Nur die Besten für die Justiz

Gelingt es der Justiz noch, überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte für den höheren Justizdienst anzuwerben?

 

Einstellungsvoraussetzungen und Entwicklung der Noten als „kommunizierende Röhren“

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Vorlagebeschluss vom 22. September 2017 (2 C 56/16 u.a.) klargestellt, dass bei der Prüfung der Frage, ob es noch gelingt, überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte für den höheren Justizdienst anzuwerben, neben der Entwicklung der formalen Notenanforderungen an künftige Richter und Staatsanwälte auch die Entwicklung des Notenniveaus in den juristischen Prüfungen in den Blick zu nehmen ist. Erst die Betrachtung der allgemeinen Entwicklung der Examensergebnisse erlaubt eine Einschätzung der Relevanz von Änderungen im Anforderungsprofil für Bewerberinnen und Bewerber. Hier ist es in den letzten zehn Jahren zu fundamentalen Umwälzungen gekommen, die indes selbst von der Fachöffentlichkeit offenbar nur unzureichend wahrgenommen worden sind.

 

Die Einstellungsvoraussetzungen in Berlin

Das Bundesverwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Land Berlin als „Basis-Anforderungsprofil“ noch im Jahr 2004 die Note „vollbefriedigend“ (also ein Ergebnis von mindestens 9,0 Punkten) in beiden juristischen Staatsprüfungen voraussetzte. In den Stellenausschreibungen war hierzu die folgende Formulierung verwendet worden: „Sie müssen die in § 9 des Deutschen Richtergesetzes genannten Voraussetzungen erfüllen, zwei Prädikatsexamen (mindestens vollbefriedigend) besitzen und überdurchschnittliche Leistungen im Vorbereitungsdienst erbracht haben“.

Im Jahr 2007 war die Stellenausschreibung bereits dahin modifiziert worden, dass die Notenanforderungen auf „in der Regel mindestens vollbefriedigend“ abgesenkt wurde. Seit dem Jahr 2011 mussten Bewerber nach der allgemeinen Stellenausschreibung des Landes Berlin „im Ersten Staatsexamen mindestens 7,5 Punkte, im Zweiten Staatsexamen mindestens 8,5 Punkte“ erreicht haben. Gegenwärtig wird sogar nur noch ein Ergebnis von mindestens 7,0 Punkten in der Ersten Juristischen Prüfung sowie 8,0 Punkten in der Zweiten Staatsprüfung vorausgesetzt.

 

Die Entwicklung der Examensnoten

Das Bundesverwaltungsgericht hat ferner festgestellt, dass sich der Anteil derjenigen Absolventen der juristischen Staatsprüfungen in Berlin, die ein Ergebnis mit mindestens 9,0 Punkten („vollbefriedigend“) erzielt haben, in den letzten Jahren deutlich erhöht hat.

Diese Feststellungen lohnen einen näheren Blick auf die Entwicklung der Examensnoten. Seit dem Jahr 2007 wird die Erste Juristische Prüfung nach den Vorgaben des Gesetzes zur Reform der Juristenausbildung vom 11. Juli 2002 durchgeführt. Hauptziel dieses Gesetzes waren die Hebung der Ausbildungsqualität im bestehenden zweiphasigen System der Juristenausbildung und eine verbesserte und gezieltere Vorbereitung des Juristennachwuchses auf die Anforderungen der beruflichen, insbesondere der anwaltlichen Praxis.

Zur Erreichung dieser Ziele sah das Reformgesetz u.a. als zentralem Teil der Reform eine „Schwerpunktbereichsausbildung“ verbunden mit der Übertragung der früheren „Wahlfachprüfung“ als „Schwerpunktbereichsprüfung“ auf die Universitäten vor. Die bisherige Erste Juristische Staatsprüfung heißt seither Erste Juristische Prüfung und besteht aus einer selbstständigen universitären Schwerpunktbereichsprüfung mit einem Anteil von 30 % und der staatlichen Pflichtfachprüfung mit einem Anteil von 70 %; die Pflichtfachprüfung wird weiterhin von den Landesjustizprüfungsämtern abgenommen, die auch das Gesamtzeugnis über die Erste Juristische Prüfung erteilen.

