Berlins Schiedsämter: Potential für den Rechtsfrieden

 

Von der Tätigkeit und den Vorzügen Berliner Schiedsämter berichtet uns Malte Priesmeyer, Schiedsmann aus Neukölln und der stellvertretende Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen:

Prozessieren um die Unterlassung von Lärm? Gerichtsverfahren zu 60 Euro Betriebskostennachzahlung? Richter und Anwälte mit Ästen beschäftigen, die keine Grundstücksgrenzen kennen? Und auf dem Aktenstapel im Richterzimmer lagern Fälle mit zehn- und hunderttausenden Euro Streitwert, denen durch solchen Kleinkram der Weg zum sorgfältig ausgearbeiteten Urteil verstopft wird?

Es müsste nicht sein. Denn viele Lappalienstreithähne (und -hennen) könnten lange vorher von einer jahrhundertealten Institution befriedet werden, die in Berlin leider nur ein Schattendasein führt: Das Schiedsamt.

Wo Menschen zusammenkommen, gibt es oft Konfliktlagen. Nicht immer können die Beteiligten diese selbst beilegen. Und oft ist der Streit nicht die gerichtliche Auseinandersetzung wert oder vertieft Gräben, die später einem gedeihlichen Miteinander abträglich sind. Gerade im Bereich des Wohnens und Mietens kochen die Emotionen schnell hoch, da immer in den privatesten Bereich mindestens einer Partei eingegriffen wird. Unparteiische Hilfe bei der Beilegung solchen Streits ist in aller Regel besser, als den Konflikt vor den Richter zu tragen, findet auch das Bundesverfassungsgericht: „Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“ (BVerfG 1 BVR 1351/01).

Für das Ehrenamt vereidigt, tragen Schiedspersonen zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Privatpersonen bei und können auch in bestimmten Deliktfällen des Strafrechts tätig werden. Wir bereiten dafür selbständig Schlichtungs- und Sühneverhandlungen vor, führen diese mit den Beteiligten nicht öffentlich durch und dokumentieren Vorbereitung, Durchführung und Ergebnis. Die Vorteile in wenigen Stichpunkten:

• Das Schiedsverfahren ist unabhängig vom Streitwert mit einer Schiedsgebühr von höchstens 38 Euro (kann ermäßigt werden) zzgl. Auslagen sehr kostengünstig.

• Das Schiedsverfahren wird nach Eingang des Kostenvorschusses unverzüglich eingeleitet und kann deshalb sehr schnell durchgeführt werden.

• In einem Schiedsverfahren gibt es keine Sieger und Besiegten, sondern im besten Fall einen Vergleich und damit nur Sieger. Für ein künftig gutes Miteinander  ist das eine wichtige Voraussetzung.

• Der von den Parteien geschlossene Vergleich ist als Titel 30 Jahre lang vollstreckbar.

Schiedspersonen sind völlig unparteiisch und haben einen Eid auf die Amtsverschwiegenheit abgelegt. Als einzige außergerichtliche Schlichtungsstelle kann durch eine Schiedsperson eine (in mehreren Bundesländern ggf. notwendige) amtliche Bescheinigung der eventuellen Erfolglosigkeit eines Schlichtungsversuches ausgestellt werden. Für das Schiedsverfahren ist die Schiedsperson örtlich zuständig, in deren Amtsbezirk die „Gegenpartei“ des Antragstellers wohnt. Die beteiligten Parteien können eine abweichende örtliche Zuständigkeit vereinbaren. Wer geladen wird, hat die Pflicht zur Teilnahme – anderenfalls droht ein Ordnungsgeld von bis zu 75 Euro.

Soweit die Theorie. In der Praxis wird das Potential der Schiedsämter kaum genutzt, weil sie kaum bekannt sind. Zwei bis drei Fälle hat das Durchschnittsschiedsamt pro Jahr. Die Bezirke haben deshalb seit 2000 die Anzahl der Schiedspersonen auf nur noch etwa 45 mehr als halbiert. Die Kollegin im Nachbarschiedsbezirk berichtete mir von einem Gespräch an ihrem Gartenzaun, in dessen Verlauf sich ein Rechtsanwalt sehr interessiert nach ihrem Dienstschild erkundigte, von ihrer kleinen Behörde jedoch noch nie etwas gehört hatte. Da wäre also noch viel quantitative Luft nach oben.

Ich formuliere gern unbescheiden: An der Qualität liegt’s nicht. Rund zwei Drittel aller Verfahren vor den Schiedsämtern enden mit einem Vergleich. Wenn Sie als Richter die Prozessparteien fragen, ob sie ein Urteil brauchen oder sich doch lieber vergleichen möchten, kommen Sie auf weniger als 15 Prozent Erfolgsquote. Und das trotz der finanziellen Anreize für die Rechtsanwälte, sich bei Ihnen zu vergleichen. Auch in den anderen Bundesländern sieht das nicht besser aus. Für kreative Ergebnisse in der Streitschlichtung ist dabei durchaus Raum: „Führt eine Streitschlichtung zu einer Lösung, die in der Rechtsordnung so nicht vorgesehen ist, die von den Betroffenen aber als gerecht empfunden wird, dann deutet auch dies auf eine befriedende Konfliktbewältigung hin“ (BVerfG 1 BVR 1351/01).

Außer etwas Pressearbeit bleibt den auf Verschwiegenheit vereidigten Schiedspersonen mit ihren vertraulichen Verhandlungen auch wenig, um für das Schiedsamt zu werben. Der Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen BDS e.V. setzt sich deshalb dafür ein, dass die Bezirke als Sachkostenträger des Schiedsamts Haushaltsmittel für die Öffentlichkeitsarbeit der Schiedsämter einstellen.

Auch die Obligatorik („Erst zum Schlichter, dann zum Richter“) greift in Berlin nur so weit, wie § 380 StPO es für wenige Strafrechtsdelikte vorschreibt. In vielen anderen Bundesländern wird § 15a EGZPO nicht so konsequent ignoriert wie an der Spree: Brandenburg, Niedersachsen und andere haben die Obligatorik für das Nachbarrecht. Wiederum andere Länder diskutieren ernsthaft die Bagatellgrenze des §15a EGZPO (750 Euro Streitwert).

So können die Schiedsämter trotz guten Willens ihr Potential für den Rechtsfrieden in Berlin nur in Ansätzen entfalten. Vielleicht probieren Sie als Richter ja einfach mal aus, den Streitenden den Weg zum Schiedsamt zu empfehlen. Und vielleicht können wir gemeinsam Berlins Rechtspolitik davon überzeugen, dass das Schiedsamt zur Entlastung der hauptamtlichen Justiz einen bescheidenen Beitrag leisten könnte. Der Wille ist vorhanden.

Malte Priesmeyer