Beteiligungs- und Petitionsrecht im Streit

Gerichtsverfahren zu Mitbestimmungsrechten der Richter- und Staatsanwaltschaft

Wer hätte sich jemals vorstellen können, dass unter einem der Partei Bündnis 90/Die Grünen zugehörigen Justizsenator vor Gericht darum gerungen werden muss, die Mitbestimmungsrechte der Richter- und Staatsanwaltschaft sowie das Petitionsgrundrecht zu wahren? Die nachfolgend dargestellten zwei Verfahren zeugen hiervon. 

Der im Februar diesen Jahres verstorbene Staats- und Verfassungsrechtler sowie Rechtsphilosoph Ernst-Wolf-gang Böckenförde hat einst den Anspruch formuliert, dass ein Jurist die Träger der Macht in die Grenzen weist, indem er nach dem Recht sucht, es gestaltet und anwendet. Dies beschreibt nichts anderes, als das was Gewaltenteilung intendiert („checks and balances“). Wer sonst als das Verwaltungsgericht könnte der Macht der Verwaltung Grenzen setzen? Sieht auch das Verwaltungsgericht hierin eine Aufgabe? 

1.
Verfahren: Hauptrichter- und Hauptstaatsanwaltsrat (HRSR) ./. Berliner Justizsenator u.a
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Sachverhalt: In der Folge der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2015 - 2 C 13.14 - und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2016 - OVG 4 S 21.16 - zur Notwendigkeit der Begründung des Gesamtergebnisses einer dienstlichen Beurteilung fanden sich am 19. Januar 2017 der Kammergerichtspräsident, der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin, der Präsident des Oberlandesgerichts Brandenburg, der Präsident des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg, ein Vertreter des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg und ein Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg zu einer Besprechung zusammen. Gewählte Vertreter der Richter- und Staatsanwaltschaft waren zu der Besprechung nicht eingeladen worden. 

In der Besprechung verständigten sich die Teilnehmer betreffend die „Gewichtung“ der einzelnen in den Beurteilungsrichtlinien vorgegebenen Beurteilungsmerkmale verbindlich darauf, für die Ämter der Besoldungsgruppen R 1 und R 2 fünf Beurteilungsmerkmalen (Rechtskenntnisse, Verhandlungskompetenz, Entschlusskraft, Qualität der schriftlichen Ausarbeitungen sowie Leistungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein) eine höhergewichtige Bedeutung zuzumessen als den fünf anderen Beurteilungsmerkmalen (sonstige Kenntnisse, Organisationsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Kooperations- und Konfliktfähigkeit sowie Führungskompetenz). Für die Ämter ab der Besoldungsgruppe R 3 wurden alle Beurteilungsmerkmale der höhergewichtigen Bedeutung zugeordnet. Zudem verständigten sich die Teilnehmer in Bezug auf die „Notenbereiche“ darauf, dass eine Gesamtwürdigung der zu den einzelnen Beurteilungsmerkmalen gezeigten Befähigungen und Leistungen unter Berücksichtigung der Gewichtung vorzunehmen ist, und zwar anhand einer zu diesem Zwecke erarbeiteten tabellarischen Übersicht, die als Orientierungshilfe bezeichnet wurde. In dieser Übersicht steht beispielsweise neben der Gesamtnote „herausragend“: „9 bis 10x b.a.“, neben der Gesamtnote „übertrifft die Anforderungen erheblich (untere Grenze)“: „weniger b.a. als g.a.“.

