BVerwG: Berliner R-Besoldung verfassungswidrig

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschlüssen vom 22. September 2017 die Berliner Besoldung der Besoldungsgruppen A 9 bis A 12 und R 1 bis R 3 in den Jahren 2008/2009 bis 2015 für verfassungswidrig befunden. Der Senat von Berlin reagiert darauf nicht.

 

Deutliche Pressemitteilung

Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen zwar noch nicht vor. Die unmittelbar nach der Verkündung veröffentlichte Pressemitteilung des BVerwG ist jedoch von ungewohnter Deutlichkeit. Nach Ansicht des Gerichts lässt die Gesamtbetrachtung vernünftige Zweifel an einer verfassungswidrigen Unteralimentation nicht zu. Die Pressemitteilung hat folgenden Wortlaut:

"Die Besoldung der Beamten des Landes Berlin in den Besoldungsgruppen A 9 bis A 12 war in den Jahren 2008 bis 2015 in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen, für die Richterbesoldung in den Besoldungsgruppen R 1 bis R 3 gilt dies jedenfalls für die Jahre 2009 bis 2015. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden und dem Bundesverfassungsgericht insgesamt acht Verfahren zur Besoldung im Land Berlin zur Entscheidung vorgelegt.

Die Kläger sind Polizei- und Feuerwehrbeamte sowie Richter im Dienst des Landes Berlin. Sie hatten in den Jahren 2008 bis 2010 erfolglos eine verfassungswidrige Unteralimentation bei ihrem Dienstherrn gerügt. Klage- und Berufungsverfahren sind erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat angenommen, dass nur zwei der fünf vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Parameter für die Vermutung der Verfassungswidrigkeit der Besoldung erfüllt seien; deshalb bestehe kein Anlass für eine weitergehende Prüfung. Das Bundesverwaltungsgericht ist dem nicht gefolgt.

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts erweist sich die Besoldung schon bei Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen relativen Vergleichsmethode als nicht angemessen. Dabei kann offen bleiben, ob der Nominallohnindex für Berlin trotz regionaler Besonderheiten eine hinreichende Aussagekraft besitzt. Dahinstehen kann auch, ob für den Quervergleich der Besoldung eine Betrachtung allein mit der Bundesbesoldung anzustellen ist. Denn jedenfalls für zwei wesentliche Parameter (Vergleich der Besoldungsentwicklung zu den Tarifergebnissen der Angestellten im öffentlichen Dienst und zum Verbraucherpreisindex) sind die Schwellenwerte in besonders deutlicher Weise überschritten. Damit liegen ausreichende Indizien vor, die eine umfassende Betrachtung und Gesamtabwägung der Verfassungsmäßigkeit des Alimentationsniveaus erforderlich machen.

Die danach anzustellende Gesamtbetrachtung ergibt ein einheitliches Bild und lässt vernünftige Zweifel am Vorliegen einer verfassungswidrigen Unteralimentation nicht zu.

Zunächst zeigt der Vergleich mit den durchschnittlichen Einkommen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter mit entsprechender Qualifikation und Verantwortung, dass die Beamten und Richter des Landes Berlin deutlich geringere Einkünfte erzielen. Für die Richter ist zudem die vom Bundesverfassungsgericht geforderte qualitätssichernde Funktion der Besoldung nicht mehr gewährleistet; dies zeigt sich an der Absenkung der Einstellungsanforderungen bei gleichzeitiger deutlicher Verbesserung der Berliner Examensergebnisse.

Bei der Besoldung der Beamten hat der Berliner Gesetzgeber schließlich auch die absolute Untergrenze einer verfassungsgemäßen Alimentation unterschritten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss sich die Beamtenbesoldung vom Niveau der sozialrechtlichen Grundsicherung jedenfalls um 15 % abheben. Diese Anforderung ist im Land Berlin nicht eingehalten worden. Die Fehlerhaftigkeit des Besoldungsniveaus in den unteren Besoldungsgruppen führt zwangsläufig auch zu einem Mangel der hier in Rede stehenden Besoldungsgruppen. Da der Gesetzgeber keine bewusste Entscheidung zur Neustrukturierung des Abstands zwischen den Besoldungsgruppen getroffen hat, führt die erforderliche Anpassung der untersten Besoldungsgruppe notwendigerweise zu einer Verschiebung des Gesamtgefüges".

