Langfristige Trends in der Besoldungsentwicklung
Langfristige Trends in der Besoldungsentwicklung
Ein Blick auf statistische Zeitreihen bestätigt ein Gefühl: Der höhere Dienst wurde in den letzten Jahrzehnten abgewertet. Die Besoldung ermöglicht nicht mehr wie früher einen verhältnismäßig besseren Lebensstandard.
Anfang Februar des Jahres brachte die FAZ in der Rubrik „Gehalts-Check“ ein Interview mit einer nordrhein-westfälischen Amtsrichterin, die meinte, angesichts „ihrer Verantwortung fände sie 2.000 Euro mehr im Monat angemessen“. Das klingt nach dem berüchtigten „großen Schluck aus der Pulle“. Aber: wer sich mit (insbesondere dienstjüngeren) Kolleginnen und Kollegen, die nicht über Partnerinnen oder Partner mit privatwirtschaftlichen Salären verfügen, über ihre finanzielle Situation unterhält, hört immer öfter, dass die Suche nach einer größeren Mietwohnung, in der man auch als Familie leben kann, ein Ding der Unmöglichkeit ist. Den Erwerb einer Immobilie fassen die meisten noch nicht einmal mehr ernsthaft ins Auge. Nichts anderes gilt etwa für den Umstieg auf ein Elektroauto. Sinnvoll, aber schlicht unfinanzierbar. Gleichzeitig erinnern sich einige (dienstältere) Kolleginnen und Kollegen an die 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts und daran, wie ein alleinverdienender Elternteil als Lehrer oder Richterin durchaus in der Lage war, neben dem laufenden Unterhalt der Familie auch die Ausbildung der Kinder, die Anschaffung eines Neuwagens und eben auch den Erwerb einer Immobilie zu finanzieren. Ist das alles nur „gefühlt“ oder das böse „Jammern auf hohem Niveau“? Ganz sicher nicht.
Gerade der höhere Dienst wurde in den letzten 30 Jahren immer weiter abgewertet und von den Gehaltsentwicklungen außerhalb des öffentlichen Dienstes überproportional entkoppelt. Die vom BVerfG gewählte Betrachtung von 15 Jahres-Zeiträumen für den Vergleich mit der Nominallohnentwicklung verstellt den Blick darauf, dass das Abkoppeln des höheren Dienstes bereits deutlich früher eingesetzt hat und sich immer weiter ausdehnt. Hier lohnt sich ein Blick auf die langen Zeitreihen in der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung seit 1970.
Die Grafik 1 stellt die Entwicklung des BIP je Erwerbstätigem (als Maßstab der Produktivität) und die Entwicklung der Bruttolöhne je Arbeitnehmer dar. In Deutschland sind beide Entwicklungen bis in die 1970er Jahre weitgehend parallel verlaufen und haben sich dann entkoppelt, wobei die Entkoppelung geringer ausfällt als z.B. in den USA. Zum Vergleich heranziehen kann man jetzt die Besoldung für A 15 Bund Endstufe für die A5-Endbesoldung Bund.
Es zeigt sich, dass die Beamten des höheren Dienstes (anders als die nach A5 besoldeten Dienstkräfte) bereits seit Mitte der 1980er Jahren gegenüber der allgemeinen Bruttolohnentwicklung und gegenüber der Besoldung nach A 5 deutlich abgehängt wurden.
Richtig interessant wird es, wenn man sich die Entwicklung des Stundenlohns je geleisteter Arbeitsstunde anschaut (Grafik 2). Diese liegt weit über der Entwicklung der Produktivitätsentwicklung je Arbeitnehmer, aber - erwartbar - unter dem BIP je geleisteter Arbeitsstunde.