Der an der Verständigung in keinster Weise beteiligte HRSR hat in dem am 13. März 2018 beim Verwaltungsgericht Berlin - VG 7 K 283.18 - eingeleiteten Klageverfahren die Ansicht vertreten, dass sein Mitbestimmungsrecht nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 RiGBln verletzt worden sei, da auch Ergänzungen und Änderungen einer bereits bestehenden Beurteilungsrichtlinie, wie hier, mitbestimmungspflichtig seien. Zwar seien der Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung sowie die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, welche für den Erlass von Richtlinien zuständig seien, in dem Termin im Januar 2017 nicht vertreten gewesen. Jedoch hätten sie die Maßnahme zumindest geduldet. Ferner liege bei der gewählten Art der Regelung durch die Ebene unterhalb der Senatsverwaltungen der Verdacht einer unzulässigen Umgehung der Mitbestimmungsrechte nahe. Der HRSR hat beantragt festzustellen, dass die ohne seine vorherige Zustimmung erfolgte Verständigung sein Mitbestimmungsrecht verletzt habe. Der Berliner Justizsenator, die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, der Kammergerichtspräsident, der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg und die Berliner Generalstaatsanwältin haben beantragt, die Klage abzuweisen. 

Entscheidungsinhalt: Mit Urteil vom 10. Juli 2019 hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts die Klage abgewiesen. Zwar hat sie grundsätzlich bestätigt, dass sich aus § 41 Abs. 2 Nr. 5 RiGBln ein Mitbestimmungsrecht des HRSR bei Beurteilungsrichtlinien ergebe. Im Übrigen ist sie jedoch im Kern der Argumentation der Beklagten gefolgt. So hätten der Berliner Justizsenator sowie die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales keine Maßnahme getroffen. Es liege ein schlichtes Unterlassen vor. Auch die weiteren Beteiligten hätten keine Beurteilungsrichtlinie erlassen oder geändert. Zum einen seien sie dafür nicht zuständig. Zum anderen erfordere ein Neuerlass oder eine Änderung das Bewusstsein des Akteurs, selbst entscheiden zu können, ob und wie Beurteilungsrichtlinien in seinem Bereich gelten sollten oder nicht. Mit der Verständigung sei aber nur beabsichtigt gewesen, auf die Einhaltung der Anforderungen der neueren Rechtsprechung bei der Anwendung der bestehenden Beurteilungsrichtlinien im jeweiligen Geschäftsbereich hinzuwirken. Ein mitbestimmungspflichtiges Verhalten liege in diesem Vorgehen nicht. Etwas anderes lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass der Kammergerichtspräsident, der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg und der Vorgänger der Berliner Generalstaatsanwältin der Regelung über die Gewichtung der Beurteilungsmerkmale Verbindlichkeit hätten beimessen wollen. Denn auch diese verbindliche Regelung habe sich bloß auf die Anwendung der bestehenden Beurteilungsrichtlinien durch die jeweilige Beurteilerin / den jeweiligen Beurteiler bezogen. 

Kritik: Die Urteilsbegründung der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts ist aus hiesiger Sicht - was schon die Erörterung in der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2019 erahnen ließ - enttäuschend. Auf die Argumente des HRSR einer ersichtlichen Duldung der Maßnahme durch die Senatsverwaltungen und einer Umgehung des Mitbestimmungsrechts ist das Gericht ganz nach dem Motto „Argumente durch Ignorieren zum Verschwinden bringen“ erst gar nicht eingegangen, sondern hat sich dem Vorbringen der Beklagten hingegeben. Das weitere erhebliche Argument, dass mit der Verständigung zum aller ersten Mal und völlig losgelöst von den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts eine verbindliche Regelung zur Gewichtung der Beurteilungsmerkmale getroffen und somit neues Recht geschaffen wurde, wird ohne Tiefgang mit dem Hinweis, betroffen sei nur die Anwendung der existierenden Richtlinien, abgebügelt. Nach hiesiger Kenntnis hat der HRSR die Zulassung der Berufung gegen die Entscheidung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg beantragt. Da jedoch von Seiten der Berliner Senatsverwaltung inzwischen das Beteiligungsverfahren eingeleitet wurde - honi soit qui mal y pense -, wird das Rechtsmittelgericht keine Gelegenheit mehr haben, sich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen in einer der Sache angemessenen Intensität zu äußern. 