Infolge dieser Reform hat sich das Notenniveau (bundesweit) spürbar erhöht. Diese Entwicklung war bei Einführung der Reform antizipiert worden und grundsätzlich auch so gewollt (vgl. etwa Schöbel, Die universitäre Schwerpunktbereichsprüfung – »Kuschelnoten ante portas«?, JA 2008, 94). Die Überführung eines Teils der Examensleistungen in die universitäre Verantwortung führt aber zu Schwierigkeiten hinsichtlich der nach dem DRiG zu gewährleistenden Vergleichbarkeit der Noten in der Ersten Juristischen Prüfung.

Die Problematik beschäftigt seit einigen Jahren auch die Justizministerkonferenz, deren Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung hierzu bereits zwei Berichte vorgelegt hat. Ein weiterer Bericht wird im Jahr 2019 folgen. Zur Veranschaulichung: Der Anteil der Kandidatinnen und Kandidaten in Berlin, die „im Schwerpunkt“ die Notenstufen „vollbefriedigend“ und besser erhielten, lag im Jahr 2016 bei 65 %. Die Notenstufen „gut“ oder „sehr gut“ erhielten 33,20 % der Prüflinge, also mehr als ein Drittel.

Insbesondere diese Entwicklung in der universitär verantworteten Schwerpunktbereichsprüfung führt zu einer erheblichen Hebung des Notenniveaus der Gesamtnote in der Ersten Juristischen Prüfung gegenüber dem früheren Ersten Juristischen Staatsexamen. Das „große Prädikat“ im Ersten Juristischen Staatsexamen erreichten in Berlin im Jahr 2001 lediglich 21,18 % der erfolgreich geprüften Studierenden. Demgegenüber waren es in der Ersten Juristischen Prüfung im Jahr 2016 dann 49,50 % der erfolgreich geprüften Studierenden, mithin beinahe die Hälfte. Dabei hat sich auch die absolute Zahl der „Prädikatsjuristen“ deutlich von 162 Personen im Jahr 2001 auf 298 Personen im Jahr 2016 erhöht.

Die Entwicklung der Noten im Zweiten Juristischen Staatsexamen ist etwas weniger sprunghaft verlaufen, da dies weiter vollständig „in staatlicher Hand“ verblieben ist. Indes ist auch hier eine relevante Hebung des Notenniveaus zu verzeichnen. Der Anteil der erfolgreichen Kandidatinnen und Kandidaten, die in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung die Notenstufen „vollbefriedigend“ und besser erhielten, lag im Jahr 2001 bei 16,82 %, während im Jahr 2016 31,73 % der erfolgreichen Prüflinge in Berlin das große Prädikat schafften.

Beachtenswert ist insofern, dass vor dem Hintergrund der weitgehend stabilen Zahl der in Berlin ausgebildeten Referendarinnen und Referendare, sich durch die Hebung des Notenniveaus auch die absolute Zahl der Assessorinnen und Assessoren mit „Prädikat“ deutlich erhöht hat. Während im Jahr 2001 lediglich 125 Personen 9 Punkte oder mehr erzielten, waren es 250 Personen im Jahr 2016. Der „Pool“ der Juristinnen und Juristen mit „Prädikat“, der dem Arbeitsmarkt in einem Kalenderjahr zur Verfügung steht, hat sich mithin in den letzten Jahren verdoppelt.

 

Schlussfolgerung

Die vorstehend beschriebenen Hebungen im Notenniveau der juristischen Staatsprüfungen sind per se gar nicht zu beanstanden. Warum eine Juristin oder ein Jurist traditionell bereits dann als besonders fähig gilt, wenn er oder sie gerade einmal die Hälfte der erreichbaren Punkte „sammelt“, hat sich dem Nichtjuristen von jeher nicht erschlossen.

Indes kann die Verschiebung des Notenniveaus für die Frage der Bestenauslese nicht ohne Bedeutung bleiben. Wenn das Land Berlin sich veranlasst sieht, die formalen Einstellungsvoraussetzungen mehrfach nach unten anzupassen, während gleichzeitig die Zahl derjenigen, welche sogar die alten, höheren Notenhürden mühelos „übersprungen“ hätten, massiv gestiegen ist, ist etwas faul im Staate.

 

Dr. Patrick Bömeke