Hintergrund ist, dass sich die durchschnittlich je Erwerbstätigem geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland seit 1970 nahezu jedes Jahr verringert haben. Da parallel die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt zugenommen hat, sind für diese Veränderungen in erster Linie strukturelle und nicht konjunkturelle Gründe verantwortlich. Von 1970 bis 1990 waren dies vor allem die Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit und die Ausweitung des jährlichen Urlaubsanspruchs. In den 1990er-Jahren waren für die weitere Verringerung der durchschnittlichen Arbeitszeit vor allem die starke Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung und die anhaltenden tariflichen Angleichungsvorgänge in Ostdeutschland an das westdeutsche Niveau ausschlaggebend. Der steigende Anteil Teilzeitbeschäftigter hat auch in den Jahren seit 2000 zu einer Reduzierung der durchschnittlich je Erwerbstätigen geleisteten Arbeitsstunden geführt. Im Jahr 1970 leistete in Westdeutschland jeder Erwerbstätige durchschnittlich noch 1.966 Arbeitsstunden. Im Jahr 1991 waren es nur noch 1.559 Stunden. Die Wiedervereinigung Deutschlands veränderte das durchschnittliche Arbeitspensum kaum. Zwischen 1991 und 2003 sank die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen in Deutschland von 1.552 auf 1.436. Bis 2008 blieb die Zahl weitgehend stabil, reduzierte sich dann aber – ausgelöst durch die Finanz- und Wirtschaftskrise – in den Jahren 2008/2009 von 1.422 auf 1.383 (minus 2,7 Prozent). Die anschließende wirtschaftliche Erholung ließ die Zahl der durchschnittlich je Erwerbstätigen geleisteten Arbeitsstunden wiederum auf 1.407 im Jahr 2010 beziehungsweise 1.397 im Jahr 2012 steigen. Im Jahr 2012 leisteten die beschäftigten Arbeitnehmer durchschnittlich 1.316,9 Arbeitsstunden pro Jahr.
Das Erschreckende ist, dass das alles für die Beamten- und Richtersaläre nicht gilt. Im Gegenteil: die wöchentliche Regelarbeitszeit für Bundesbeamte betrug im Jahr 1970 40 Stunden. Seit 2006 liegt sie bei 41 Stunden. Auch der Urlaubsanspruch hat sich - jedenfalls für die hier betrachteten Menschen in der Endstufe nicht verändert (30 Tage). Das „Zeitgerüst“ der zu leistenden Arbeit ist daher im öffentlichen Dienst gleich geblieben, daher entspricht die Stundenlohnentwicklung der allgemeinen Besoldungsentwicklung. Dann zeigt sich aber ein noch viel extremeres Auseinanderklaffen der Besoldungsentwicklung und der allgemeinen Lohnentwicklung, welches in die Betrachtungen des BVerfG keinen Eingang gefunden hat, aber ohne weiteres erklärt, warum es heute schlicht ausgeschlossen ist, als Alleinverdiener eine Familie auf dem gleichen Niveau zu finanzieren, wie noch in den 1980er Jahren,
Jetzt liegt es nahe, die Änderung des durchschnittlichen Gehalts je Arbeitnehmer und die Änderung des Stundenlohns einfach einmal auf die Beamtenbesoldung anzuwenden. Grafik 3 zeigt die tatsächliche Entwicklung der Besoldung nach A15 Bund Endstufe und die fiktive Entwicklung bei unterstellt paralleler Entwicklung von Besoldung und Lohnentwicklung je Arbeitnehmer und je Arbeitsstunde.
Das Jahresbruttoentgelt nach A 15 Bund Endstufe hätte dann 2022 nicht 87.016,80 EUR, sondern 105.588,60 EUR (1.547,65 EUR mehr im Monat) betragen müssen, wenn man die Lohnentwicklung je Arbeitnehmer zu Grunde legt. Das entspräche einer Steigerung um 21,34%. Wäre das Beamtensalär entsprechend der Entwicklung der Bruttolöhne je Stunde gestiegen, ergäbe sich eine Alimentation von 151.090,32 EUR (3.791,81 EUR/Monat mehr).
Die in dem FAZ-Beitrag genannte Zahl von 2.000 EUR mehr im Monat ist also keinesfalls „in der Oktav“ vergriffen, sondern ziemlich genau der Betrag, der fehlt, um relativ zu anderen Beschäftigtengruppen wieder halbwegs „auf Augenhöhe“ zu kommen.
Dr. Patrick Bömeke