2.
Verfahren: Richterin ./. Berliner Justizsenator

 

Sachverhalt: Wenn die Exekutive - die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung - beginnt, richterliche Beförderungsstellen erst in Kenntnis des Besetzungsberichts und damit im Wissen, welche konkrete Personalie vom Kammergerichtspräsidenten zur Beförderung vorgeschlagen werden soll, freizugeben, besteht Anlass, dieses - neuartige - Vorgehen vor dem Hintergrund der richterlichen Unabhängigkeit kritisch zu hinterfragen. So geschehen im Jahr 2018 in der Berliner Justiz. Der Deutsche Richterbund - Landesverband Berlin e.V. wandte sich deshalb an den Berliner Justizsenator. Eine Richterin wiederum verfasste eine Petition nach Art. 17 GG an den Richterwahlausschuss, zu Händen des Berliner Justizsenators als dem Vorsitzenden des Gremiums, mit der sie sich über das Vorgehen beschwerte. Die Petition wurde jedoch von dem Justizsenator nicht an die Mitglieder des Richterwahlausschusses weitergeleitet. Angesichts dessen fand das Begehr seinen Weg zum Verwaltungsgericht Berlin - VG 1 L 291.18 - mit dem Ziel des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Justizsenator aufgegeben werden sollte, die Petition dem Richterwahlausschuss zur Kenntnis zu geben.

Entscheidungsinhalt: Mit Beschluss vom 1. Oktober 2018 hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es sich beim Richterwahlausschuss zwar um einen zulässigen Adressaten einer Petition handele. Das Petitionsrecht vermittele jedoch keinen Anspruch darauf, dass eine Petition zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb eines bestimmten Verwaltungsverfahrens behandelt werde. Anderenfalls entstünde ein nicht vorgesehenes allgemeines Beteiligungsrecht Dritter. Auch bestehe kein Anspruch darauf, dass sich das einzelne Mitglied des Richterwahlausschusses mit der Petition befasse. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 5. Oktober 2018 - OVG 10 S 56.18 - zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass es ausgereicht habe, dass der Vorsitzende des Richterwahlausschusses die Petition zur Kenntnis genommen habe, was sich dem RiGBln und der Geschäftsordnung des Gremiums entnehmen lasse.

Kritik: Auch diese Entscheidungen lassen wesentliche Fragen offen, weil sie sich nicht mit einem einzigen Wort dazu verhalten, dass das Grundrecht nach Art. 17 GG schrankenlos ist. Dies meint auch das von der Richterin im Anschluss angerufene Bundesverfassungsgericht. Dieses hat in seinem Beschluss vom 21. Juni 2019 - 2 BvR 2189/18 - entschieden, dass unabhängig von der Frage, ob das Petitionsrecht nicht wenigstens einen Schutz gegen eine bewusste „Verschleppung“ biete, in einem möglichen Hauptsacheverfahren zu klären sein werde, ob sich der Berliner Justizsenator nicht nur vorübergehend, sondern abschließend geweigert habe, die Mitglieder des Richterwahlausschusses über den Eingang der Petition in Kenntnis zu setzen, und ob und - wenn ja - in welchem Umfang das einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt nicht unterworfene Petitionsrecht beschränkt werden dürfe; das einstweilige Rechtsschutzverfahren habe schwierige rechtliche Fragen hinsichtlich der Behandlung von Petitionen durch Kollegialorgane der Verwaltung aufgeworfen, die noch nicht höchstrichterlich, also unter Einschluss des Bundesverwaltungsgerichts, entschieden seien, was nachzuholen sei. An dieser Entscheidung ist bemerkenswert, dass das Bundesverfassungsgericht zu einer rein verfassungsrechtlichen Frage die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts hören möchte. Ausgeblendet hat es außerdem - aus seiner Warte allerdings verständlich -, was an Zeit, Kraft und Kosten durch eine Einzelperson aufgewendet werden muss, um über den skizzierten Verfahrensgang eine Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zu erreichen. Bis dahin wird der heutige Justizsenator längst nicht mehr im Amt sein.

 

Doerthe Fleischer