 

Erfolg für Kläger und Richterbund

Die jetzt ergangenen Beschlüsse des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts sind ein großer Erfolg nicht nur für die Revisionskläger, sondern auch für den Landesverband Berlin des Deutschen Richterbunds. Denn unser Landesverband hat die Revisionsverfahren eng betreut. Wir haben Stellungnahmen vorbereitet, statistische Zahlenwerke ausgewertet, Informationen zusammengetragen und uns mit den Prozessbevollmächtigten beraten. Sobald die schriftlichen Entscheidungsgründe vorliegen, werden wir sie auswerten und die Auswirkungen auf die Frage der Amtsangemessenheit der Besoldung ab 2016 prüfen. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle den Revisionsklägern, die ihre Verfahren in gemeinsamem Interesse mit Nachdruck betreiben.

Die Beschlüsse sind auch eine Ohrfeige für den Berliner Senat. Jahrelang haben die verschiedenen Senatsverwaltungen behauptet, die Höhe der Besoldung sei nicht zu beanstanden. Die jetzigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts dokumentieren den dringenden Nachholbedarf des Landes, um zu einer nicht nur verfassungsgemäßen, sondern auch gerechten Besoldung der Richter und Beamten zu gelangen.

 

Unfassbare Reaktion des Finanzsenators

Erschreckend war die Reaktion der Berliner Finanzverwaltung. Fast so, als könne man gar nicht glauben, dass die gnädige Gabe des Dienstherrn Kritik erfahren könne, negiert die Finanzverwaltung die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts. Die Finanzverwaltung hatte wohl daran geglaubt, dass die Besoldung nicht zu beanstanden sei, wenn nicht mindestens drei der vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2015 aufgestellten Parameter um 5 % unterschritten seien. Wohl aus diesem Grund hat der Finanzsenator im Abgeordnetenhaus ein schlicht skurriles Statement abgegeben. Auf die Frage eines Abgeordneten, welche finanzielle Vorsorge der Senat nach der Entscheidung des BVerwG im Haushalt treffen wolle, antwortet der Senator Dr. Kollatz-Ahnen (siehe Plenarprotokoll vom 28. September 2017, Seiten 1514 f.):

„Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Das wird Sie jetzt erst mal verblüffen: Keine, weil es nicht erforderlich ist. – Was ist der Sachverhalt, um den es dabei geht? – Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Bundesverfassungsgericht etwas vorgelegt. Das Bundesverwaltungsgericht wird erst dann ein Urteil sprechen können, wenn das Bundesverfassungsgericht zu dieser Vorlage Stellung genommen hat. Das heißt auf gut Deutsch: Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassung falsch interpretiert hat.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich in dieser Sache […] mit zwei Urteilen in den letzten Jahren geäußert. Das erste Urteil stammt vom 17. November 2015, es liegt also noch nicht sehr lange zurück, das zweite war noch später. […] Dort hat das Bundesverfassungsgericht damals fünf Kriterien entwickelt und dann in einem Fall, Sachsen, festgestellt, dass die Kriterien eins, zwei und drei verletzt seien. In den Fällen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass keines der fünf Kriterien verletzt war. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil gesagt, es müssten drei Kriterien verletzt sein, dann bestehe ein Rechtsanspruch darauf, dass etwas daran geändert wird.

Wir haben das damals […] in zwei Ressorts analysiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in Berlin diese drei Parameter nicht verletzt sind, sondern es immer bei einzelnen Gehaltsgruppen mal sein kann, dass ein Parameter verletzt, bei anderen Gehaltsgruppen ein anderer Parameter verletzt ist, aber nicht drei auf einmal.

Dann hat das Bundesverfassungsgericht am 5. Mai 2017 […] wieder dieselben fünf Kriterien angewendet […] Sie haben wieder gesagt, dass das dazu führt, dass dort, wo drei Parameter verletzt sind, Änderungen erforderlich sind, und dort, wo ein oder kein Parameter verletzt ist, keine Änderungen erforderlich sind.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt nicht in Abrede, dass in Berlin, nein, es behauptet gar nicht, dass in Berlin drei Parameter verletzt seien, sondern es behauptet, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassung falsch auslegt, weil es nicht darauf ankomme, dass drei Parameter verletzt seien, sondern dass man, auch wenn bereits ein Parameter verletzt sei, zum Ergebnis kommen könne – und nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kommen müsse –, dass die Verfassung verletzt sei. Es ist nun sicherlich so, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts […] aktuell ist. Wir als Senat […] werden zum einen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten – Sie erkennen aus meiner Antwort, wie ich glaube, dass das Bundesverfassungsgericht urteilen wird – und zum anderen, wenn der Vorlagebeschluss zurückgegangen ist […] das Bundesverwaltungsgericht dann Recht spricht auf Basis dessen, was das Bundesverfassungsgericht nach dem Vorlagebeschluss entscheidet.“

