Wattestäbchen und Spritzen statt Hehlerware und Diebesgut – Die einzigartige Impfaktion der Berliner Justiz

Lisa Jani, Pressesprecherin der ordentlichen Justiz im Bereich des Strafrechts, berichtet im folgendem Gastbeitrag von der Impfaktion für die Berliner Justiz.

 

Dort, wo in normalen Zeiten Hehlerware und Diebesgut unter den Hammer kommt, in der Pfandkammer des Amtsgerichts Tiergarten, bestimmten im ersten Halbjahr 2021 ganz andere Requisiten das Geschehen: erst Wattestäbchen, dann Spritzen. Nachdem in der Pfandkammer zunächst über Monate hinweg die Mitarbeitenden des Campus Moabit auf das Coronavirus getestet worden waren, wurden dort ab dem 17. Mai 2021 viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der gesamten Berliner Justiz – vom Gerichtsvollzieher aus Pankow über die Bewährungshelferin aus Schöneberg bis hin zur Vorsitzenden Richterin aus Mitte – gegen das Virus immunisiert. Ende Juli ist die Impfstelle der Berliner Justiz dann in den Impfstützpunkt des Arbeitsmedizinischen Zentrums (AMZ) der Charité auf dem Gelände des ehemaligen Moabiter Krankenhauses umgezogen. Dort fand am 29. Juli 2021 die letzte Corona-Impfaktion für die Berliner Justiz statt – die vorerst letzte.

Was zunächst so einfach klingen mag, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als gewaltiger Organisationsakt – von dem Kauf eines Kühlschranks für den Impfstoff bis hin zur Schaffung eines Einbahn-Wegesystems in den engen Räumlichkeiten der Pfandkammer, um Kontakte der Impflinge untereinander zu vermeiden. Im März 2021 hatte das Berliner Kammergericht die Federführung dieses beispiellosen Projektes für die Berliner Justiz übernommen. Als sie sich zur Vorbereitung das Impfzentrum auf dem Messegelände angeguckt und mit dessen Leiter gesprochen habe, habe sie gedacht, dass die Justiz das niemals würde auf die Beine stellen können, erzählt Sabrina Peuler, Referentin in der zuständigen Koordinierungs- und Stabsstelle am Kammergericht. Wenige Wochen später stand fest: die Justiz hat es doch geschafft. „Das haben wir vor allem unseren unermüdlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stabsstelle zu verdanken, die sich dieser außergewöhnlichen Aufgabe mit besonderer Hingabe und großem Einfallsreichtum gewidmet haben“, befindet Dr. Svenja Schröder-Lomb, die Vizepräsidentin des Kammergerichts. Sogar der Leiter des Impfzentrums auf dem Messegelände sei beeindruckt gewesen, ergänzt Sabrina Peuler. In drei Impfkampagnen wurden zwischen Mai und Juli dieses Jahres insgesamt 1.482 Angehörige der Berliner Justiz erst- und zweitgeimpft. Davon 132 mit dem Impfstoff von BioNTech, die restlichen mit dem von Moderna. „Wir haben keine einzige Spritze weggeworfen. Wenn jemand trotz Anmeldung nicht gekommen ist – was ohnehin eher selten war –, haben wir so lange herumtelefoniert, bis wir einen weiteren Impfwilligen gefunden hatten“, erzählt Sabrina Peuler.

Inzwischen seien sie alle Experten, kennten sich mit Kreuzimpfungen und möglichen seltenen Nebenwirkungen aus, sagt Peuler. Eigentlich könnte sie die Spritzen inzwischen selbst verabreichen, scherzt sie. Am meisten beeindruckt aber zeigt sie sich von dem Gemeinschaftsgeist des Mammutprojekts. Zum Team gehören neben den offiziellen Kooperationspartnern Charité und Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung auch zahlreiche Freiwillige aus den Berliner Justizbehörden. Von der Staatsanwältin, die am Empfang die Stifte desinfiziert, bis hin zum Wachtmeister vom Landgericht, der dafür sorgt, dass alle zügig in den richtigen Wartebereichen Platz nehmen und kein Leerlauf entsteht. Andreas Schillert, besagter Wachtmeister, hat schon mitgemacht, als in der Pfandkammer anfangs noch getestet wurde. Um auch am vorerst letzten „Pieks-Tag“, wie er es nennt, dabei zu sein, hat er eigens seinen Urlaub verschoben. Die Abwechslung empfinde er als Bereicherung, erzählt er. Eigentlich sei er ja eher ein „Papiertiger“, hier komme er mit vielen Menschen zusammen und mache etwas wirklich Sinnvolles, das gefalle ihm.

 

 

Unterstützung kommt auch von anderen „Papiertigern“. Neben den Mitarbeitern der Stabsstelle des Kammergerichts haben selbst die Vizepräsidentin des Kammergerichts, Dr. Svenja Schröder-Lomb, und die Leiterin der zuständigen Stabsstelle, Christiane Michalczyk, mit angepackt; wenn nötig sind sie sogar selbst in die Apotheke gefahren, um den Impfstoff abzuholen und ihn in das Impfzentrum der Berliner Justiz zu bringen (Unter der Hand gerühmt wird die Vizepräsidentin allerdings vor allem für die süßen Teilchen, mit der sie das Team regelmäßig versorgt habe.). Dadurch sei eine „Atmosphäre von Kooperation, Professionalität und Familiarität“ entstanden, die den zuständigen Amtsarzt Dr. Matthias Koch vom AMZ der Charité regelrecht ins Schwärmen bringt. Gemeinsam hätten Kammergericht, Senatsverwaltung und Charité ein ganz eigenes Konzept entwickelt, das „in Zeiten der Mutlosigkeit Hoffnung“ gebe. Das Vorurteil der gemeinhin als etwas schwierig geltenden Juristinnen und Juristen habe sich für ihn bei der Impfaktion nicht bestätigt, versichert Dr. Koch auf Nachfrage. Der Aufklärungsbedarf sei im Vergleich zu anderen Bereichen recht gering gewesen. Zu Zwischenfällen sei es nicht gekommen. Einige Richterinnen und Staatsanwälte seien gelegentlich etwas unruhig geworden, wenn sie im Anschluss an die Impfung für 15 Minuten im Wartebereich hätten Platz nehmen sollen, anstatt in den Sitzungssaal zurückzukehren, ergänzt Sabrina Peuler. Aber auch da sei schließlich immer eine pragmatische Lösung gefunden worden.

Und auch in diesem Punkt sind sich alle Beteiligten einig: Das alles sind Erfahrungen, von denen die Berliner Justiz wird profitieren können, wenn Ende Oktober/Anfang November die Grippeschutzimpfungen kommen. Und irgendwann dann auch die nächste Auffrischimpfung gegen das Coronavirus.

 

Lisa Jani