Beschränkung im Reparaturgesetz - Verstoß gegen Art 20 Abs. 3 GG

Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses zu Nachzahlungen für die betroffenen R-Besoldungen birgt womöglich einen erneuten Verfassungsverstoß

Für große Empörung hat die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses gesorgt, mit dem Besoldungsnachzahlungsgesetz rückwirkende Erhöhungen strikt entsprechend dem Streitgegenstand der Besoldungsentscheidung des BVerfG zu beschließen. Daher wurden Nachzahlungen für die R1- und R2-Besoldung nur für die Jahre 2009 bis 2015 und für die R3-Besoldung nur für 2015 beschlossen. Dies ist nicht nur moralisch unanständig und eine Treuepflichtverletzung des Dienstherrn, sondern womöglich ein erneuter Verfassungsverstoß.

Denn eine Entscheidung des BVerfG entfaltet gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung insofern, als die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung beachtet werden müssen. § 31 Abs. 1 BVerfGG ordnet im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit die Verbindlichkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts an (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2020 - 1 BvR 2838/19 -, juris Rn. 13). Dabei sind die den Tenor tragenden Entscheidungsgründe jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck kommenden Gedankengang entfällt. Nicht tragend sind dagegen bei Gelegenheit der Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs stehen. Bei der Beurteilung, ob ein tragender Grund vorliegt, ist von der niedergelegten Begründung in ihrem objektiven Gehalt auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006 - 2 BvR 2194/99 -, juris Rn. 31).

Die Entscheidung des BVerfG zur Berliner Richterbesoldung enthält unserer Ansicht nach in tragenden Gründen die rechnerischen Vorgaben zur Bemessung der Untergrenze der Besoldung anhand von volkswirtschaftlichen Parametern und durch Vorgaben zu dem konkreten Abstand zur gesetzlich geregelten Existenzsicherung. Auch unter Berücksichtigung eines gesetzgeberischen Spielraums ist anhand der Besoldungsentscheidung des BVerfG ein Unterschreiten der Untergrenze der Alimentation auch über den Streitgegenstand der Entscheidung hinaus offensichtlich, also auch für andere Besoldungsgruppen und andere Besoldungsjahre.

Die Nichtbeachtung der Bindungswirkung von Entscheidungen des BVerfG stellt einen Verstoß der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz dar, was auch der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin in anderem Zusammenhang aktuell festgestellt hat (VerfGH des Landes Berlin, Beschl. v. 12.5.2021 - 175/20 -, Rn. 16; BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 - 2 BvR 1018/74 -, juris Rn. 14).

 

Dr. Stefan Schifferdecker