 

Berlin braucht ein Umdenken

Es ist traurig und aufwühlend zugleich, dass sich der Finanzsenator damit rühmt, durch die Entscheidung des BVerwG sei für Berlin kein Schaden entstanden. Es ist offenbarend, dass der Finanzsenator bestätigt, zwei Ressorts hätten die Besoldung auf den Cent genau darauf überprüft, dass zwar mal das ein oder andere Kriterium, nie aber drei der vom BVerfG aufgestellten Kriterien unterschritten seien, weil andernfalls ein Rechtsanspruch bestehe.

Der Berliner Senat hat nicht verstanden oder will nicht verstehen, dass die Rechtsprechung nur die Grenze zum evident Unzureichenden definiert! Wenn sich der Dienstherr damit rühmt, bewusst nicht ausreichend zu besolden, sondern nur die Grenze des evident Unzureichenden zu definieren, dann bricht er geltendes Recht. Denn der Dienstherr ist zu einer ausreichenden Besoldung verpflichtet, nicht lediglich zu einer nicht evident unzureichenden.

In Berlin muss umgedacht werden. Denn die wachsende Stadt braucht einen funktionierenden Öffentlichen Dienst, braucht eine wettbewerbsfähige Justiz. Die Beamten und Richter sehnen sich nach Wertschätzung. Andere Bundesländer haben auf Entscheidungen oberster Gerichte mit Besonnenheit und Respekt reagiert, haben die Prüfung der rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten zugesagt und selbstkritisch die eigenen Entscheidungen reflektiert.

Der Berliner Senat hingegen steht zu seiner Geringschätzung des Öffentlichen Diensts. Es kursieren erste Gerüchte, dass der Abstand der einzelnen Besoldungsgruppen zueinander aus finanziellen Gründen abgeschmolzen werden könnte. Unberechtigt sind solche Befürchtungen nicht, nachdem die Besoldungsüberleitung 2011 und die Besoldungserhöhungen 2017 und 2018 zeigen, dass der Senat keine Scheu hat, aus finanziellen Gründen den Öffentlichen Dienst gegeneinander auszuspielen. Dass ab 2017/2018 die Sonderzahlung bis zur Besoldungsgruppe A 9 weit höher ausfällt, als ab A 10, dürfte das Abstandsgebot verletzen und verfassungswidrig sein. Der Justizsenator hat unseren Einwand im persönlichen Gespräch lediglich „zur Kenntnis“ genommen.

 

Wie weiter? –Widerspruch einlegen!

Es erscheint besonders schwierig, in Berlin auf politischem Weg eine amtsangemessene Besoldung durchzusetzen. Nachdem der Koalitionsvertrag mit seiner Vereinbarung einer Angleichung an den Bundesdurchschnitt zunächst ein Hoffnungsschimmer war, folgte gleich eine deutliche Enttäuschung, als das Besoldungsanpassungsgesetz deutlich hinter den selbstgesteckten Zielen der Koalition zurückblieb.

Der Landesverband Berlin des Deutschen Richterbunds hat den Berliner Senat aufgefordert, nicht durch ein Abwarten der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiter auf Zeit zu spielen, sondern unverzüglich die auch aktuell zu geringe Besoldung nachzubessern und den Kolleginnen und Kollegen eine Alimentation zu zahlen, die zumindest dem Bundesdurchschnitt entspricht.

Der Landesverband fordert auch ein Nachzahlungsgesetz für alle Berliner Kolleginnen und Kollegen, deren Einsatz für unsere Stadt über Jahre hinweg zu Unrecht zu gering besoldet worden ist. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass das Land Berlin freiwillig zahlt. Denn der Senat handelt nicht ohne Druck. Und er wird keinen Cent an diejenigen nachzahlen, die der Höhe ihrer Besoldung nicht widersprochen haben. Das Muster eines Widerspruchs steht auf der Internetseite des Landesverbands (www.drb-berlin.de) bereit.

 

Dr. Stefan Schifferdecker

Dr. Patrick Bömeke