EJTN-Austausch an der Ecole Nationale de la Magistrature in Bordeaux

 

Im letzten Jahr habe ich es endlich getan: Nach jahrelangem Zögern (Kinder, stark belastetes Dezernat…) habe ich mich für einen EJTN-Austausch beworben. Zum Zeitpunkt der Bewerbung war ich an das GJPA abgeordnet und dort für die Aus- und Fortbildung zuständig. Zugleich leite ich seit vielen Jahren mit großer Freude Arbeitsgemeinschaften für Referendarinnen und Referendare. Deshalb entschied ich mich für einen Trainer Exchange, also einen Austausch von Ausbildern. Ich wollte mich über die Aus- und Fortbildung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in anderen europäischen Ländern informieren. Der Trainer Exchange steht allen offen, die mit der Ausbildung befasst sind. Dies ist etwa bei der Leitung von Referendar-Arbeitsgemeinschaften in nicht nur unerheblichem Umfang der Fall.

Die Bewerbung hatte Erfolg: Ich erhielt die Möglichkeit, zwei Wochen an der Ecole Nationale de la Magistrature (ENM) in Bordeaux zu hospitieren, der französischen Richterschule. Alle französischen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte werden dort ausgebildet. Die Schule verfügt zudem über einen Standort in Paris, der in erster Linie für die Fortbildung zuständig ist.

Die Hospitation war als Fortbildungsveranstaltung konzipiert: eine „Formation de Formateurs“, also eine Fortbildung für Ausbilder. Die Tagungssprache war Französisch. Als ich in Bordeaux ankam, war die erste Überraschung die Zusammensetzung der Gruppe der Hospitantinnen und Hospitanten: Mit Ausnahme einer österreichischen Kollegin sprachen alle Französisch als Muttersprache. Und es waren nicht nur europäische, sondern auch afrikanische Kolleginnen und Kollegen aus Kamerun und Madagaskar dabei. Das weckte sofort meine Neugier.

Das Tagungsprogramm hielt, was es versprach: Erfahrene Ausbilderinnen und Ausbilder mit fundierten didaktischen Fähigkeiten vermittelten uns, wie man eine Aus- und Fortbildungsveranstaltung konzipiert, durchführt und evaluiert. Das reichte von der möglichst konkreten Definition der Ziele einer Tagung über die Vermittlung verschiedener didaktischer Methoden bis zu der nachträglichen Überprüfung, ob die Ziele erreicht wurden.  Welche Kompetenzen sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Aus- oder Fortbildung erwerben? Welche didaktischen Methoden eignen sich am besten für die Vermittlung welcher Kompetenzen? Wie konzipiert man eine Fallstudie? Wie plant man ein Rollenspiel und führt dieses durch? Und wie misst man, ob die gewünschten Ziele der Tagung erreicht wurden?

All das wurde auf höchstem Niveau und auf lebendige und Art und Weise vermittelt. Auch die praktische Anwendung wurde geübt. Integraler Bestandteil des Unterrichts war die regelmäßige gemeinsame Reflexion der von den Referentinnen und Referenten gerade uns gegenüber angewandten didaktischen Methoden. In Gruppenarbeit entwarfen wir Fortbildungsprogramme und Fallstudien. Ein Highlight war die Übung eines Rollenspiels. Inhalt des Rollenspiels war folgender: Ein Kollege spielte einen Ausbilder, der im Rahmen eines Fortbildungsprogramms ein Rollenspiel zur strafrechtlichen Hauptverhandlung zu organisieren hatte. Das Rollenspiel war also sozusagen zweistufig aufgebaut: Es umfasste die eigentliche Simulation der Verhandlung und die didaktische Vorbereitung, Nachbereitung und Durchführung dieser Simulation durch den Ausbilder. Nach der simulierten Verhandlung reflektierten wir in einem strukturierten Debriefing das Agieren in unseren Rollen als Prozessbeteiligte bzw. Ausbilder.

Daneben erhielten wir einen Einblick in die Funktionsweise der ENM. Gerade aus Sicht eines in Deutschland ausgebildeten Juristen ist der Blick auf eine professionelle Richterschule von großem Interesse. Die Ausbildung der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Frankreich unterscheidet sich in ihrer Struktur grundlegend von der deutschen Juristenausbildung. In Frankreich fällt grundsätzlich nach dem Studium die Entscheidung, ob man in den Justizdienst eintreten will. Der Weg führt dann zwingend durch die ENM. Die Aufnahme dort setzt voraus, dass man sich in einem hochkompetitiven Concours durchsetzt. Dann folgt eine Ausbildung mit theoretischen und praktischen Komponenten. Neben juristischen Themen werden insbesondere berufsethische und berufspraktische Fragen behandelt. Die ENM verfügt zu diesem Zweck über hauptberuflich tätige Beschäftigte. Hierbei handelt es sich überwiegend um Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die für mehrere Jahre abgeordnet sind. Zur Unterstützung bei der Konzeption des Unterrichts beschäftigt die ENM ein Team aus Didaktikerinnen und Didaktikern. Daneben werden nebenamtlich tätige Kolleginnen und Kollegen als Dozentinnen und Dozenten eingesetzt, ähnlich unseren Arbeitsgemeinschaftsleitungen. Ihnen werden von den hauptamtlichen Beschäftigten professionell aufbereitete Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt. Die Ausbildung an der ENM wird mit einer Prüfung abgeschlossen. Die Ergebnisse dieser Prüfung sind äußerst wichtig: Je besser man abschneidet, desto größer die Chance, den ersten Einsatzort wählen zu können.

Wir erhielten auch die Gelegenheit, eine Verhandlung des Tribunal Judiciaire in Strafsachen zu besuchen. Dieser Besuch war nicht nur architektonisch (das Gerichtsgebäude in Bordeaux ist sehenswert!), sondern auch fachlich hochinteressant. Und als Teilnehmer einer Fortbildung für Fortbilder genossen wir den Luxus, die beobachtete Verhandlung im Anschluss unter professioneller Anleitung unserer Ausbilderinnen zu reflektieren – ähnlich, wie es die ENM auch mit angehenden Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten handhaben würde.

Neben all diesen großartigen Erfahrungen habe ich den persönlichen Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen sehr genossen. Der Austausch über die unterschiedlichen Rechtssysteme, aber auch über den Alltag in anderen Ländern (der ja häufig mit den vor Gericht zu verhandelnden Rechtsproblemen eng zusammenhängt) war für mich äußerst bereichernd und hat meinen Blick auf das eigene Rechtssystem verändert. Ich habe gelernt, dass es in Madagaskar eine eigene Gerichtsbarkeit für den Diebstahl von Rindern gibt, dass in Kamerun sowohl Common Law als auch französisch geprägtes Recht gelten und dass belgische Staatsanwälte während ihrer Ausbildung für zwei Tage unter Haftbedingungen in einer JVA eingesperrt werden (wenn sie einverstanden sind) und sich vor ihrem ersten nächtlichen Bereitschaftsdienst einer Simulation unter Echtbedingungen unterziehen müssen (oder besser: dürfen).

Insgesamt waren es zwei sehr intensive, unvergessliche Wochen, aus denen ich persönlich und fachlich viele wertvolle Erfahrungen mitnehme. Allen, die erwägen, an einem EJTN-Austausch teilzunehmen, kann ich nur zu einer Bewerbung raten.

Dr. Hendrik Maroldt