noch am Rande. Als die Worte enden, steht sie auf. Zu sagen gibt es nichts mehr, also folgt sie den beiden Beamten. Die Treppe hinauf durch den gelb gestrichenen, kargen Flur bis zur Stahltür. Dahinter beginnt die Gefangenen-Sammelstelle. Hier wird sie die nächsten siebenundzwanzig Stunden in einer gefliesten Zelle auf der Holzpritsche verbringen. Während einer der Polizisten die Tür aufschließt, spricht Christine ihn an: „Ich hätte einfach sagen können, dass ich nichts mehr mache, oder?“ Der Beamte nickt. Sie hält kurz inne und seufzt. „Aber das wäre gelogen gewesen und ich wollte den Richter nicht anlügen.“
Die Begebenheit ist real und Christine (Name geändert) kein Einzelfall. Sie ist die Regel. Als Mitglied der Gruppierung „Letzte Generation“ klebt sie sich regelmäßig auf Straßen fest, um auf die Erderwärmung und die damit verbundenen Gefahren für die Menschheit aufmerksam zu machen. Nicht für die Umwelt, wie sie den Richter korrigiert: „Sondern für Sie, für uns alle.“ Sie klebt sich fest, um Aufmerksamkeit zu erregen, von der Polizei mit Lösungsmittel abgelöst, verhaftet und in eine Zelle verbracht zu werden. Regelmäßig genug, damit sich anschließend die Frage nach Polizeigewahrsam stellt.
Eine Frage, die in Berlin nicht einfach zu beantworten ist: Denn Christine ist, wie auch die anderen Mitglieder der Gruppierung, schon bald wieder freizulassen: Spätestens zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, sagt § 33 Abs. 1 Nr. 3 des Berliner Polizeigesetzes (ASOG). Diese höchstens 48 Stunden genügen „in der Praxis für alle Fallgestaltungen (…), um den mit dem Gewahrsam verfolgten Zweck zu erreichen“, entschied der Berliner Gesetzgeber im Jahr 2020. Und strich die ehemals vier Tage Dauer. Seitdem darf Gewahrsam nur noch kurz angeordnet werden, soweit er zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Begehung einer Straftat unerlässlich ist (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 ASOG).
In den wenigen Stunden zwischen Ankleben, Verhaftung, Antragstellung, Anhörung, Entscheidung und Vollzug spielt sich der Mikrokosmos ab, in dem ein Ermittlungsrichter über die Inhaftierung entscheidet. Und in diesen Stunden geschieht viel: Gut zwei Dutzend Fälle pro Tag in der Hochphase der Blockaden. Mit Anhörungen im Viertelstundentakt, in denen die Betroffenen von wissenschaftlichen Vorträgen bis hin zu purer Verzweiflung fast alles vorbringen: „Wir wissen uns nicht mehr anders zu helfen, wenn Sie eine Idee haben, bitte, sagen Sie sie uns!“ Oft sind sie jung, haben Angst um die Zukunft, manchmal sind sie älter und es geht nicht einmal um ihre eigene Zeit: „Ich tue das für meine Enkel, sie sollen noch eine Welt haben, auf der es sich zu leben lohnt.“
Es gibt nur eines, was man in den Anhörungen nicht hört. Und das ist typisch für die „Letzte Generation“, aber eher untypisch im Haftzimmer: Man hört keine Lügen – kein Beschönigen, kein Aus- weichen, sondern klare Ansagen: „Sobald Sie mich rauslassen, mache ich weiter“, zum Beispiel. „Da- zu sage ich nichts“, oder eben auch: „Bis morgen Abend nehme ich an keinerlei Aktionen teil.“ Gewaltfrei, ruhig und respektvoll will die „Letzte Generation“ sein, schreibt sie auf ihrer Webseite. Im Kontext gerichtlicher Verfahren über Polizeigewahrsam wird sie dem gerecht. Wenn auch bisweilen mit bemerkenswerter Anspruchshaltung: Das Essen sei nicht in Ordnung, heißt es da schonmal gegenüber der Gewahrsamsleitung: „Ich möchte veganen Aufstrich bekommen!“
Doch in dieser Direktheit liegt auch der Grund, warum Christine und die anderen immer seltener in gerichtlich angeordnetem Gewahrsam bleiben: Bei wechselnden Blockade-Schichten und Teilnahme mit tageweisen Unterbrechungen ist es ohnehin schwierig genug, die nötige Prognose zu treffen: Vorgestern geklebt, gestern nicht, heute schon – wer will da sagen, ob die Person „unmittelbar“ morgen wieder dabei ist? Das muss aber vorhersehbar sein und weiter in die Zukunft darf der Richter nicht blicken, sagt § 33 Abs. 1 Nr. 3 ASOG. Wer für diese Zukunft glaubhaft eine weitere Teilnahme ausschließt, muss freigelassen werden. Denn dann ist Gewahrsam zur Gefahrenabwehr nicht „unerlässlich“. Die geflieste Zelle ist keine Sanktion. Sie ist präventivpolizeiliche Maßnahme. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Die Kehrseite des alten Sprichworts – Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht – nutzen die Mitglieder der „Letzten Generation“ für sich: Wer nicht lügt, dem glaubt man. Das weiß auch Christine, als sie anderthalb Monate später erneut auf demselben Holzstuhl sitzt: „Ich mache bis morgen Abend nichts“, sagt sie. Und sie hat bisher auch nie gelogen. In ihrer Stimme klingt mittlerweile Routine mit. „Der Antrag wird abgelehnt“, verkündet daraufhin der Richter. Mit einem Nachsatz: „Die Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens, denn sie hat es veranlasst.“ Bei einem Gegenstandswert von 150 Euro (zwei Mal 75 Euro, welche das StrEG als Wert eines Hafttages ansieht) ergibt das eine Gebühr von 38 Euro. Davon nach Nr. 15212 Anlage I GNotKG die Hälfte, also 19 Euro. So viel kostet der Platz auf dem Holzstuhl im Haftzimmer. Auch so gesehen gut, dass er nie lange belegt ist.
ein/e Berliner Kollege/in